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Parteienmacht ist stärker als Recht

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Felix Ermacora stellt im „Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte” fest: „Solange man von Staats wegen die Parteien der gesellschaftlichen Sphäre und nicht der staatlichen Sphäre des Gemeinwesens zurechnet, bedürfte jede politische Partei der erhöhten Aufsicht, die derzeit nur das Vereinsgesetz gewährleistet. Anders wäre es, wenn eine Institutionalisierung der politischen Partei oder ein Parteigesetz den Status der Partei von jenem eines herkömmlichen Vereins ausdrücklich unterscheidet. Solange dies nicht geschehen ist, gebietet Art. 18 Abs. 1 B.-VG., die politischen Parteien wie die Vereine im Sinne des Vereinsgesetzes 1951 zu behandeln.”

In der bereits herangezogenen Entscheidung vom Februar 1964 stellte der Oberste Gerichtshof fest, daß politische Parteien, mögen sie auch mittelbar, nämlich durch die Entsendung ihrer Mitglieder in parlamentarische Vertretungskörper, innerhalb des Staates von allen in Betracht kommenden Faktoren den größten und entscheidendsten Einfluß auf die Besorgung öffentlicher Angelegenheiten ausüben, doch selbst nicht als öffentlich-rechtliche Körperschaften anzusehen sind.

In letzter Zeit hat Rolf Ostheim „Zur Rechtsfähigkeit der politischen Parteien nach bürgerlichem Recht” üEerappgend ausgeführt, daß die Bestimmungen des Vereinsgesetzes auf die politischen Parteien voll Anwendung zu finden haben: Die Vorstände der politischen Parteien haben durch die Unterlassung der Anmeldung gegen die Bestimmungen des Vereinsgesetzes verstoßen. Es ist Sache der Verwaltungsbehörden, die Sanktionen des § 29 Vereinsgesetz, solange anzuwenden, bis auch die Anmeldung dieser Vereine erzwungen ist. Ob dies allerdings geschehen wird, ist eine andere Frage. Denn wenn auch die Rechtsfähigkeit der politischen Parteien nunmehr de lege lata erwiesen ist, so bleiben doch genügend Erscheinungen auf dem Gebiet unseres Rechtslebens übrig, die die These Ermacoras zu rechtfertigen scheinen, daß die Macht der politischen Parteien stärker ist als das Recht. Gerade in dieser Situation erweist sich aber die Rechtsfähigkeit als legales Mittel, diese Macht zu beschränken, denn durch sie wird es erst möglich, die politischen Parteien — zumindest im Bereich des Privatrechts — zu Erfüllung von Verbindlichkeiten und zur Haftung für Delikte zu verhalten.

Demokratisierung der Parteien

Ende 1963 hat der Nationalrat in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, ihm „einen Bericht über ihre Rechtsauffassung betreffend die Stellung der politischen Parteien im öffentlichen Leben vorzulegen”.

Die Tageszeitung „Die Presse” hat in ihrer Ausgabe vom 12. November 1964 berichtet, daß im Bundeskanzleramt zur Zeit an einer grundsätzlichen Abhandlung über „die Stellung der politischen Parteien in Österreich” gearbeitet wird.

Auf Grund der spezifischen Funktionen der Parteien im modernen Staat (nach Marcel Prélot haben sie 1. une fonction organique et disciplinaire, 2. intellectuelle et formatrice, 3. historique et moralisatrice) scheint die Forderung nach einem eigenen Parteiengesetz gerechtfertigter als die Forderung ‘nach ver- einsfnäßier Organisierung. Dies um so mehr, als Art. 11 der Menschenrechtskonvention die Vereinsfreiheit auch auf Ausländer ausgedehnt hat.

Hans Kelsen hat darauf hingewiesen, daß die Bedeutung der politischen Parteien um so größer ist, je stärker das demokratische Prinzip verwirklicht ist. Deshalb seien die bisher freilich nur schwachen Tendenzen begreiflich, die Parteien verfassungsmäßig zu verankern, sie auch rechtlich zu dem zu gestalten, was sie faktisch schon längst sind: zu Organen der staatlichen Willensbildung. Es würde sich dabei nur um eine Teilerscheinung jenes Prozesses handeln, den man als Rationalisierung der Macht bezeichnet hat und der Hand in Hand geht mit der Demokratisierung des modernen Staates.

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