Erste Hilfe beim Praxisschock

Werbung
Werbung
Werbung

Die Erfahrungen, die Junglehrerinnen und -lehrer beim Berufseinstieg sammeln, sind prägend. Speziell ausgebildete Mentorinnen und Mentoren sollen sie künftig noch intensiver begleiten.

Die junge Frau ist hoch motiviert. Fachlich bestens vorbereitet und mit einem fertigen, didaktischen Skript im Kopf betritt sie die Klasse. Doch die Realität in Gestalt von etwa 30 lautstarken Spätpubertierenden will sich nicht so recht an ihr Drehbuch halten: Manche sitzen nicht an ihrem Platz, andere jausnen oder lustwandeln durch die Parallelwelt ihres iPhones, während bei der jungen Studentin Euphorie und Stimme gleichermaßen schwinden. "Die Schülerinnen und Schüler meinen das nicht böse“, weiß Margareta Petermandl. "Man muss ihnen halt heute als Lehrerin oder Lehrer vorher sagen, wie man sich einen Stundenanfang vorstellt.“

Seit 20 Jahren unterrichtet Petermandl an der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe in der Grazer Schrödingerstraße Deutsch und katholische Religion. Zusätzlich betreut sie junge Menschen, die erste Erfahrungen in der Lehrerrolle sammeln: sei es in einem von vier "Schulpraktika“, wie sie seit 2008 an der Karl-Franzens-Universität Graz bereits ab dem ersten Abschnitt des Lehramtsstudiums vorgeschrieben sind; sei es beim einjährigen "Unterrichtspraktikum“ danach.

Kein Unterricht ohne Beziehungsarbeit

So wenig Petermandl vom weitverbreiteten Lamento über die mangelnde Disziplin der heutigen Jugend hält - die pädagogischen Anforderungen hätten sich zweifelsfrei verändert: "Die Konzentrationsfähigkeit ist geringer geworden, weil die Jugendlichen durch die neuen Medien ständig in zwei Wirklichkeiten zu Hause sind“, weiß die drahtige 50-Jährige. "Wenn man glaubt, dass man einfach in eine Klasse gehen kann, ohne viel in Kommunikationsregeln und Beziehungsarbeit investieren zu müssen, dann geht man unter.“

Zu dieser Beziehungsarbeit gehört auch das Wissen um die eigenen Bedürfnisse: Was brauche ich, um mich in einer Klasse wohlzufühlen? Welche Signale sende ich mit meinem Körper und meiner Stimme aus? Das alles und noch viel mehr lernen angehende Lehrer freilich nicht an der Uni oder Pädagogischen Hochschule, sondern erst "on the job“. Praxisschock inklusive.

Um ihn so gering wie möglich zu halten, bedarf es der Begleitung durch erfahrene Kollegen. Im Zuge der Praxis-Vertiefung bei der universitären Lehrerausbildung hat man in Graz bereits 2010 eine eigene Mentorinnen-Ausbildung eingerichtet. Vergangenen Oktober wurde nun im Rahmen der "Pädagoginnenbildung neu“, die für alle künftigen Lehrerinnen und Lehrer eine ein- bis zweijährige "Induktionsphase“ vorsieht (siehe links unten), der österreichweit erste Hochschul-Lehrgang "Mentoring: Berufseinstieg qualitätsvoll begleiten“ gestartet. Ein Entwicklungsverbund aus vier Institutionen hat das berufsbegleitende Weiterbildungsangebot konzipiert, das im Endausbau nach sechs Semestern mit einem "Master of Education“ abschließen soll: Neben der Grazer Uni sind dies die Pädagogischen Hochschulen Steiermark und Burgenland sowie die kirchliche pädagogische Hochschule Graz.

28 Lehrerinnen und Lehrer - die allermeisten aus dem Pflichtschulbereich - haben sich zur Teilnahme entschieden. Gerlinde Gsell ist eine von ihnen. Seit Langem begleitet die Lehrerin an der Grazer Volksschule Leopoldinum Studierende der Pädagogischen Hochschule während ihrer Praxisstunden und versucht sie bei schulischen Herausforderungen zu unterstützen: angefangen von mühsamer Bürokratie über nötige Disziplinierungsmaßnahmen bis zur multikulturellen Zusammensetzung der Klasse. Sie selbst hätte sich eine solche Begleitung bei ihrem Berufseinstieg vor 25 Jahren sehnlichst gewünscht: "Das war für mich eine sehr einsame Zeit“, erinnert sie sich, "ich hätte nicht gewusst, an wen ich mich mit meinen Fragen und Problemen wenden soll.“ So sehr sie sich als Unterstützerin junger Kolleginnen begreift, so sehr profitiert sie selbst von dieser Begegnung: "Der Input, den ich bekomme, ist eine gewisse Form von Unbeschwertheit“, erklärt Gsell.

Margareta Petermandl von der HLW Schrödinger sieht das ganz ähnlich: "Die jungen Kolleginnen bewahren mich mit ihren Ideen und ihrem Engagement davor, in der Routine zu erstarren“, sagt sie lächelnd. Sie selbst helfe ihnen im Gegenzug, etwas mehr in sich hineinzuspüren. Die junge Schulpraktikantin etwa, die anfangs überaus eifrig, aber auch etwas unsicher war, sei mittlerweile aufgeblüht. "Sie setzt jetzt bewusst ihre Stimme ein und ist auch viel fröhlicher geworden“, sagt die leidenschaftliche Pädagogin. "Und das ist auch das wichtigste: Denn eine Stunde, in der nicht gelacht wird, ist eine verlorene Stunde.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung