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Mensch, Gemeinschaft, Gesellschaft

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CHRISTLICHE GESELLSCHAFTSLEHRE. Von Joseph Höffner. Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer, 1962. 264 Seiten Preis: Leinen 12.80 DM, kart. 9.80 DM. - RÖNTGENBILD DER INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFT. Von Johann S c h a-iching. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. 60 Seiten, broschiert. Preis 17.80 S. — EIGENTUMSBILDUNG IN SOZIALER VERANTWORTUNG. Der Text der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Erläutert von Eberhard Müller. In der Sammlung „Stundenbücher“. Furche-Verlag, Hamburg, 1962. 122 Seiten. Preis 2.50 DM. — MATER ET MAGISTRA. Kommentiert und mit Verweisungen versehen von Erwin Stindl. Verlag Johann Wilhelm Naumann, Würzburg. 134 Seiten, broschiert. Preis 5.40 DM.

Die christliche Gesellschaftslehre ist sowohl Wiedergabe der Erkenntnisse über die Natur der Gesellschaft, deren Bestand dem Wesen des sozial bezogenen Menschen entspricht, wie ein Katalog von Nonnen für die Gestaltung und Umgestaltung der jeweiligen geschichtlichen Darstellung einer Gesellschaft.

Der Autor des vorliegenden Werkes vermag es nun in einer ganz ausgezeichneten Weise, den Doppelcharakter der christlichen Gesellschaftslehre — als einer Wirklichkeitswissenschaft wie als Komplex von Normen — darzustellen, wozu ihn die Tatsachen, daß er National-ökonom von hohem Rang, Theologe und Seelsorger (nunmehr Bischof von Münster, nachdem er vorher den Lehrstuhl für christliche Sozialwissenschaften in Münster innegehabt hatte) ist, geradezu prädestiniert.

Die eminente Sachkenntnis des Verfassers macht es ihm darüber hinaus möglich, von der Realität des Menschlichen wie des Gesellschaftlichen auszugehen und auf Basis des Gegebenen die Nonnen zu setzen, die nicht, wie das vielfach gerade im Bereich des Sozialkatholizismus geschieht, Verhaltensweisen postulieren, die sachlich nicht gedeckt sind.

Im einzelnen geht der Verfasser von der sozialen Wesenslage des Menschen aus, der zur Konstitution von Gemeinschaft und — in organisatorischer Verdichtung derselben — von Gesellschaft neigt, freilich in Grenzsituationen auch zur Vermassung. In einem weiteren Abschnitt erläutert der Autor die Elemente der in jeder geschichtlichen Situation anwendbaren Prinzipien für eine Ordnung der Gesellschaft: das Prinzip der Solidarität, das in den Anlagen des Menschen gründet, das Gemeinwohlprinzip, auf das alles naturgemäße gesellschaftliche Handeln hinbezogen sein soll, und das Sub-sidiaritätsprinzip, das vom Verfasser auf den ihm zukommenden Platz (als „bedeutsam“) verwiesen wird.

Im Abschnitt „Recht und Gerechtigkeit“ geht der Verfasser vom Naturrecht aus als dem Wesenskonstitutiv des Menschen (S. 52), von dem, was zu allen Zeiten den Menschen als Menschen aus dem Komplex des Kreatürlichen herausgehoben hat.

Im zweiten Teil beschäftigt sich der bischöfliche Verfasser mit dem Ordnungsgefüge der Gesellschaft, mit Ehe und Familie, mit Arbeit und Beruf als den sozialökonomischen Determinanten vor allem im Bereich der industriellen Gesellschaft, stets unter Bedachtnahme auf die Normen der christlichen Ethik. Organisatorisch sind Arbeit und Beruf institutionalisiert und zweckgerecht in der Wirtschaft, deren Sachziele und Ordnung eingehend gewürdigt werden. In der Frage der Verteilung des Sozialproduktes erörtert der Autor eingehend die einzelnen Einkommensströme und die ihnen konformen Verteilungsgrundsätze.

