Mehr als ein Kinderspiel

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" Ich seh rundherum Kolleginnen zusammenklappen, ich seh Langzeitkrankenstände. Manche arbeiten weiter, aber machen halt einfach nur ihren Job. “

Was passiert, wenn man gelbe und blaue Wasserfarben zusammenmischt, wissen die meisten Erwachsenen. Wie man den Pinsel hält, um damit zu malen, wissen sie auch, geschweige denn, wie man einen Bleistift hält. Das sind zwar nicht unbedingt die größten Herausforderungen, aber erlernen muss man das alles auch einmal. Und Kinderbetreuungseinrichtungen spielen dabei heute eine größere Rolle denn je, verbringen doch viele Kinder einen Großteil des Tages dort. Viel Erziehungsarbeit hat sich in den Kindergarten verlagert.

Raphaela Keller, stellvertretende Vorsitzende des österreichischen Dachverbands für Kindergarten- und Hortpädagoginnen, weist vehement darauf hin, dass Bildung nicht erst mit der Schule beginnt. "Wie ich einen Stift richtig halte, muss ich mein ganzes Leben lang wissen“, so Keller. Viele Grundkompetenzen lerne man in den ersten Lebensjahren. "Und dazu brauchen Kinder eine liebevolle Begleitung von Eltern, Pädagogen und Menschen rundherum.“ Gerade an den Pädagogen mangelt es allerdings in Österreich.

Widrige Arbeitsbedingungen

Keller schätzt, dass alleine in Wien an die 600 Kindergartenpädagogen fehlen. In ganz Österreich seien es rund 2.000 zu wenig. Um die Kinder trotz Personalmangels betreuen zu können, gibt es in der Praxis zwei Möglichkeiten. Zum einen werden die Kinder immer öfter von Assistentinnen betreut, die keine pädagogische Ausbildung haben. "Die sind sicher nett zu den Kindern“, sagt Keller. "Aber Einzel- und Entwicklungsförderung passiert halt nicht, das ist dann einfach nur Beaufsichtigung.“ Von der geforderten "Bildungseinrichtung Kindergarten“ kann also in diesem Fall nicht mehr wirklich gesprochen werden.

Zum anderen werden Gruppen zusammengezogen, dann betreut eine Pädagogin nicht mehr 25 Kinder, was im Moment die Höchstgrenze ist, sondern eben 35. "Und das ist Horror“, weiß Keller. "Das ist Massenkinderhaltung. Selbst eine Zuchtsau hat mehr Platz.“ Solange die Arbeitsbedingungen so bleiben, brauche man sich nicht zu wundern, wenn diesen Beruf keiner ausüben wolle. "Ich seh rundherum Kolleginnen zusammenklappen, ich seh Langzeitkrankenstände. Manche arbeiten weiter, aber machen halt einfach nur mehr ihren Job“, berichtet Keller.

Viele Aussteiger, wenig Einsteiger

Theoretisch gäbe es genügend Personal, um des Pädagogenmangels Herr zu werden. Doch einerseits steigen viele aus dem Job aus, andererseits viele gar nie ein, obwohl sie eine Ausbildung absolviert haben. So etwa Christina Wittner, die heuer in der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (BAKIP) in der Wiener Kenyongasse maturiert. "Die Ausbildung war super. Ich konnte mich fachlich, sozial und persönlich entwickeln“, erklärt die 19-Jährige. "Aber ich möchte mich noch weiterbilden und etwas studieren.“ Ihre Kollegin Julia Miksics wird zwar als Kindergärtnerin zu arbeiten beginnen, aber mit 50 sieht sie sich auch nicht mehr in dem Beruf. "Ich will sicher immer etwas mit Kindern machen, aber irgendwann möchte ich schon weiter aufsteigen“, so die Maturantin.

Weiter als bis zur Kindergartenleiterin kann man es in dem Beruf nicht wirklich bringen. Die fehlenden Aufstiegschancen sind, laut Keller, ein Grund, warum der Beruf für manche unattraktiv ist. Ein weiterer Anstoßpunkt ist das Gehalt. Das Einstiegsgehalt liegt in Österreich, je nach Bundesland und Betreuungseinrichtung, bei 1.100 bis 2.400 Euro. "Es müsste so hoch sein, dass wir uns die besten Pädagogen aussuchen können“, sagt Keller und fordert mindestens 1.000 Euro mehr. "Es ist gut, Idealismus vorauszusetzen, aber davon können wir nicht leben.“

Zudem sei die derzeitige Ausbildungsform, die BAKIP, nicht optimal. Die Jugendlichen müssen sich mit 14 für den Beruf entscheiden, wo sie selbst mitten in der Pubertät stecken. Mit 19 sollten sie dann ins Berufsleben starten. "Und wer ist mit 19 eine ausgereifte Persönlichkeit?“, fragt Keller. "Wer kann da für Kinder und Eltern ein Erziehungspartner sein?“

Streitfrage Ausbildung

Bei allen drei Punkten würde, so Keller, eines Abhilfe schaffen: die Akademisierung der Ausbildung. Diese Forderung steht schon länger im Raum, Hannes Androsch hat sie in seinem Bildungsvolksbegehren verankert, und das Konzept "LehrerInnenbildung neu“, das derzeit im Bildungsministerium ausgearbeitet wird, sieht ebenfalls eine tertiäre Ausbildung für Kindergartenpädagoginnen vor. Die ersten Lehrgänge, die im Zuge dieses Konzepts erarbeitet werden, sollen spätestens 2013 starten, heißt es aus dem Bildungsministerium. Ob da allerdings auch schon ein Lehrgang für Kleinkindpädagogik dabei ist, wisse man noch nicht. Geplant sei ein solcher Lehrgang aber auf alle Fälle.

Die tertiäre Ausbildung für Kindergartenpädagoginnen findet aber nicht nur Freunde. Maria Habersack, Direktorin der BAKIP in der Wiener Kenyongasse, kritisiert etwa, dass die Vernetzung von Theorie und Praxis bei einer akademischen Ausbildung nicht mehr in dem Ausmaß gegeben sei. "Ich finde gut, wenn es die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung gibt“, so Habersack. "Aber die Basisausbildung, wie wir sie jetzt anbieten, ist gut.“

Dass die Jugendlichen mit 14 noch zu jung für die Berufsentscheidung sind, lässt sie nicht als Argument gegen BAKIPs gelten. "Gerade bei uns werden die Schülerinnen in dieser Phase gut begleitet und individuell betreut.“ Persönlichkeitsbildung sei ein wesentlicher Teil der Ausbildung, auch die würde es bei einer akademischen Ausbildung nicht in der Form geben. Der Pädagogenmangel liegt, so ist Habersack überzeugt, an den Arbeitsbedingungen, vor allem der Betreuungsschlüssel sei ein Problem. "Wir haben ein System, in dem Pädagogen generell überfordert sind, auch Volksschullehrerinnen. Das lässt sich mit einer höheren Ausbildung nicht ändern.“

In der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen sind sich letztlich alle einig. "Denn ich kenne viele, die für diesen Beruf brennen“, sagt Keller. "Aber unter diesen Umständen brennen sie aus.“

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