Wählst du "magyar" oder "hrvatski"?

19451960198020002020

Einzigartig ist die Schule am Stadtrand von Oberwart im Burgenland: die Schülerinnen und Schüler können zwischen den Sprachen kroatisch/deutsch oder ungarisch/deutsch wählen.

19451960198020002020

Einzigartig ist die Schule am Stadtrand von Oberwart im Burgenland: die Schülerinnen und Schüler können zwischen den Sprachen kroatisch/deutsch oder ungarisch/deutsch wählen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Pausenglocke ist schrill und hat am Ende einer Schulstunde die gleiche erlösende Wirkung wie an allen Schulen: Türen fliegen auf, und aus den Klassen strömen die Schüler lärmend auf die Gänge.

Und doch ist die Schule, die am Stadtrand von Oberwart in einem gelb-orangen Neubau untergebracht ist, einzigartig in Österreich. Im "Zweisprachigen Gymnasium Oberwart" können die Schüler zwischen einem kroatischen und einem ungarischen Zweig wählen. So steht das "M" nach der Schulstufe für "magyar", den ungarischen, und das "H" für "hrvatski", den kroatischen Zweig. Alle Unterrichtsgegenstände, mit Ausnahme von Mathematik, werden auf Ungarisch und Deutsch beziehungsweise auf Kroatisch und Deutsch gelehrt.

Seit dem 9. September 1992 gibt es dieses achtstufige Gymnasium, das für die burgenländischen Volksgruppen wie maßgeschneidert scheint. Denn für die Kinder, die sich für diese Ausbildung entscheiden, ist die Zweisprachigkeit kein Problem: sie sind zum Großteil "Burgenland-Kroaten" oder ungarischstämmige Burgenländer.

"Die Kinder des ungarisch-sprachigen Zweiges kommen vor allem aus Oberwart, aus Unterwart und aus Siget in der Wart, die Kinder des kroatischen Zweiges meist aus den kroatisch-sprachigen Ortschaften der Umgebung: aus Stinaz, Güttenbach, Neuberg und Weiden bei Rechnitz", sagt Martin Zsifkovits, Direktor des Gymnasiums. Er ist Burgenland-Kroate und unterrichtet seine Volksgruppensprache auch selbst. Sein Name wurde in den Medien bekannt, als vor Jahren eine der Briefbomben - adressiert an Angela Resetarits, die Mutter der "drei berühmten Brüder aus Stinaz" und seine Tante - seinen Namen und die Adresse des "Zweisprachigen Gymnasiums" als Absender trug. Die Briefbombe explodierte damals in einem Postamt in Graz.

1992 wurde die Schule mit zwei 1. Klassen eröffnet; 15 Schüler begannen damals im ungarischen, 23 im kroatischen Zweig. Eigenes Gebäude gab es vor acht Jahren noch keines: das "Zweisprachige Gymnasium" war drei Jahre lang in der Hauptschule Oberwart untergebracht und verfügte neben den beiden Schulklassen über einen eigenen Verwaltungsraum und ein Konferenzzimmer. Stammlehrer gab es anfangs auch keine: alle Lehrer mußten - um ihre vorgeschriebene Stundenanzahl zu erfüllen - noch in anderen Schulen unterrichten.

Heute gibt es 230 Schüler in zwei Mal acht Klassen. Die Schule ist damit optimal und nach Plan ausgelastet. Der Lehrkörper umfaßt insgesamt 44 Professoren und Professorinnen, wovon 25 Stammlehrer sind. Die meisten von ihnen sind entweder selbst zweisprachig aufgewachsen oder sie haben ungarisch beziehungsweise kroatisch perfekt erlernt.

"Den meisten Eltern ist es wichtig, daß die Kinder die Sprache ihrer Volksgruppe pflegen und gleichzeitig perfekt Deutsch können", weiß Direktor Zsifkovits. Jene Kinder, die zweisprachig aufgewachsen sind und/oder eine der "einschlägigen" Volksschulen besucht haben, werden ohne weiteres im Gymnasium aufgenommen. Interessiert sich darüberhinaus ein Kind für die angebotene zweisprachige Ausbildung, muß es Sprachkurse nachweisen und vor Schulbeginn eine kleine Prüfung ablegen.

Am 6. Juni 2000 werden die ersten Maturanten feierlich verabschiedet werden. Direktor Zsifkovits hofft aufgrund ihrer speziellen Qualifikation, daß Firmen, die sich in Ungarn und/oder Kroatien engagieren, Interesse an den Absolventen haben werden. Die ersten Maturanten des "Zweisprachigen Gymnasiums Oberwart" selbst erhoffen sich - nach einer zusätzlichen Ausbildung - alle bessere Chancen im Arbeitsmarkt.

Diana Kovac zum Beispiel, Schülerin der "8H", möchte nach der Matura mit einem Dolmetschstudium beginnen. Sie hat zwar einen ungarischen Familiennamen, kommt aber aus dem kroatischen Neuberg. Sie ist zweisprachig aufgewachsen und enorm engagiert: in der Schule singt sie im kroatischen Chor und spielt Tamburizza, und in Neuberg ist sie Mitglied der Theatergruppe, die Stücke im örtlichen kroatischen Dialekt aufführt.

