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Ethik mit Verstand

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Das Denken des Sozialethi-kers Johannes Messner hat nicht nur das letzte Konzil beeinflußt, sondern erscheint in der zunehmend komplexen Gesellschaft besonders aktuell.

„Sehen - Urteilen - Handeln" -mit dieser Strategie der Internationalen Katholischen Arbeiterjugend (KAJ) hat ihr Gründer, de*- belgische Kardinal Joseph Cardijn, die Konzeption jeder vernünftigen und verantwortungsbewußten menschlichen Tätigkeit schlechthin klassisch formuliert. Das nüchterne Sehen der Tatsachen und ihrer Zusammenhänge als Voraussetzung

für eine treffende ethische Beurteilung und für jedes zielstrebige Tun ist es aber, was gerade sozial engagierte Christen allzu häufig ignorieren. So eindrucksvoll das Engagement vieler ist, die sich mit vollem persönlichen Einsatz um die Lösung oft verzweifelter sozialer Probleme bemühen, so destruktiv ist oft ihr Verzicht auf die Wahrnehmung nüchterner Tatsachen und einer darauf aufbauenden Vernunft, die ja nicht zu Unrecht auch als eine der christlichen Tugenden gewertet wird.

Es gehört zu den Pionierleistungen im christlichen Sozialdenken, was Johannes Messner über die Notwendigkeit der sachlich-nüchternen Betrachtungsweise gerade vor einer verantwortungsbewußten Beurteilung ethisch relevanter

Sachverhalte schon in seiner Habilitationsschrift gesagt und dann seinem ganzen Lebenswerk zugrunde gelegt hatte:

„Ist das objektive, voraussetzungslose Sehen der Wirklichkeit für jede Wissenschaft ein Problem, so besonders für die Sozialethik. Die Härte des Materiellen berührt uns viel zu unmittelbar, sei es direkt, sei es im Mitgefühl mit den härter davon Betroffenen. Allzu leicht drängt sich in dem Urteil über wirtschaftlich-soziale Erscheinungen das von unbestimmten ethischen Vorstellungen getragene Gefühl in den Vordergrund und werden konkrete einzelne Fälle oder zeitlich krisenbedingte Massenerscheinungen verallgemeinert. Das unbefangene Anschauen der Wirklichkeit und das ruhige, klare Erkennen unserer Aufgaben darin ist aber geradezu die Grundvoraussetzung aller, namentlich auch einer von sittlichen Ideen ausgehenden sozialen Reform." Daher kann die Sozialethik nur aufgrund einer Analyse der Sozialwirtschaft, ihrer Funktionen und Institutionen, zu einer ethischen Bewertung derselben gelangen.

Diese Überzeugung vom notwendigen Zusammenwirken moralischer Betroffenheit und nüchterner wissenschaftlicher Analyse der dazu Anlaß gebenden Zustände und Verhältnisse hat sich dann vier

Jahrzehnte später auch die römischkatholische Kirche zu eigen gemacht und das Zweite Vatikanische Konzil veranlaßt, die Eigengesetzlichkeiten in allen Kulturbereichen des menschlichen Lebens deutlich herauszustellen. Das sei nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit (!) sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten muß. Diese „Weiterentwicklung, die für das christliche Leben und das der Kirche eine große Bedeutung hat", weist den integralistischen, religiösen Totalitarismus, der der Auslegung der Schrift (allein) die Antwort auf alle Fragen des privaten und öffentlichen Lebens entnehmen will, nicht nur für die Gegenwart als falsch zurück, sondern bedauert auch rückwirkend diese Geisteshaltung, die in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet hat.

Die Sorge vor einer vorwiegend emotionalen Sozialethik ist derzeit wieder ganz besonders berechtigt, von der Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn für alle bis zur Wiederherstellung des Friedens ohne Gewalt. Das heutige Ausmaß an menschlichem Leid, welches durch äußere Umstände (wie zum Beispiel Naturkatastrophen) sowie auch durch das Versagen gesellschaftlicher Institutionen (wie zum Beispiel zunächst noch des Systems Kollektiver Sicherheit in der UNO) ausgelöst wird, veranlaßt verantwortungsbewußte Christen nicht nur zu tiefer Betroffenheit sondern auch zu vollem Engagement.

Was heute jedoch dazu - schlagwortartig vereinfacht - als „mes-sianisch-eschatologisch" und prophetisch-utopisch" zu hören ist,

. verstellt nicht selten den Blick auf die Lösung sozialer Konflikte mehr als es geeignet ist, das Gewissen zu schärfen. Je komplexer die Gesellschaft und je schwerer durchschaubar vermeintliche oder wirkliche Fehlleistungen im sozialen Lernprozeß der menschlichen Gesellschaft werden, desto dringender ist der Rekurs auf den nüchternen Verstand geboten, mit welchem der Mensch von seinem Schöpfer nicht zuletzt auch zur Bewältigung seiner sozialen Konflikte ausgestattet worden ist!

Der in Schwaz (Tirol) gebürtige Johannes Messner, der in Salzburg, Birmingham (England) und Wien wirkte und der sich als Lehrer und Berater mehrerer Generationen von Bischöfen, Priestern, Wissenschaftern und Politikern weit über die Grenzen Österreichs (insbesondere zum Beispiel auch in Japan) einen Namen gemacht hat, würde am 16. Februar seinen 100. Geburtstag feiern. Am 12. Februar 1984 im 93. Lebensjahr verstorben, hat er ein eindrucksvolles vielbändiges Gesamtwerk hinterlassen, das heute mehr denn je alle Aufmerksamkeit verdient: Neben dem Sozialrealismus, seine Pionierleistungen auf

dem Gebiet der heute wiederentdeckten Ordnungs- und Institutionenethik von den „sozialen Funktionen des Wettbewerbsmarktes" bis zur ökonomischen Effizienz als ethischem Postulat. Sein konsequenter Entwurf einer umfassen-, den Sozialethik, die die Interde-pendenz der Ordnungen in ihrer ganzen Breite in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur umfaßt, ist. bis heute konkurrenzlos geblieben. Ein solches Ordnungsgefüge wird vom Menschen als primär f amilien-haftem Wesen teils in seiner Natur in Ansätzen vorgefunden und muß zum anderen Teil von ihm bewußt gestaltet werden, damit er seine „existenziellen Lebenszwecke" erfüllen kann, die allen gesellschaftlichen Institutionen erst ihren spezifischen Sinn geben.

Der Autor, Nationalbankpräsident und Finanzminister a. D., ist Mitherausgeber der FURCHE.

Messner,)., Sozialökonomik und Sozialethik, Studie zur Grundlegung einer systematischen Wirtschaftsethik, Paderborn, 1. Aufl. 1927, 52;. drs., Ethik Kompendium der Gesamtethik, Innsbruck-Wien-München 1955,409. ;

Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt' von heute" (Gaudium et Spes), Rom 1965, Art. 36.

Rahner, K., Vorgrimler, H., Kleines Koazils-kompendium, Freiburg i. Br., 12. Aufl. 1978, 20 und 432.

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