Antreten zur großen Lehrerselektion

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Montag, 1. September, knapp vor 14 Uhr: Während es draußen wie aus Schaffeln schüttet, steigt vor der Halle A der Messe Wien langsam die Anspannung. Rund 100 Eltern, Geschwister, Freundinnen und Freunde warten darauf, unter den blockweise nach draußen eskortierten jungen Leuten ein bekanntes Gesicht zu erspähen. Unter ihnen ist Manfred Danninger aus Herzogsdorf bei Linz, der nach seiner Tochter Theresa fahndet. Frühmorgens hat der Event-Manager bereits ihre Möbel in einem Pferdeanhänger nach Wien gekarrt. Sobald der Test vorüber ist, will er mit der ehemaligen Petrinum-Schülerin und künftigen Mathematik-und Sport-Studentin das Zimmer im Studentenheim beziehen. Dass Theresa als zigfache Ruder-Staatsmeisterin den Nachweis der körperlich-motorischen Eignung schaffen wird, steht für ihn außer Frage. Dass sie den zweieinhalbstündigen Multiple-Choice-Test gemeistert hat, ist ohnehin klar: Durchfallen ist unmöglich. Wer immer sich an der Uni Wien für ein Lehramtsstudium angemeldet und das neue, dreistufige Eignungsverfahren durchlaufen hat, wird aufgenommen. Knapp 2500 Kandidatinnen und Kandidaten haben das verpflichtende Online-Self-Assessment (OSA) absolviert, das die eigene Motivation für den Lehrberuf prüft und zur Teilnahme am schriftlichen Test berechtigt. 1949 Personen sind tatsächlich heute erschienen und haben ihre Kreuzchen gemacht: Anfangs zu Fragen über einen vorgegebenen, schulpädagogischen Text, später zu kniffligen Logik-und Sprachverständnisfragen. Wer mehr als 30 Prozent richtig beantwortet hat, wird zum Studium zugelassen. Wer diese Schwelle verfehlt, muss zu einem Beratungsgespräch. Beginnen kann er trotzdem.

Gibt es die geborene Lehrerpersönlichkeit?

Ein Modell, das nicht jedem gefällt. "Ich finde, man sollte den jungen Leuten schon etwas abverlangen und nicht jeden nehmen", sagt Theresas Vater vor der Halle A. Ein paar Meter weiter, beim Stand der "Zentrumsvertretung LehrerInnenbildung" der ÖH, herrschen andere Ansichten: Die Eignung zum Lehrberuf sei "nichts Feststehendes", das man testen könne. Ein gutes Studium müsse vielmehr dazu da sein, diese Eignung überhaupt zu entwickeln. Kann jeder "Studierfähige" also lernen, ein guter Lehrer zu sein? Oder gibt es die "geborene Lehrerpersönlichkeit", die man mit Hilfe eines Tests eruieren könnte? Eine Gretchenfrage, auf die Österreichs Universitäten mit ihren neuen Aufnahmeverfahren, die laut Universitätsgesetz 2002 seit heuer vorgeschrieben sind, höchst unterschiedliche Antworten gefunden haben.

In Wien geht man von einem "Professionalisierungsansatz" aus - und nicht von der Annahme, es gäbe die "geborene" Lehrerpersönlichkeit, erklärt Ilse Schrittesser vom Zentrum für LehrerInnenbildung. Das für den Lehrerberuf erforderliche Wissen und Können wird demnach im Laufe des Studiums angeeignet und muss nicht schon davor quasi als Persönlichkeitsprofil mitgebracht werden. "Um sich all das aneignen zu können, bedarf es entsprechender kognitiver Fähigkeiten und es braucht Interesse und Motivation -danach fragen wir sowohl im Online-Self-Assessment als auch im Aufnahmetest", so Schrittesser. Dass de facto jeder aufgenommen wird, der alle Stufen des Aufnahmeverfahrens durchläuft, liege einfach daran, dass die Plätze nicht limitiert seien. Von einem Szenario wie im Fach Psychologie an der Uni Wien, wo etwa am 2. September 2074 Prüfungsteilnehmer um 500 Studienplätze rittern mussten, ist man im Lehramt tatsächlich entfernt.

