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Die Kunst des Möglichen

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Aufregung hat der FURCHE-Beitrag über die Kooperation von kirchlicher Hierarchie und staatlichem Kirchenamt in Ungarn ausgelöst. Jetzt liegen dazu in Ungarn zwei Broschüren vor.

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Aufregung hat der FURCHE-Beitrag über die Kooperation von kirchlicher Hierarchie und staatlichem Kirchenamt in Ungarn ausgelöst. Jetzt liegen dazu in Ungarn zwei Broschüren vor.

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Während Ungarns Minister für Kultur und Unterrichtswesen, Bertalan Andräsfalvy dabei ist, die Arbeit des Parlamentarischen Ausschusses zur Untersuchung der vom staatlichen Kirchenamt zurückgelassenen Archive (FURCHE 49/ 1990) zu unterbinden, ist eine eigenartige kirchliche Informationswut aufgebrochen. „Die Geheimnisse des staatlichen Kirchenamtes” heißt eine Broschüre des namhaften Kirchenhistorikers Konräd Szänto OFM.

Aus dem auch bei privaten Buchhändlern auf der Straße erhältlichen Büchlein mit dem vielversprechenden Titel erfährt der Leser Erstaunliches. Es geht um das böse Kirchenamt und die braven Kirchenmänner. Pater Szänto gibt sich Mühe, die Methoden der berüchtigten Behörde recht gründlich darzustellen. Allerdings nur bis 1956.

Über dieses Jahr geht er nur in einigen Nebensätzen hinaus, sodaß man im Grunde annehmen müßte, ab da sei doch alles mehr oder weniger in Ordnung gewesen. Und was die Zeitspanne zwischen diesem Datum und der Installierung des Kirchenamtes im Jahre 1951 angeht, so liegt dem Autor sehr daran, das Organ in dessen wahrhaft teuflischer Bösartigkeit zu zeigen.

Szänto schildert die Drangsalierung, Bespitzelung und Erniedrigung von Priestern und Bischöfen. Es entsteht ein Bild des unschuldig leidenden, verklärten Opfers. Die Geschichte war in Wirklichkeit jedoch viel tragischer. Die vom Autor beschriebene Apotheose des Klerus steht in krassem Widerspruch zu jenen, ebenfalls in harmlosen Nebensätzen erledigten Aussagen des Buches über die Unterwanderung der Kirche durch gewisse eigene Kräfte.

Es sollte dabei um die sogenannten Friedenspriester gehen und um solche Amtsträger in den bischöflichen Aulen, die - aus welchen

Gründen auch immer - im Dienst des Kirchenamtes beziehungsweise der politischen Polizei tätig waren. Doch sie bleiben nur unbedeutende Nebenfiguren bei Szänto -mit Ausnahme jener auch von Rom exkommunizierten führenden pf ie-sterlichen Aktivisten, deren Namen landesweit bekannt sind. Es geht freilich nicht darum, Schuldige aufzustöbern und womöglich auch ihre Namen aufzulisten; es geht um den Mythos, den der Autor schaffen will.

Auffallend ist außerdem noch sein Mut, mit dem er nur allzu bereitwillig Sekundärliteratur zitiert und sich damit vor eigenen Feststellungen hütet. Bevorzugte Werke sind die im Westen erschienenen Untersuchungen oder aber das Buch eines Hof Schreibers des Kirchenamtes, der in den vergangenen Jahren auch schon mal die stalinistische Diktatur kritisiert hatte. Das Werk hinterläßt einen unbefriedigenden Eindruck.

Anders verhält es sich mit dem jüngsten Werk des bereits pensionierten Bischofs von Pees, Jözsef Cserhati, „Wir leben für andere, wir dienen einander”. Bischof Cserhati ist ein ehrenwerter Mann. Nicht nur weil er im Gegensatz zu einigen . seiner heute noch im Amt befindlichen Brüder nie einen Menschen beim staatlichen Kirchenamt denunziert hat. Bischof Cserhati hat nie Gespräche mit „rebellischen Priestern” mitgeschnitten und dem Kirchenamt auch noch eine Abschrift zur Erleichterung der Arbeit der Herren beigelegt. Er schrieb auch keine Meldungen über Privatunterhaltungen seiner Mitbrüder und beschwerte sich auch nie beim Kirchenamt über die staatliche Auszeichnung dieses oder jenes Bischofs. Erhielt es auch nicht „für angebracht”, sich von Zeit zu Zeit bei diesem Organ zum freiwilligen „kleinen Meinungsaustausch” zu melden. Seine von den Kirchenamtsreferenten jahrzehntelang geführte Schuldenliste füllt mehrere Dossiers. In seinem Buch, das den Untertitel „Autobiographische Bilder und erfrischende Stationen” trägt, erwähnt er dies freilich auch mit keinem Wort. Cserhati beschäftigt anscheinend wenig, wie andere über ihn urteilen werden.

So gibt er sich in dem Buch, wie erist: Unangreifbar und aufrichtig. Diese Leistung hätte etwas Unglaubliches an sich, wenn das fast dreißigjährige Wirken des Bischofs dies nicht zur Genüge belegen würde. Sein auch von ihm als die eigene Stärke erkannter Sinn für Realität hat ihn zu einer bestimmenden Figur der Kirche seines Landes werden lassen.

Der instinktive und intellektuelle Kenner des Möglichen wußte immer zu erklären, was er gerade unter dem „ausgezeichneten Verhältnis von Staat und Kirche” - als dessen Propagierer er in den vergangenen zwanzig Jahren in Westeuropa sehr oft auftrat - zu verstehen war. Und er weiß es auch heute noch bestens, wenn er die Tatsache des Niederganges der Kirche und das klägliche Scheitern des Klerus darlegt: Ohne Klage, Anklage und auch ohne Selbstkritik. Über Widersprüche setzt er sich hinweg, genauso wie über Gerüchte, die beispielsweise besagen, daß der verstorbene Kardinal Läszlö Lekai ein Duzfreund des berüchtigten Kirchenamtsleiters Imre Miklös gewesen sein soll.

Bischof Cserhati steht nach wie vor zu seiner erstmals der FURCHE gegenüber gemachten (FURCHE 18/1987) und dann stets wiederholten Aussage, Kardinal Läszlö Paskai zum Primas gemacht zu haben -es war also nicht der Staat? - und er beruft sich nur selten auf den Druck, der auf den Bischöfen lastete; zur Entschuldigung von Fehlern und Versagen dient dies ihm schon gar nicht. In seinem Handeln - so bekräftigt er immer wieder - stand er vor Tatsachen, die staatlicherseits meist vollendet waren; sie mit den Interessen der Kirche in Einklang zu bringen - und zwar im Rahmen des Möglichen, und dieses Mögliche bedeutete für ihn immer die Wahrung der Ehre Gottes -, war stets sein Gebot.

In diesem Tun und Walten war eigentlich j eder ein Außenstehender, der nicht zum Kreis von Bischöfen und Kirchenamtsmännern gehörte. Diese Außenstehenden werden aus Cserhatis Testament - so nennt er stellenweise sein Buch -auch nicht klüger. Der Bischof hat ein dialektisches Verhältnis zur Wahrheit. Er will die Wahrheit weder verschweigen noch manipulieren; er geht mit ihr lediglich um, als gehörte sie auch zur Kunst des Möglichen.

Und so wird er auch unfaßbar. Die Wahrheit darüber, was in der ungarischen Kirche in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist, bleibt er dem Leser schuldig. Dafür gibt er sich so, wie er ist - und erleichtert damit auch das Verständnis der ganzen Tragödie.

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