Daniel Martos entstammt einer ungarischstämmigen Familie aus Oberwart und ist Schüler der "8M". Er hat in seiner Heimatstadt den ungarischen Kindergarten und anschließend die ungarische Volksschule besucht, bevor er sich ins "Zweisprachige Gymnasium" eingeschrieben hat. Mit der Großmutter spricht er ungarisch, mit den Eltern meist deutsch. Er hat noch "keine Ahnung", was er im Herbst machen möchte.

Voll ausgelastet Mit ganz anderen Voraussetzungen ist Hubert Baumgartner vor acht Jahren in die Schule gekommen: der gebürtige Oberwarter hat zwar keine ungarischen Wurzeln, ist aber ebenfalls in den ungarisch-sprachigen Kindergarten und in die ungarische Volksschule gegangen. Auch für ihn war der Wechsel in das "Zweisprachige Gymnasium" daher kein Problem. Er möchte nach Beendigung des Grundwehrdienstes Informatik studieren und hofft auf berufliche Vorteile im Berufsleben. Große Chancen rechnet er sich vor allem nach einer EU-Osterweiterung aus.

Dagmar Wallner hat keine besonderen sprachlichen Vorkenntnisse aus dem Elternhaus und Kroatisch während der Volksschule als Freigegenstand erlernt. Gegenüber jenen Mitschülern, die zweisprachig aufgewachsen sind, fühlt sie sich jetzt nicht mehr wirklich benachteiligt. Auch diese Achtklasslerin hofft, nach der Matura und einem Wirtschaftsstudium mit einem Qualifikationsvorsprung auf Jobsuche gehen zu können.

Zehn Schüler sind nicht nur ungarisch-sprachig, sondern "echte Ungarn". Sie kommen täglich mit dem Bus aus Szombathely und möchten - quasi umgekehrt - von der Chance profitieren, neben Ungarisch auch Deutsch als Unterrichtssprache zu hören. Die Zeugnisse werden in ihrem Heimatland anerkannt.

Einige wenige Kinder haben nach den Kriegen in Bosnien und Kroatien in der Umgebung von Oberwart ein neues Zuhause und in diesem einzigartigen Gymnasium eine gute Möglichkeit der Integration gefunden.

"Zweisprachiges Gymnasium Oberwart" steht in drei Sprachen in großen Lettern im Eingang, auch alle Beschilderungen im Haus sind dreisprachig. Im Pausenhof, in den Gängen und in den Klassen sind deutsche, ungarische und kroatische Sprachfetzen zu hören, und auch im Lehrerzimmer spiegelt sich die gelebte Mehrsprachigkeit wider. Die "Verbindungssprache" der Kinder und Lehrer der beiden Zweige ist natürlich Deutsch. Die Schule bietet den Schülern die Sprache des jeweils anderen Zweiges als Freigegenstand an.

Professor Geza Öze spricht Deutsch mit dem unverwechselbaren ungarischen Akzent. Er unterrichtet am "Zweisprachigen Gymnasium Oberwart" Geschichte und Ungarisch. Sein Kollege, Professor Bernhard Humpel, dagegen kommt aus Retz im Weinviertel und hat ungarisch erst auf der Uni gelernt. Er unterrichtet Religion und hat immer gewußt "daß er hier herunter kommen muß, um seine Sprachkenntnisse als österreichischer Lehrer auch wirklich nutzen zu können".

Im Lehrplan unterscheidet sich das "Zweisprachige Gymnasium Oberwart" überhaupt nicht von einem anderen österreichischen Gymnasium. An zusätzlichen Sprachen wird den Schülern neben Englisch, Französisch und Latein ab der 6. Klasse auch Italienisch, Spanisch und Russisch angeboten.

Die Zweisprachigkeit des Unterrichts bringt es mit sich, daß die existierenden Lehrmittel nicht ausreichen. Deshalb organisieren sich die meisten Lehrer der Schule über die österreichischen Lehrbücher hinaus die jeweils adäquaten Bücher aus Ungarn und Kroatien - und stellen mit einem hohen Maß an Eigeninitiative und Mehrarbeit eigene Lehrmittel zusammen.

Sigrid Jankovits hat ihr Lehramt in Deutsch und Geschichte abgeschlossen. Die Burgenländerin mit dem kroatischen Namen spricht aber kein Kroatisch, weshalb sie am "Zweisprachigen Gymnasium" "nur" Deutsch unterrichten darf. Sie ist die Bildungsbeauftragte der Schule und erzählt mit großem Engagement von den vielen Möglichkeiten, die den Schülern hier in Oberwart geboten werden: Das Angebot reicht über die üblichen Schulschikurse und Schulsportwochen weit hinaus und umfaßt schon ab der 2. Klasse Sprachwochen in Ungarn bzw. in Kroatien. Schulpartnerschaften mit Sarvar und Zagreb ermöglichen diesen Austausch. Sommeraufenthalte in den jeweiligen Ländern müssen sich die Schüler und ihren Familien zwar selbst organisieren, werden von der Schule aber gern gesehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung