Irland: Am Rand des Zusammenbruchs

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Nicht nur politisch und wirtschaftlich befindet sich Irland in veritabler Krise. Der Missbrauchsskandal ist nur Symptom des Showdowns für die Kirche.

Die Prostratio, das der Länge nach auf dem Boden Liegen vor Gottes Angesicht, gehört zu den demütigsten und zugleich kraftvollsten Gebetshaltungen im katholischen Gottesdienst. Selten wird sie geübt (etwa in der Karfreitagsliturgie) - jedenfalls immer dann, wenn besondere Hingabe nötig und das besondere Erbarmen zu erflehen ist. In den schlichten Franziskanerhabit gehüllt lagen der Kardinal und neben ihm, im schmucklosen schwarzen Talar, der Erzbischof an diesem 20. Februar am Boden vor dem Altar der Kathedrale von Dublin, auf dem ein großes, schmuckloses Holzkreuz stand.

Schweigen und Hören statt Reden

"Ein machtvolles und authentisches Ereignis“, schrieb die Irish Times über jene "Liturgie der Klage und der Reue“, zu der sich die Kirchenspitze gemeinsam mit vielen Opfern kirchlicher Gewalt zusammengefunden hatte. Ähnlich wie der entsprechende Gottesdienst im Wiener Stephansdom in der Karwoche 2010 fand dieses Zeichen der von der Missbrauchskrise existenziell bedrohten katholischen Kirche Irlands mehr Anerkennung als viele Worte. "Es gibt Augenblicke, wo Schweigen und Zuhören wichtiger sind als Worte“, so Diarmuid Martin, Erzbischof von Dublin, im Gottesdienst.

Er und Kardinal Sean O’Malley von Boston, der in Papstes Auftrag die irische Kirche visitiert, wuschen Missbrauchsopfern die Füße - auch dies eines der stärksten Symbole aus katholischer Gebetskultur. Kardinal Desmond Connell, Alterzbischof von Dublin und in der Öffentlichkeit scharf ob seines Umgangs mit den Missbrauchsfällen kritisiert, war gleichfalls da - er saß still in einer der hinteren Bankreihen.

Auch Opfer kamen zu Wort, einige davon nahmen sich dieses selber - und wurden nicht gehindert, ihre Anklagen auszusprechen. "Die Erzdiözese Dublin wird nie mehr sein, was sie einmal war“, so Erzbischof Martin im Gottesdienst.

Seit der Veröffentlichung des Murphy Reports Ende 2009, der Missbrauchsfälle und deren Vertuschung in der Erzdiözese Dublin zwischen 1975 und 2004 auflistete, ist klar, dass das Wegschauen und die Vertuschung von Missbrauchsfällen gerade in Dublin unvorstellbare Ausmaße erreicht hatte. Teile des Murphy Reports wurden erst vor wenigen Wochen veröffentlicht, um laufende Gerichtsverfahren nicht zu beeinflussen.

Herausstechend ist der Fall des Dubliner Priesters (und religiösen Schlagersängers) Tony Walsh, der Hunderte von Knaben missbraucht hatte und dessen Verbrechen lange unter den Augen seiner Oberen stattfanden, ohne dass die nötigen Konsequenzen gezogen wurden. Als er 1992 aufgrund eines kirchlichen Gerichtsurteils doch aus dem Amt entfernt werden sollte, legte Walsh in Rom Rekurs ein. Während des Berufungsverfahrens behielt er aber sein Amt und beging weiter Missbrauch.

Der Vatikan milderte die Strafe gegen Walsh schließlich in einen zehnjährigen Klosteraufenthalt ab, was als Affront gegen den damaligen Kardinal Connell von Dublin gewertet wurde. Es sind diese Fakten, welche die römische Kirchenleitung in der irischen Öffentlichkeit desavouieren. Im Jänner brachte eine TV-Dokumentation überdies einen Brief des Nuntius aus dem Jahr 1997 ans Licht, der als Aufforderung zur Vertuschung von Missbrauch aufgefasst wurde.

Klarer Kurs des Erzbischofs

Dublins Erzbischof Diarmuid Martin, seit 2004 im Amt und versucht, einen klaren und unmissverständlichen Kurs auch in der Bewältigung der Missbrauchskrise zu fahren. Allerdings ist er beim Klerus wie bei seinen Bischofskollegen unbeliebt - und kann sich auch nicht auf Roms Rückendeckung setzen, im Gegenteil: Ob der Vorwürfe im Murphy Report hatten zwei Dubliner Weihbischöfe Ende 2009 (nicht zuletzt auf Drängen Martins) den Rücktritt eingereicht. Zur allgemeinen Überraschung beschied der Papst dies im August 2010 aber abschlägig. Weithin wurde das als römischer Affront gegenüber Martin verstanden.

Der Erzbischof in Nöten sprach seine Schwierigkeiten bei einem Vortrag in Cambridge Ende Februar selber an: Trotz seiner Bemühungen sei er mit umfassenden Reformen gescheitert, wurde Martin von er Tageszeitung Irish Examiner zitiert: "Change Management ist anscheinend nicht mein Talent“, so die selbstkritische Analyse. Nach den Worten des Erzbischofs ist aber der Missbrauchsskandal nicht die Ursache der Kirchenkrise.

Diese habe schon viel früher begonnen; Irlands Kirche werde sich in Zukunft mit der Rolle einer Minderheitenkultur abfinden müssen. Kirchenbesuchszahlen seien dramatisch gesunken, in Dublin gebe es heuer keine einzige Priesterweihe, so Martin: "Die Herausforderung ist, sicherzustellen, dass wir dann keine irrelevante Minderheitenkultur sind.“

In ein ähnliches Horn stieß zuvor der Apostolische Visitator: Benedikt XVI. hatte Kardinal O’Malley von Boston nach Irland geschickt, um eine Bewertung des Zustands der katholischen Kirche zu liefern. Und das Urteil des Kardinals, so zitierte ihn die Tageszeitung Irish Independent, fiel verheerend aus: Die katholsiche Kirche befinde sich am "Rande des Zusammenbruchs“ und habe nur noch fünf bis zehn Jahre Zeit, um radikale Gegenmaßnahmen durchzuführen.

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