Auch die zuständige Vizerektorin für Lehre an der Universität Wien, Christa Schnabl, verteidigt den Wiener Weg, niemanden auszusondern: "Die gesetzlich vorgeschriebene Eignungsüberprüfung gestalten wir so, dass sie die Studierenden unterstützt, eine reflektierte Studienwahl treffen zu können", erklärt sie. "Damit können wir einen Teil von Studienabbrüchen, die sonst im Verlauf des Studiums erfolgen, verhindern."

Äußerst reflektiert ging es beim Lehramtsstudium an der Uni Innsbruck schon bisher zu. Schließlich ist man an der School of Education Pionier darin, Lehramtsstudierende möglichst früh mit sich selbst und ihrem künftigen Beruf zu konfrontieren. Nun sind auch neue Aufnahmeverfahren dazugekommen. Statt eines Self-Assessments mussten Interessenten hier Motivationsschreiben verfassen, auf die sie Feedback erhielten. 581 haben sich für den schriftlichen Test am 24. Juli registriert. "Davon haben 502 die Anforderungen geschafft und können sich zum Lehramtsstudium anmelden", erklärt Michael Schratz, Dekan der School of Education. Man bemühe sich um einen "möglichst niederschwelligen Zugang", schließlich gebe es "kein valides Instrument, das prognostizieren kann, wer einmal eine gute Lehrerin oder ein guter Lehrer wird", ist er wie Christa Schnabl überzeugt. Es gebe freilich Fähigkeiten, die für Lehrer besonders wichtig seien und durchaus getestet werden könnten: etwa Reflexionsfähigkeit, um sich vom eigenen Tun zu distanzieren und nicht sofort ins Burnout zu schlittern; oder Flexibilität, um sich auf heterogene Schülergruppen einzustellen. Den "typischen, guten Lehrer", den man nur kopieren müsse, gibt es aber nicht, so Schratz -sehrwohl jedoch "personal mastery", also persönliche Könnerschaft, die man sich erarbeiten müsse.

Auswahlverfahren ohne Auswahl?

Etwas weiter geht man indes im Süden Österreichs: Beim neuen, zweistufigen Aufnahmeverfahren, das Uni Graz, TU und Kunstuni Graz sowie Uni Klagenfurt gemeinsam entwickelt haben, steht die persönliche Eignung für den Lehrberuf klar im Mittelpunkt. Bei "geführten Touren" auf der Plattform "Career Councelling for Teachers" (www. cct-austria.at) können angehende Lehrer erkunden, wie sie in bestimmten Entscheidungssituationen reagieren würden. Im schriftlichen Zulassungstest, der von 8. bis 10. September über die Bühne geht, wird schließlich nicht nur ihre Sprachkompetenz samt Rechtschreibfähigkeit geprüft, sondern auch emotionale Fähigkeiten und Belastbarkeit (s. unten). Rund 1200 Personen haben sich angemeldet, erklärt Martin Polaschek, für Studium und Lehre zuständiger Vizerektor der Universität Graz. Gut möglich, dass so mancher den Test nicht besteht. "Aber wenn ich ein qualitatives Aufnahmeverfahren mache, dann muss es eben auch Leute geben, die den Qualitätskriterien nicht entsprechen", sagt Polaschek.

An den Pädagogischen Hochschulen ist diese Selektion seit Jahren üblich. An der PH Niederösterreich etwa wurden bei den diesjährigen Eignungsfeststellungen, bei denen neben schriftlicher und mündlicher Sprachkompetenz und persönlicher Eignung auch die musikalisch-rhythmische sowie die körperlich-motorische Eignung getestet wurde, rund zwei Drittel negativ beschieden. Die meisten wegen Rechtschreibschwäche.

An der Uni Wien wird derlei nicht geprüft. Dafür gibt es endlos viele Syllogismen und Matrizen zu knacken, erzählt Theresa Danninger mit rosa Backen kurz nach 14 Uhr vor der Halle A. Sie selbst hat damit keine Probleme gehabt; die 47-Jährige, die kurz vor ihr herausgeleitet wird, allerdings schon. "Ein Wahnsinn, wie man im Alter abbaut", ächzt die Journalistin, die vor 20 Jahren Philosophie studiert hat und nun als zweites Standbein das Lehramtsstudium Philosophie, Psychologie und Pädagogik beginnen will. "Dieser Test zeigt überhaupt nicht, ob man einmal ein guter Lehrer wird," ist sie überzeugt. "Er zeigt höchstens, was sich die jungen Leute heute alles gefallen lassen."

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