Kardinals-Fälle: Vertuscher, Mitwisser, Missbrauchstäter im Purpur
Eine Tour d’horizon über in Missbrauchs-Causen involvierte Mitrglieder des Kardinalskollegiums.
Eine Tour d’horizon über in Missbrauchs-Causen involvierte Mitrglieder des Kardinalskollegiums.
Die Affäre um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër 1995 war die erste große Missbrauchsaffäre an der katholischen Kirchenspitze. Seither sind eine ganze Reihe von Purpurträgern in allen möglichen Schattierungen – von Vertuschern, Mitwissern bis eben zu Tätern – in die Fälle involviert. Nachstehende Tour d’horizon weist auf die Entwicklungen hin.
Bereits 1998 stand der Brüsseler Kardinal Godfried Danneels (1933–2019) vor Gericht wegen fehlender Sanktionierungen eines priesterlichen Missbrauchstäters. Danneels wurde damals freigesprochen mit der Begründung, zwischen einem Bischof und einem Pfarrer bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis.
Der erste große „Kardinalsfall“ des neuen Jahrtausends betraf den Erzbischof von Boston, Bernard Law (1931–2017), der 2002 wegen der Vertuschung von Missbrauch in seiner Diözese in die öffentliche Kritik geriet. Im Dezember desselben Jahres trat Law zurück und übersiedelte nach Rom und entzog sich so der US-Gerichtsbarkeit. 2004 ernannte Johannes Paul II. Kardinal Law zum Erzpriester von Santa Maria Maggiore.
Nachdem weltweit rund um das Jahr 2010 die Missbrauchsskandale einen Höhepunkt erreichten, gerieten auch Kirchenführer im Kardinalsrang vermehrt in den Blick: 2013 räumte der schottische Kardinal Keith O’Brien (1938–2018) sexuelle Kontakte mit Seminaristen ein. 2015 ging er seiner Rechte und Privilegien als Kardinal verlustig. Das war der erste Fall konkreter päpstlicher Sanktionen gegen einen Kardinal.
2013 entband auch der Erzbischof von Los Angeles seinen Vorgänger, Kardinal Roger Mahony (*1936), von allen kirchlichen Ämtern – wegen Missbrauch-Vertuschungsvorwürfen. Gleichwohl nahm Mahony am Konklave, das zur Papstwahl von Franziskus führte, teil.
Der erste große Fall, in dem wie bei Hans Hermann Groër gegen einen Kardinal Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs auf dem Tisch lagen, und in dem auch kirchlich hart durchgegriffen wurde, ist jener des langjährigen Erzbischofs von Washington, Theodore McCarrick (* 1930). McCarrick trat 2018 als Kardinal zurück – zum ersten Mal wurde damit ein Missbrauchstäter aus dem Kardinalskollegium entfernt. Anfang 2019 versetzte ihn Papst Franziskus dann auch in den Laienstand.
Kardinal im Gefängnis
Der Bericht einer staatlichen Kommission über kirchlichen Missbrauch in Pennsylvania brachte 2018 auch McCarricks Nachfolger, Kardinal Donald Wuerl, in die Kritik, da dieser als Bischof von Pittsburgh priesterliche Täter gedeckt habe. Im Herbst 2018 nahm der Papst Wuerls Amtsverzicht als Erzbischof von Washington – aus Altersgründen – an. Im gleichen Jahre erreichte auch in Chile der Missbrauchsskandal einen Höhepunkt – und zwei Kardinäle, Santiagos Alterzbischof Francisco Javier Errázuriz sowie sein Nachfolger Ricardo Ezzati, sahen sich massiven Vertuschungsvorwürfen gegenüber. Noch 2018 trat Errázuriz aus dem Kardinalsrat, dem engsten Beraterkreis des Papstes, aus, 2019 nahm Franziskus den Rücktritt von Ezzati als Erzbischof von Santiago an.
2018/19 wurde mit dem australischen Kardinal George Pell (* 1941), langjähriger Erzbischof von Sydney und danach „Wirtschaftsminister“ des Papstes, in einem kontroversen Verfahren zu sechs Jahren Haft wegen Kindesmissbrauch verurteilt – erstmals brachte hier ein staatliches Gericht einen Kardinal als Missbrauchstäter ins Gefängnis. Pells Berufung vor dem Obersten Gerichtshof Australiens wird zurzeit verhandelt.
Dahingegen wurde der Lyoner Kardinal Philippe Barbarin (* 1950) vor Kurzem in zweiter Instanz vom Vorwurf der Vertuschung freigesprochen. Barbarin trat dennoch als Erzbischof von Lyon zurück – der Papst akzeptierte sein diesbezügliches Gesuch am 6. März 2020.
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