Im Abschnitt „Der Staat“ setzt sich Bischof Höffner mit den heiklen Fragen der Macht, der Staatsgewalt, der Beziehung von Kirche und Staat sowie mit den Parteien auseinander.

Das Buch ist nicht eine Summe von unzusammenhängenden Meditationen, von Gesellschaftswissenschaft allein oder von Normen, denen der sachliche Bezug und damit auch die Chance der Anwendbarkeit fehlt, sondern vor allem ein Lehrbuch mit Real- und Gegenwartsbezug. Auf diese Weise wird ein pädagogisches Anliegen erfüllt, erleichtert durch die klare Sprache und die Systematik der Einteilung des Stoffes. Gebildete Katholiken dürften an dem Buch nicht vorübergehen, wenn sie nicht unter christlicher Gesellschaftslehre eine Sammlung von Rezepten verstehen.

Blendend stilisiert und trotzdem fern Jeder Simplifikation von Wirklichkeiten, präsentiert uns Universitätsprofessor Schasching ein „Röntgenbild“ der industriellen Gesellschaft. Die Darstellung des Gegenstandes ist in einen Hinweis auf die materiell-wirtschaftliche Eigenart, die soziale Eigenart und die geistig-kulturelle Struktur aufgegliedert.

Bei Analyse der industriellen Gesellschaft als Wirtschaftsgesellschaft weist der Autor mit Nachdruck auf die Kapitalintensität als wesentliches Sachmerkmal hin, auf die Anonymisierung der Produktion, die, wenn und soweit programmgesteuert, ohne oder mit relativ geringen humanen Bezügen realisiert wird. Die Kapitalintensität ist derart stark geworden, da6 es zu einer Art von „Mitbestimmung“ der Sachwelt kommt, die weithin den Ablauf der Produktion, wenn nicht den ökonomischen ProzeB zu beeinflussen vermag. Man denke nur an die Bedeutung der Amortisation, die von den Produktionsmitteln gebieterisch gefordert wird und sich sowohl in der Anbotsmenge wie im Preis, aber auch in der Sphäre des Konsums niederschlägt.

Mit dem Anwachsen der Produktion steigen die Konsumchancen. Der Mensch spielt in einem wachsenden Umfang neben, wenn nicht vor der Arbeitsrolle eine Konsumrolle. Dabei sind die Konsummöglichkeiten keineswegs wie ehedem für die Massen mit jenem Güteraggregat limitiert, das man „physisches Existenzminimum“ nennt.

Die industrielle Gesellschaft als interpersonales Phänomen ist weiterhin durch eine außerordentliche Organisationsdichte charakterisiert, eine Folge der Bevölke-rungsmassierung. So erweist es sich als notwendig, die in gewissen Regionen angesammelten Massen im Interesse eines gesicherten Fortbestandes der Gesellschaft von oben her zu disziplinieren oder sie sich selbst disziplinieren zu lassen. Neben der bemerkenswerten Organisationsdichte ist die industrielle Gesellschaft auch durch einen Verbands- und Gruppenpluralismus gekennzeichnet. Obwohl in einem Gegeneinander der Interessen und der Gesinnungen befindlich, wird das Ganze der Gesellschaft durch gegenseitige Kontrolle gesichert, wenn auch nicht übersehen werden darf, daß sich da und dort so etwas wie eine Gruppendiktatur zu etablieren vermag. In diesem Fall wirken aber die kleinen Gemeinschaften, wie die Familie und die Nachbarschaft, als „gegenläufige Kräfte“.

