Die Stunde der Wahrheit

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Wenn die "Causa Groer" vom Tisch ist, bleibt der katholischen Kirche Österreichs noch ein Berg von anderen Problemen.

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Wenn die "Causa Groer" vom Tisch ist, bleibt der katholischen Kirche Österreichs noch ein Berg von anderen Problemen.

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Wahrscheinlich wären mehrere Bedingungen zu erfüllen, damit Österreichs katholische Kirche wieder Vertrauen gewinnen und "evangelisieren" kann: eine eindeutige Klärung der "Causa Groer" (ohne Raum für "Dolchstoßlegenden"), ein bekehrter oder ins Ausland transferierter Bischof Kurt Krenn und ein wirklich offen geführter "Dialog für Österreich". Soll Papst Johannes Paul II. im Juni 1998 Österreich besuchen, so müßten sofort die Weichen für eine glaubwürdige Erneuerung der Kirche gestellt werden.

Es war der römische Statthalter Pontius Pilatus, der vor fast 2.000 Jahren gefragt hat: "Was ist Wahrheit?" Seit diesem ersten Karfreitag schlägt für Christen immer wieder die Stunde der Wahrheit: Sie müssen Realität und Glaubenshoffnung in Einklang bringen.

Die ersten Christen hatten das Faktum der Verhaftung und Kreuzigung ihres Meisters zu verkraften. Legten da anfangs viele mutig Zeugnis für den ab, der sich ihnen als "der Weg, die Wahrheit und das Leben" offenbarte? Sah die profane Wahrheit nicht so aus, daß sich die Apostel zunächst versteckten oder, wie Petrus, Kontakte mit Jesus leugneten?

Das häufig zitierte Bibelwort "Die Wahrheit wird euch frei machen" gebietet, die heutige Situation der katholischen Kirche in Mitteleuropa nüchtern zur Kenntnis zu nehmen: Der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung sinkt, der Gottesdienstbesuch und die finanziellen Mittel gehen zurück, Priester und Ordensleute werden rar, der Einfluß kirchlicher Lehren auf das Leben der Menschen ist wenig spürbar, in einzelnen wichtigen Fragen - das Kirchenvolks-Begehren, aber auch die Briefe von Bischof Reinhold Stecher haben solche thematisiert - ist das Kirchenvolk tief gespalten. Es gibt zwar einige beachtenswerte, mitunter leider sektiererische Züge annehmende Neuaufbrüche, doch die religiösen Sehnsüchte der Menschen artikulieren sich mehr und mehr außerhalb der etablierten Kirchen.

Unglaubwürdig Vor allem die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche, und zwar ihrer obersten Ebene, hat empfindlich gelitten. Wäre es nicht befreiend, würde der Vatikan nicht nur Irrtümer und Schuld aus längst vergangenen Epochen, sondern auch Fehler von heute eingestehen?

War es nicht befreiend, als vier österreichische Bischöfe erklärten, sie hätten die "moralische Gewißheit", daß die zahlreichen Vorwürfe zutreffen, Kardinal Hans Hermann Groer habe sich schwerer sexueller Verfehlungen schuldig gemacht und seine Autorität im Kloster Göttweig mißbraucht? Wäre es nicht nach der Visitation in Göttweig befreiend, wenn nun auch Rom eine klare Sprache spricht? Wäre es nicht befreiend, wenn man sich dafür entschuldigte, daß man die Vorwürfe jahrelang nicht prüfte, wenn man sich bemühte, die Opfer nach Kräften zu entschädigen?

Wäre es nicht befreiend, würde Rom sein sorgloses Vorgehen bei manchen Bischofsernennungen und -beförderungen, etwa im "Fall Haas", das in der Errichtung einer Erzdiözese Vaduz für den wenig geliebten Bischof von Chur gipfelte, als das, was es war, eingestehen - als taktisches Manöver einer von Anfang an verfehlten Kirchenpolitik?

Wäre es nicht befreiend, das Gefühl zu bekommen, wichtige kirchenpolitische Entscheidungen würden nicht durch irgendwelche vatikanischen Hintertreppenintrigen zustandekommen? Warum konnte etwa Bischof Krenn unlängst behaupten, er sei in Papstaudienz gewesen, obwohl er in der sonst so penibel geführten Liste der Audienzen an den in Frage kommenden Tagen fehlte?

Wäre es nicht befreiend, wenn andererseits ein Thomas Plankensteiner einräumte, daß seine Forderung nach einem "Parallelbischof" zu Bischof Krenn überzogen war?

Österreichs Bischöfe scheinen mehrheitlich gewillt, einen Weg echter Erneuerung einzuschlagen und verdienen dafür jegliche Unterstützung, auch gegenüber Rom. Es muß darum gehen, zerschlagenes Porzellan nach Möglichkeit zu reparieren und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Ganz wichtig wäre dabei Machtverzicht, Verzicht auf den Hang, sich in fast allem unfehlbar zu geben. Auch hier könnte die Kirche noch viel von ihrem Stifter lernen, der sich freiwillig in die Ohnmacht begeben hat und in "dieser Welt" kein Herrschaftssystem errichten, sondern von einer dieses Leben transzendierenden Wahrheit Zeugnis ablegen wollte.

Die Macht einer an Jesus Christus orientierten Kirche kann im Grunde nur in dem Maß an Nächstenliebe, an Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit bestehen, das sie ausstrahlt, wenn sie ihrerseits versucht, diese ewige Wahrheit zu bezeugen.

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