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Im „Labyrinth des Lebens"

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Als bedeutendsten Beitrag der katholischen Kirche Österreichs zu dem von Papst Johannes Paul II. ausgerufenen Jahr der Katholischen Soziallehre bezeichnete der Linzer Diözesanbischof Maximilian Aichern die am 12. April eröffnete Sonderausstellung „Zeit-gerecht" im Museum Industrielle Arbeitswelt in Steyr.

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Als bedeutendsten Beitrag der katholischen Kirche Österreichs zu dem von Papst Johannes Paul II. ausgerufenen Jahr der Katholischen Soziallehre bezeichnete der Linzer Diözesanbischof Maximilian Aichern die am 12. April eröffnete Sonderausstellung „Zeit-gerecht" im Museum Industrielle Arbeitswelt in Steyr.

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Die Ausstellung „Zeit-gerecht" geht auf eine Anregung von Josef Wei-denholzer, Professor für Gesellschaftspolitik und Sozialpolitik an der Linzer Johannes-Kepler-Universität und Vorsitzender des Steyrer Museumsvereins zurück. Sie wurde mit besonderem Wohlwollen der Österreichischen Bischofskonferenz von den angrenzenden Diözesen St. Pölten, Linz und Salzburg gemeinsam initiiert. Nach dem gemeinsamen Sozialhirtenbrief ist diese Ausstellung ein weiteres Signal der Bischöfe, wie sehr ihnen gerade die Soziale Frage - bei allen sonstigen Differenzierungen - ein gemeinsames Anliegen ist.

Die wissenschaftliche Leitung besorgten der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs, P. Alois Riedlsperger SJ, und der Wiener Politologe Emmerich Tälos unter Beratung seitens der Wiener Zeitgeschich-te-Ordinaria Erika Wein-zierl und des in Sozialfragen höchst erfahrenen Geistlichen Assistenten der Linzer Caritas, Walter Suk. Ihnen stand ein Stab von mehr als zwanzig wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Verfügung. Federführend bei der szenischen Gestaltung der Schau in Steyr war der Architekt Hans Hoffer.

Ist Soziallehre als Theorie für das soziale Handeln von Katholiken und als kritische Überprüfung dieses Handelns gemeint, so ist die Frage nach der „Zeit-Gerechtigkeit" im mehrfacher Weise zu stellen. Die Sonderausstellung will keineswegs Jubelschau sein, sondern fragen, ob die soziale Praxis angesichts der neuen Herausforderungen rechtzeitig erfolgte, ob sie der Zeit gerecht - also richtig - erfolgte, und auch, ob es immer genügend „Gerechte" in diesem Sinne gab, wie Wissenschaftsminister Erhard Busek in seiner Eröffnungsrede zu bedenken gab.

In diesem Sinn ist die Ausstellung „beinahe verwirrend" vielfältig geraten, galt es doch 100 Jahre seit

„Rerum novarum", der ersten Sozialenzyklika, zu durchschreiten, und dies nicht nur mit Blick auf den Menschen, der Mittelpunkt allen verantwortlichen gesellschaftlichen Strebens sein muß, sondern auch mit Blick auf das entstandene gesellschaftliche Umfeld und den Horizont der biblischen Botschaft: „Was ihr dem geringsten der Brüder getan habt, habt ihr mir getan", und zwar nicht nur singulär, sondern strukturell!

Die Ausstellung verfolgt nicht die Zeit „von den Anfängen bis heute", sondern geht umgekehrt von den allen Zeitgenossen erfahrbaren Bedrohungen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart zurück - vom breiten Mündungsstrom des Heute zurück zu den Quellgerinnen des Anfangs.

Das „Labyrinth des Lebens" macht im ersten Obergeschoß den Zeitraum der achtziger und neunziger Jahre mit Krieg und Frieden, Arbeit, Ökologie, Umwelt, Technologie und Frau zum Thema der Denkanstöße. Über die Kommandozentrale „Weltnachrichten" wird der Besucher zur Reflexion der „Solidarnosc-Be wegung" ins Erdgeschoß zum „Sakralbau Kirche und II. Vatikanum" geführt.

Sattheit und Auflehnung sind die Signale der fünfziger bis siebziger Jahre. Sie sind Übergang zur Kriegszeit „von Überzeugung und Zwang" der NS-Zeit und der Innitzer-Ära.

Die Zwischenkriegszeit in derTrans-missionshalle wird angesichts von „Quadragesimo anno" mit der Problematik von Klasse, Stand und Rasse behandelt.

Durch die Haupthalle führt der Weg weiter zurück in die Stube des Schusters zum Handwerk, das durch die industrielle Revolution weitgehend seinen „goldenen Boden" verloren hatte.

Hier weist das Schlagwort „Barmherzigkeit ist nicht genug" auf die Forderung des Papstes in „Rerum novarum" hin, die strukturellen Veränderungen bei Kapital, Staat und Arbeiterschaft einzumahnen. Als Paradigma wird der Salzburger Ort Oberndorf besonders dargestellt. Von hier führt der Weg zurück in die Haupthalle, in der der Besucher an die Soziallehre, immer auch als schriftliche Reflexion des sozialen Handelns, erinnert wird.

Der Weg aus dem Museum führt durch die überdimensionalen Umrisse eines Menschen, dessen Wege auch die Wege der Kirche sind. Der Mensch, der zeichenhaft auch vor dem Museum mitten im Fluß steht und in dessen Körper ein digitales von außen steuerbares Herz schlägt.

Keinesfalls vergessen darf der Besucher auf die Dritte-Welt-Baracke mit ihrem langen Tisch, der für die Armen leer, für die Reichen aber _ übervoll ist. Vor der Baracke ist eine Kirchenausgrabung zu beachten, auf deren Grund jene Prinzipien auffindbar sind, die die Kirche hier und in der Dritten Welt „solidarisch leben" lassen, weil gemeinsames Ziel aller ist, „mehr Mensch zu werden".

Diese Ausstellung spricht alle Sinne an. Ton und Videobilder geben dem optisch Statischen die bewegte und akustische Ergänzung. Die Feierlichkeit einer „Kathedrale der Schriften" wird von der Einfachheit der Baracke der Dritten Welt sinnenhaft erfahrbar begleitet. Gewinn wird aus dieser klug und sorgfältig gemachten Ausstellung der schöpfen, der sich einläßt auf die Frage: Kain, wo ist dein Bruder Abel? - Wer sonst hat unseren Reichtum bezahlt? Der Autor ist Leiter des Referates für soziale und politische Erwachsenenbildung im Pastoralamt der Diözese Linz. Die Ausstellung in 4400 Steyr, Wehrgrabengasse 7, ist bis 22. Dezember täglich außer Montag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der 200 Seiten umfassende Katalog mit vielen Abbildungen kostet 220 Schilling.

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