Eine nur soziologische Sicht der Erscheinungsweisen der industriellen Gesellschaft könnte übersehen lassen, daß die Gefahr eines Auseinanderfallens von geistiger und materieller Kultur nunmehr offenkundig geworden ist. Der Verfasser beschäftigt sich daher im dritten Teil seiner Broschüre mit den kulturellen Erscheinungen, mit der Frage des Güterund Zeitüberflusses, Das materielle Angebot, sosehr es in Art wie in Volumen zu begrüßen ist, kann von vielen nicht mehr bewältigt werden, wenn sie zum Güterdargebot nicht auch ein kulturelles Interesse Zugewinnen. Daher die Forderimg nach einer „dritten Sozialpolitik“ für die jungen Menschen, denen die Bildungswerte auch unter Einsatz beträchtlicher Mittel erschlossen werden müssen. Jedenfalls bedarf es in einer Situation des Uberflusses einer Überwindung der durch eben diesen Uberfluß hervorgerufenen Entfremdung des Menschen gegenüber dem Kulturellen in der Weise, daß die Menschen sich die kulturellen Werte gleichsam aneignen.

Die vom Verfasser vorgelegte Soziologie der industriellen Welt — neben der es noch so manche „Welten“ gibt — ist ein wertvoller Behelf für den Praktiker, der sich an Hand einer kurzen Darstellung über die gesellschaftlichen Wirklichkeiten informieren will. Wenn auch (von einem lesuitenprovinzial) für Gewerkschafter geschrieben und von den Gewerkschaften verlegt, ist die Analyse für jeden, der in der politischen oder in der Erziehungsarbeit steht, eine ausgezeichnete Einführung, die durch Befassen mit den anderen einschlägigen Werken des Autors (etwa „Kirche und industrielle Welt“) ergänzt werden kann.

Die vorliegende Denkschrift wird vom Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll erläutert und beweist die erstaunliche Nähe von katholischer Auffassung über die Natur des Eigentums und den Ansichten der repräsentativen Köpfe des modernen Protestantismus.

Die Denkschrift ist zwar nur auf die besondere Situation in der Bundesrepublik Deutschland bezogen, bietet jedoch über die historischen Bedingungen hinaus gültige Aussagen zur Eigentumsfrage.

Den Ausgang nimmt die Denkschrift von der Tatsache, daß die Güter dieser Welt vorweg allen Menschen zugeeignet wurden. Privateigentum ist nur Dokumentation von Lehen. Mißbrauch mit Eigentum ist daher Mißbrauch mit einem nur verliehenen Gut und entzieht moralisch verliehene Rechte. Nur richtig gebraucht vermag das Eigentum dem Menschen zu dienen. Um frei sein zu können, benötigt der Mensch Güter in Dispositionsgewalt. Dieser Umstand rechtfertigt die Institutionen des Privateigentums, aber auch die Forderung nach breitester Eigentumsstreuung. Anderseits liegt es in der Natur der industriellen Gesellschaft, daß Eigentum (an Produktionsmitteln) bei wenigen, wenn nicht beim letzten Eigentümer, dem Staat, konzentriert wird. Dadurch sammelt sich durch Eigentumsmacht gleichzeitig Macht an sich bei wenigen, Eigentümern oder Funktionären, an.

Die Denkschrift ist ausgezeichnet und klar interpretiert. Ihre Grundgedanken entsprechen durchaus katholischer Lehrmeinung und weisen auf eine Ökumene im vortheologischen Raum hin. ifluJl aiQ .JdoiS njfltas nh ni lusr; ri Das vorliegende Buch enthält nicht nur den vollen Wortlaut der Enzyklika „Mater et Magistra“, sondern auch, unmittelbar den einzelnen Absätzen angefügt, eine Kommentierung und entsprechende Literaturhinweise. Die Interpretation nimmt vor allem auf bundesdeutsche Verhältnisse Bezug und ist nicht frei von einer gewissen Einseitigkeit. Diese Tatsache soll jedoch nicht übersehen lassen, daß es sich um ein sehr brauchbares Werk handelt, um einen gründlichen Kommentar, dessen Studium keineswegs Fachkenntnisse voraussetzt.

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