Lautes Lachen und Durcheinanderrufen schallen durch den Turnsaal. Sechs Volksschulkinder sitzen auf einem Wagenzug und lassen sich von der Pädagogin durch den Saal ziehen. Dass auch Kinder mit Behinderungen unter ihnen sind, ist für Außenstehende nicht gleich erkennbar. Die 9-jährige Johanna und der gleichaltrige Emil spielen mit und haben ihren Spaß.
Emil leidet am Down-Syndrom, Johanna an einer spastischen Lähmung. Sie ist intellektuell beeinträchtigt, inkontinent und kann sich nicht so gut mitteilen. Dennoch ist es ein anderer Bub ohne Behinderung, der wesentlich mehr Aufmerksamkeit von der Hortpädagogin einfordert. Ob Sonja Zöhrer Kinder mit oder ohne Behinderung betreut, macht für sie keinen großen Unterschied: "Nicht, solange die Kinder sprechen und sich bewegen können. Ich muss mich ohnehin auf alle Kinder individuell einstellen und sie zur Selbstständigkeit anleiten."
Falsche Vorstellung von Inklusion
Die ganztägige und inklusive Ferienbetreuung der Caritas-Einrichtung "Am Himmel" im 19. Wiener Bezirk steht diese Woche unter dem Motto "trommeln". Jedes Kind macht mit, wie es kann. "Wir müssen uns verabschieden von dieser falschen Vorstellung von Inklusion, dass alle Kinder ständig dasselbe gleichzeitig tun, und es keine Konflikte mehr gibt. Ich bin mir sicher, dass es da mehr Schwierigkeiten gibt, die man aber überwinden kann", sagt Johannes Schober, Leiter der Kinder-und Jugendeinrichtungen "Am Himmel". Er meint sogar, dass reguläre Schulen einiges von den Sonderschulen lernen könnten. Etwa, wie man ein Konzept rund um ein Kind gestaltet. Von homogenen Gruppen hält er nicht viel: "Wir sagen ja im Alltag auch nicht: Wir trennen alle Lebensbereiche nach Geschlecht oder Altersgruppen. Warum sollte man also nach Behinderung trennen?" Schober ist überzeugt, dass in punkto Inklusion mehr möglich ist, als sich die meisten vorstellen können. Man müsse einfach mal irgendwo anfangen.
Ab dem Schuljahr 2016 soll auch die Sonderschule Am Himmel auf einen inklusiven Unterricht umgestellt werden. "Damit wollen wir unserer Schule eine Kompetenz hinzufügen und zeigen, dass ein gemeinsamer Unterricht in der Praxis möglich ist", sagt Alexander Bodmann, Generalsekretär der Caritas Wien, der selbst Einrichtungsleiter bei "Am Himmel" war. Nicht alle Eltern sind glücklich über die Umgestaltung der Schule. Die Elternvereinsvorsitzende Margit Hödel,Mutter eines schwer behinderten Kindes, befürchtet, dass eine Inklusions-Klasse Kinder wie ihren Philipp überfordern könnte. Im Herbst soll das neue Konzept gemeinsam mit den Lehrkräften und Eltern entwickelt werden. Aus der Vormittags-Schule und dem Sonderhort für Nachmittagsbetreuung soll ein ganztägiger Lernort für Kinder mit und ohne Behinderung werden. Dazu wird es auch neue Räumlichkeiten geben.
Schritt in Richtung Gleichstellung
Bodmann hält die inklusive Schule für ein wichtiges Zeichen der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung: "Auch im späteren Leben bewegen sie sich in Umgebungen mit nicht behinderten Menschen." Vor sechs Jahren hat Österreich die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert und sich zur Inklusion im Bildungsbereich verpflichtet.
Doch noch immer wird rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen separat in Sonderschulen unterrichtet, die andere Hälfte in Integrationsklassen in regulären Schulen. Im Regierungsprogramm ist zwar die Rede von der Weiterentwicklung inklusiver Bildung -in der Realität geht es langsam voran. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sprach sich Ende Mai im Unterrichtsausschuss des Nationalrats für eine "Politik der kleinen Schritte" aus. Sie befürworte Inklusion, wandte sich aber gegen eine Abschaffung der Sonderschulen "von heute auf morgen". Kinder mit speziellen Bedürfnissen dürften nicht durch eine plötzliche Abschaffung der Sonderschule überfordert werden. Konkrete Inklusions-Initiativen sollen ab dem Schuljahr 2015 gesetzt werden.
Ob die Inklusion in der Ferienbetreuung leichter lebbar ist als im Schulalltag, wo eine gewisse Leistung zu erbringen ist?"Egal, ob sie ein Lernziel erreichen sollen oder ein Filzmonster basteln: Wir überlegen, mit welchen Barrieren ein Kind konfrontiert ist und wie wir diese überwinden können", erklärt Schober. Die Kunst der inklusiven Betreuung liege in den vielen kleinen Arbeitsschritten, die man nicht sieht. Im Vorfeld wird mit den Eltern genau abgeklärt, welche speziellen Bedürfnisse jedes Kind hat.
Inklusion für Kinder mühelos
Zurück im Turnsaal fährt Johanna jetzt alleine mit dem Wagenzug durch den Saal, während Emil auf einer blauen Gummimatte sitzt und interessiert beobachtet, wie die anderen Kinder Fußball spielen. Emil war diese Woche zum ersten Mal in einer Ferienbetreuung. "Am Anfang der Woche hat er niemanden gekannt, aber das war kein Problem, er hat sich gleich wohl gefühlt", sagt seine Mutter Michaela Trainacher. Das inklusive Miteinander ist er ohnehin gewohnt, denn er besucht die inklusive Volksschule Friedrichsplatz. Pädagogin Zöhrer trommelt nun alle Kinder zusammen. Zeit, Mittag zu essen. Während manche Kinder herumblödeln und ungern sitzenbleiben, essen Johanna und Emil selbstständig ihren gebackenen Fisch mit Kartoffelsalat. Nach und nach trudeln Eltern, Großeltern und Geschwister in der Turnhalle ein, denn nun folgt ein Trommelkonzert als Abschluss der Ferienwoche. Vier Stücke haben die Kinder im Laufe der Woche einstudiert.
Johanna geht von einer Person zur nächsten, schüttelt Hände, fragt "Wer bist du?". Während des Konzerts winkt sie ihrer Mutter im Publikum zu. Sie besucht zwar eine sonderpädagogische Schule, aber scheint sich schnell an das inklusive Modell gewöhnt zu haben. "Die Woche war eine Hetz für sie. Und ihre nicht behinderte Schwester ist ja auch in der Gruppe", sagt ihre Mutter Susanna Böhm. Die 200 Euro kostende Ferienwoche soll auch die Eltern entlasten. Es gibt zwar ausreichend Kinder mit Behinderungen, die daran teilnehmen wollen, aber die Nachfrage seitens der Kinder ohne Behinderung ist gering. Ohne die teils ehrenamtliche Mitarbeit von Praktikanten könnte die Caritas diese Ferienbetreuung nicht anbieten.
Doch nicht nur die Kinder mit Behinderung profitieren davon. Die anderen Kinder lernen wiederum, dass man manchmal geduldig sein und Umwege gehen muss. Und dass man auch sagen darf: "Stopp, nein, das mag ich nicht!" Schobers neunjährige Tochter hat auch schon an der inklusiven Ferienwoche teilgenommen. "Sie hat mit den Mädchen mit Behinderung viel mehr anfangen können als mit den nicht behinderten Burschen", erzählt Schober. Kinder haben meist weniger Barrieren im Kopf als Erwachsene: "Einmal hatten wir ein Kind im E-Rollstuhl in unserer Ferienbetreuung. Darauf hat sich ein Kind ohne Behinderung laut Mutter zu Weihnachten einen E-Rollstuhl gewünscht."
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