Erzbischof unter Verdacht

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Die katholische Kirche - diesmal in Polen und den USA - wird erneut mit sexuellem Missbrauch des Klerus konfrontiert.

Angesichts der immer weitere Kreise ziehenden Krise um den sexuellen Missbrauch durch Priester in den USA und einer polnischen Affäre werden erstmals Fragen zu Johannes Paul II. eigener Beurteilung der Fälle von Klerikern, die des Missbrauchs beschuldigt werden, und deren Förderung laut. Zur Zeit beharrt der Vatikan weiterhin, dass es sich um lokale Probleme handelt.

Im persönlichen Gespräch wird die Angelegenheit natürlich nicht so leicht abgetan.

Die polnische Affäre

Alarmstimmung herrscht im inneren Beraterkreis von Johannes Paul II. insbesondere wegen der Affäre des Erzbischofs Juliusz Paetz von Posen, einerseits weil es sich um einen polnischen Erzbischof handelt, andererseits weil Paetz ein gutes Jahrzehnt im Vatikan verbrachte, darunter mehr als drei Jahre in Karol Wojtylas Päpstlichem Haushalt.

Paetz war unter Paul VI., Johannes Paul I. und Johannes Paul II. "Prälat der Anticamera (des ,Vorzimmers')", das ist ein Geistlicher, der im Päpstlichen Haushalt seinen Dienst versieht. Der derzeitige Papst ernannte Paetz 1986 zum Bischof von -Lom´za in Ostpolen, 1996 übernahm er dann die Erzdiözese Posen.

1967-76 hatte Paetz bei der Bischofssynode gearbeitet. 1976-82 war dann seine Tätigkeit im Päpstlichen Haushalt gefolgt. Damals arbeitete Paetz direkt bei Johannes Paul II. und war oft bei öffentlichen Auftritten an der Seite des Papstes zu sehen.

Die gegenwärtigen Vorwürfe über sexuellen Missbrauch durch Paetz beunruhigen daher die Berater des Papstes besonders. Sollte sich herausstellen, dass die Probleme mit Paetz bereits vor Jahren begonnen haben, könnten daraus potenziell brisante Fragen über Johannes Pauls II. Einschätzung von Paetz, den der Papst ja zweimal auf einen Bischofssitz beförderte, resultieren. Die aktuellen Anschuldigungen gegen den 67-jährigen Paetz betreffen allerdings nur die Zeit, seit er Erzbischof von Posen ist.

Die Affäre wurde am 23. Februar durch einen Bericht der angesehen polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita in die Öffentlichkeit getragen. Der Artikel berichtet, Paetz habe über einen Zeitraum von Jahren Seminaristen unsittliche Anträge gemacht und sexuell belästigt. Laut Rzeczpospolita soll der Rektor des Priesterseminars von Posen Paetz deswegen sogar den Zugang zum Seminar verwehrt haben.

Paetz seinerseits hat die Behauptungen mit den Worten zurückgewiesen, dass seine "Handlungen und Worte missinterpretiert" worden seien und er das Opfer einer "breit angelegten und systematisch geführten" Verleumdungskampagne sei.

Kirchenkreise in Rom meinen dagegen, dass die Anschuldigungen wohlbegründet scheinen. Mindestens vier Seminaristen (drei davon gehören immer noch dem Posener Seminar an) hätten vor zwei Jahren offiziell ausgesagt, dass Paetz versucht habe, sie zu sexuellen Kontakten zu bedrängen. "Unter Eingeweihtem gilt es als erwiesen, dass er schuldig ist", kann man im Vatikan hören.

Die Medienberichte in Polen weisen darauf hin, dass bereits Anfang 2.000 Briefe, in denen die Vorwürfe gegen Paetz aufgelistet waren, sowohl an den Privatsekretär des Papstes, Bischof Stanis-law Dziwisz, als auch an den Leiter der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, und an Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano geschickt worden waren. Schließlich, so die Berichte, hätte die 81-jährige polnische Psychiaterin Wanda Poltawska, eine langjährige persönliche Bekannte von Johannes Paul II., die Aufmerksamkeit des Papstes auf den Fall gelenkt.

Laut Rzeczpospolita kam Ende November 2001 eine vatikanische Kommission nach Posen, um eine Untersuchung über Paetz einzuleiten. Zwei Geistliche, Mitglieder einer kirchlichen Gerichtshofes, hätten insgesamt über 40 Zeugen befragt; nach inoffiziellen Angaben bestätigten die meisten Zeugen die Anschuldigungen.

Am 9. März werden in Rom wichtige polnische Bischöfe erwartet. Sie sollen dort an einer schon länger geplanten Gedenkveranstaltung zum 10. Jahrestag der Wiedererrichtung der polnischen Hierarchie teilnehmen. Beobachter erwarten, dass Paetz das Hauptthema ihrer Gespräche, die sie mit dem Papst hinter verschlossenen Türen führen werden, sein wird.

Weite Kreise in Rom nehmen an, dass auf Paetz starker Druck zurückzutreten, ausgeübt wird. Vatikansprecher Joaquín Navarro-Valls hat bislang öffentlich allerdings nur erklärt, dass der Vatikan "das Thema mit großer Aufmerksamkeit und Verantwortung verfolgt, wobei die Rechte aller zu schützen sind".

Skandale in Amerika

In den Vereinigten Staaten wächst inzwischen die Krise in der Erzdiözese Boston weiter und weiter: John J. Geoghan, ein Priester aus Boston, der 1998 des Priesteramtes enthoben wurde, wurde Ende Februar zu neun bis zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem man ihn wegen unzüchtiger Handlungen an einem 10-jährigen Buben festgenommen hatte. Anwälte meinen, Geoghan könnte sogar bis zu 130 Opfer missbraucht haben.

Diese Affäre platzte am 6. Jänner, als die Tageszeitung The Boston Globe in einem Seite-1-Artikel dem Erzbischof von Boston, Kardinal Bernard Francis Law, vorwarf, Geoghan jahrelang von Pfarre zu Pfarre versetzt zu haben, obwohl er gute Gründe hatte, ihn des Kindesmissbrauchs zu verdächtigen.

Vertrauliche Dokumente, die durch Gerichtsbeschluss veröffentlicht wurden, zeigen, dass Kardinal Law wiederholt vor Geoghan gewarnt worden war. Bereits am 7. Dezember 1984 hatte sich etwa der Bostoner Weihbischof John M. D'Arcy bei Law schriftlich über Geoghans Bestellung zum Pfarrer der Gemeinde St. Julia beschwert - und zwar wegen Geoghans "Geschichte seiner homosexuellen Verwicklungen mit jungen Knaben".

Die Erzdiözese Boston hat bereits mehr als 10 Millionen US-Dollar (11,5 Millionen Euro/160 Millionen Schilling) bezahlt, um 50 Fälle gegen Geoghan zu regeln, 84 weitere Verfahren sind immer noch anhängig. Viele Katholiken in Boston fordern mittlerweile den Rücktritt von Kardinal Law. Meinungsumfragen zeigen, dass etwa die Hälfte der Bostoner Katholiken sagen, sie hätten kein Vertrauen mehr in Kardinal Law.

Law erklärte dennoch nachdrücklich, er werde bleiben, denn ein Bischof einer Diözese sei nicht das Gleiche wie der Vorstand eines Unternehmens. In Umkehrung der jahrelangen Politik hat Law jedoch der Polizei Informationen über alle Priester, die in den letzten Jahrzehnten des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurden, übermittelt - eine Liste, die etwa 80 Namen enthält.

Dem Vorstoß von Law schlossen sich die Bischöfe von Manchester/New Hampshire und Portland/Maine an und stimmten zu, die Namen beschuldigter Priester bekanntzugeben. Und die Erzdiözese Philadelphia teilte mit, man habe "glaubwürdige Hinweise" entdeckt, dass 35 Priester während der letzten 50 Jahre Kinder sexuell missbraucht hätten; einige dieser Priester seien von ihren Pflichten entbunden worden.

Das Klima der Anschuldigungen gegen Priester ist in den usa so intensiv geworden, dass einige eine Hexenjagd befürchten. "Wir befinden uns zur Zeit in einer Atmosphäre, wo es eine substanzielle Gefahr der Beschuldigungen, ja sogar der Festnahme unschuldiger Priester gibt", erklärte kürzlich Harvey Silberglate, Leitungsmitglied der "American Civil Liberties Union" von Massachusetts gegenüber der Zeitschrift Newsweek: "Das Problem von Hexenjagden ist, dass jeder Beschuldigte sich im Handumdrehen als Schuldiger wiederfindet." Und aus dem Vatikan ist zu hören, dass man sich sogar über die Möglichkeit von Priesterselbstmorden Sorgen macht.

Beginn des Handelns

Freilich hat sich Rom bis jetzt weder in die Affäre Paetz noch in die zahlreichen amerikanischen Fälle direkt eingeschaltet; vor kurzem wurden allerdings neue Regelungen des Kirchenrechts für den Umgang mit sexuellem Missbrauch an Kindern durch Priestern eingeführt.

Nach den neuen Regelungen sind diese Fälle der Glaubenskongregation vorbehalten und sind Rom zuzuweisen, das damit dann doch direkt die Rechtssprechung übernimmt. Außerdem werden zwei neue Gerichtshöfe, die sich mit solchen Fällen befassen, geschaffen.

Nach Angaben aus dem Vatikan ist Ziel dieser Regelungen eine beschleunigte Behandlung der Fälle, sodass schuldige Priester schneller des Amtes enthoben werden können und gleichzeitig den Angeschuldigten ein angemessenes Procedere und das Recht, den Vorwürfen zu entgegnen, sichergestellt werden kann.

Der Autor ist Vatikankorrespondent der unabhängigen US-Wochenzeitung "National Catholic Reporter". Demnächst erscheint bei Patmos die deutsche Ausgabe seiner Biographie "Kardinal Ratzinger". - Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

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