Am Ende des Schweigens

Werbung
Werbung
Werbung

Am 24. März verstarb Kardinal Hans Hermann Groër im 84. Lebensjahr. Ein charismatischer Marienverehrer - und tragischer (Alt-)Erzbischof von Wien.

Als Rom im Juli 1986 Rom die Ernennung von Hans Hermann, Wallfahrtsdirektor in Maria Roggendorf, zum Erzbischof von Wien bekannt gab, waren viele konzilsbewegte Katholiken in Österreich außer sich: Nach der Ära des weltweit geachteten Kardinals und Konzilsvaters Franz König wurde von oben her die konservative Wende in der katholischen Kirche Österreichs eingeläutet. Der von tiefer Marienfrömmigkeit und großem Organisationstalent geprägte Groër war wesentlich für den Aufbau der marianischen Laienbewegung "Legion Mariens" und die Wiederbelebung des Wallfahrtsortes Maria Roggendorf verantwortlich - eine ganze Wallfahrtsbewegung nahm von dort ihren Ausgang.

Diese Spiritualität und die Beharrlichkeit beim Aufbau der marianischen Bewegung beeindruckte jene, die Österreichs Kirche wieder in traditionelle Fahrwasser führen wollten. Der Kontrast zur Ära König konnte kaum größer sein, und der neu Ernannte geriet von Beginn an in Turbulenzen, die er wohl nicht vorausgesehen hatte: Noch vor seiner Bischofsweihe veröffentlichte ein Boulevardmagazin ein angebliches Beichtgespräch mit Groër und löste so die erste Diskussion um den neuen Erzbischof aus.

Aufruhr, Ausgleich, Affäre

Doch die Anfangsschwierigkeiten waren harmlos. Denn die Ernennung von Kurt Krenn zum Wiener Weihbischof im Dezember 1987 versetzte die Erzdiözese erst recht in Aufruhr, und die "Wende" bestätigte sich in den folgenden Jahren. So wurde im Herbst 1988 die Katholische Hochschulgemeinde in Wien "geordnet", wie es in der offiziellen Ankündigung hieß, unter anderem wurde ein Teil der Hochschulseelsorge dem Opus Dei übergeben. Unmut löste ein Jahr später auch die Abberufung der Leitung des Wiener Priesterseminars aus.

Groër, seit 1988 Kardinal und ab 1989 auch Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz, versuchte mit einer Diözesanversammlung die Polarisierung in seiner Diözese aufzubrechen. Die Erinnerung an dieses "Wiener Diözesanforum", das von 1988 bis 1992 in mehreren Sessionen tagte, und wo die bewegenden Themen der Kirche auch offen angesprochen wurden, ist schon verblasst. Auch dass unter Groër - Österreich war mitten in den turbulenten Diskussionen über die jüngere Vergangenheit - Kontakte zwischen Katholiken und Juden erstmals auf höchster Ebene stattfanden, dürfte kaum bekannt sein: Hans Hermann Groër war der erste Wiener Erzbischof, der das jüdische Gemeindezentrum in Wien besuchte.

Die pastorale und spirituelle Ausrichtung, für die Groër stand, war - trotz seiner Bemühungen um Ausgleich in der auseinanderdriftenden Erzdiözese - der Ausdruck eines restaurativen Kirchenkurses in Österreich, der von Rom mit weiteren Bischofsernennungen - Georg Eder und Andreas Laun in Salzburg, Klaus Küng in Feldkirch, Kurt Krenn in St. Pölten - fortgesetzt wurde.

Doch weder die unmittelbare Kirchenpolitik, noch Groërs fromme marianische, aber für viele Katholiken zu elitäre Spiritualität wurden für Hans Hermann Groër zum Stolperstein: Gerüchte über sexuellen Missbrauch während Groërs jahrzehntelanger Tätigkeit im Knabenseminar Hollabrunn verdichteten sich nach einem profil-Artikel im März 1995. Die mitten in den Turbulenzen tagende Bischofskonferenz wählte Groër zwar erneut zum Vorsitzenden, doch noch während der Konferenz trat Groër zurück und überließ den Vorsitz dem Grazer Bischof Johann Weber.

