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Höllen für die Kinder

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Das Jahr des Kindes bedeutet für die Caritas eigentlich nur einen .Aufhänger“,» um für das zu werben, wofür wir die ganze Zeit - ob Jahr des. Kindes oder nicht Jahr des Kindes - werben müssen.

Uns werden verständlicherweise für unsere Institutionen und Einrichtungen hauptsächlich solche Kinder anvertraut, die praktisch in der Familie verkümmern müßten. Entweder weil die Familie oder ein Teil der Familie asozial ist oder weil sie so krank, behindert, beschädigt sind, daß es bestimmter Apparaturen und spezialisierter Methoden bedarf, um ein Minimum an Besserung des Zustandes herbeizuführen.

Dazu kommt, daß wir eine Art Gewissenserforschung in diesem Jahr des Kindes vornehmen müssen - vor allem über das Problem, wie unheimlich Kinderheime sind. Es gibt einen Slogan, wonach jede Familie besser ist als das beste Heim. Das ist natürlich ein Stumpfsinn, leider ein an Verbreitung an Boden gewinnender Stumpfsinn. Schauen Sie sich konkrete Familien an und Sie haben eine Kleinhölle, in der ein Kind verkümmert, in der ein Kind ruiniert wird, in der ein Kind geistig, psychisch und manchmal auch körperlich vergewaltigt wird.

Es wird also nichts übrigbleiben, als ein Kind aus sol-

chen Familien herauszuretten. Dann ist aber immer noch die Frage, ob nicht eine Erziehungsfamilie, d. h. eine Ersatzfamilie, besser ist als ein Heim. Aber es ist nicht gesagt, daß eine Erziehungsfamilie im schlechten Fall nicht ein Kind hält, so wie sich andere Leute Kaninchen heilten oder eine Nutriazucht machen, weil man so und so viel an Beiträgen kriegt und weil ja schließlich niemand in den Suppentopf hineinschaut, aus dem man das Kind ernährt.

Ich will nicht sagen, daß das etwa in der Mehrzahl oder auch nur im Durchschnitt aller Fälle zutrifft. Aber angenommen, ich würde eine Polemik gegen solche Ersatzfamilien star ten, dann wäre das eine zumindest ebenso unfaire Methode, wie die, die gegen Heime angewendet wird. Unheimlich am Heim ist höchstens, wenn man zu wenig Geld hat, um kleine Gruppen durch Personen betreuen zu lassen, die ständige Bezugsperson für diese Kinder sind und daher, so gut es eben ist, Mutter und Vater ersetzen können.

Wir fragen uns also, ob wir diesen Trend, Kinder in private Familien zu geben, nicht unterstützen sollen, und es spricht sicher sehr viel für die nicht so argen Fälle dafür. Für die ganz argen wird nichts anderes übrigbleiben, als das fortzusetzen, was die Caritas seit Jahrzehnten, nicht entsprechend zur

Kenntnis genommen von der Öffentlichkeit, tut - etwa in den Kinderdörfem.

Ich bin sicher hart gesotten und verhärtet durch den Kontakt mit großem Elend und ich habe kürzlich eine Gruppe schwerstbehinderter Kinder aus dem Heim der oberösterreichischen Caritas (Piusheim) besucht. Was diese Schwestern an musikalischer, rhythmischer Leistung aus diesen Kindern herausgebracht haben, wie sie sie dazugebracht haben, sich vor uns zu „produzieren“, ohne Angst, ohne Scham, mit einer gewissen freundlichen Sicherheit, das allein ist ein Erziehungsresultat, das man nur mit Begeisterung zur Kenntnis nehmen kann.

Aber Nichtsdestoweniger glaube ich, was auch immer wir in diesem Jahr des Kindes tun, nichts die beschämende Tatsache aus der Welt schafft, daß in diesem Jahr des Kindes nicht nur in Europa Kinder mißhandelt werden, sondern die erstaunlichste, die gräßlichste, die unfaßbarste Tatsache, die uns aus Ubersee, aus Indochina gemeldet wird: Das Auschwitz der siebziger Jahre.

Es scheint zu stimmen, daß im großen und ganzen alle Kinder zwischen null und fünf Jahren in Kambodscha verhindert sind - es gibt gar keine. Und es ist richtig, daß die zwischen fünf und neun jetzt am Verhungern sind. Noch ärger, wenn es wahr ist, was immerhin der höchste Verantwortliche der Kinderhilfsorganisation (UNICEF) öffentlich erklärt hat, daß er damit rechnet, daß im kommenden Jahr zwölfeinhalb Millionen Kinder verhungern werden, wenn nicht drastische Maßnahmen erfolgen.

Das ist natürlich eine Schmach, wenn eine Weltaktion, die in das Leben gerufen wurde, um die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der Kinder zu lenken, dieses Faktum zur Kenntnis nehmen muß.

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