Am Gründonnerstag 1995 wurde Christoph Schönborn zum Koadjutor Groërs ernannt. In den öffentlichen Auseinandersetzungen um Groër entstand das Kirchenvolks-Begehren, das im Juni 1995 eine halbe Million Unterschriften erreichte. Im Spätsommer desselben Jahres nahm der Papst Groërs Rücktritt an.

Zweieinhalb Jahre später wurde Groër erneut sexueller Übergriffe beschuldigt, diesmal von erwachsenen Mönchen des Stiftes Göttweig. Der Sturm der Entrüstung wogte hoch; am 27. Februar 1998 erklärten Kardinal Christoph Schönborn und die Bischöfe Georg Eder (Salzburg), Johann Weber (Graz) und Egon Kapellari (Klagenfurt), sie seien zur "moralischen Gewissheit" gelangt, dass die Vorwürfe gegen Groër "im Wesentlichen" zutreffen.

Groër selbst nahm zu den Vorwürfen nie Stellung, und auch der Papst, der einzige, der gegenüber Groër handeln konnte, äußerte sich nicht. Der angegriffene Kardinal selbst zog sich in das von ihm gegründete Zisterzienserinnenkloster Marienfeld im Weinviertel zurück.

"Schweigen und Gebet" waren die Reaktionen, mit denen Groër auf Turbulenzen um seine Person reagierte: Zur Affäre ums angebliche Beichtgespräch, das einMagazin 1986 veröffentlicht hatte, schwieg er ebenso beharrlich wie zu Vorhaltungen rund um die Bestellung Kurt Krenns zu seinem Weihbischof. Erst recht äußerte er sich nie zu den Missbrauchsvorwürfen, in einer "Schlussstrich"-Erklärung vom 14. April 1998 folgte er lediglich der "Bitte des Heiligen Vaters" und bat "Gott und die Menschen um Vergebung, wenn ich Schuld auf mich geladen habe".

Spielball von Interessen

"Das Schweigen des Kardinals" - so ein Buchtitel von Peter Paul Kaspar - hat Österreichs katholische Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts in eine schwere Krise gestürzt, von der sie sich keineswegs erholt hat. Kontroverse innerkirchliche Fragen, nicht zuletzt die Intransparenz von Bischofsbestellungen, sind weiterhin ungelöst. Dabei geht der Aufstieg des charismatischen Wallfahrtsdirektors von Maria Roggendorf zum Kardinal von Wien aufs Konto von Vertretern der Kirche, aber auch der österreichischen Gesellschaft, die eine kirchliche Kurswende paternalistisch und von oben erreichen wollten. Dass Groër der ungeeignete Spielball dieser Interessen wurde, ist eine der Tragiken seines Aufstiegs und Falls.

Die andere Tragik offenbarte das Unvermögen der Kirche und in der Kirche, mit Sexualität gut und menschengerecht umzugehen. Es war dem verbitterten Kardinal nicht möglich, zur Klärung der Fälle beizutragen, und eben auch der Papst fand keine Worte zur Causa.

"Möge ihm der ewige Lohn" - man möchte hinzufügen: und Gerechtigkeit - "zuteil werden", schreibt der Papst zu Groërs Tod. Als Christ schließt man sich dieser Jenseitshoffnung an.

Im Diesseits der Missbrauchsvorwürfe wurde von Kirchenverantwortlichen und von Groër selbst aber keineswegs alles getan, um der Wahrheit und der Gerechtigkeit - den Opfern gegenüber, aber auch im Sinne einer gerechten Beurteilung des nun Verstorbenen - zum Durchbruch zu verhelfen. Dies ist die dritte Tragik, die Groër zum schweigsamen Einsamen werden ließ.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung