Gugic - © Foto: Dirk Skiba

Sandra Gugić: Ein Ende der Bescheidenheit

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Sandra Gugić fordert ein Ende der strukturellen Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb sowie eine solidarische, inklusive Gesellschaft. Den Akt des Schreibens begreift sie als selbstbestimmten Augenblick, als Moment der Freiheit.

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Sandra Gugić fordert ein Ende der strukturellen Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb sowie eine solidarische, inklusive Gesellschaft. Den Akt des Schreibens begreift sie als selbstbestimmten Augenblick, als Moment der Freiheit.

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Was braucht es zum Schreiben? Eines Romans, einer Erzählung, eines Gedichts? Schreiben nimmt einen vollständig ein. Das Gleiche trifft auf Mutterschaft oder Elternschaft zu. Und nach wie vor sind es die Mütter, denen unsere Gesellschaft mehr abverlangt. Es sind immer noch die Frauen, die den Hauptanteil der Care- oder Sorgearbeit stemmen. Eine Arbeit, die meist unbezahlt ist. Im Ausnahmezustand der Pandemie ist dieser Umstand offensichtlicher und unübersehbarer als jemals zuvor. Wir sehen und staunen dabei nicht einmal, wie wenig sich verändert hat.

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Die Lebensbedingungen der meisten Schreibenden sind an sich schon prekär genug, jetzt erleben wir eine allgemeine Prekarisierung der Lebensbedingungen, die einhergehen mit einer politischen und klimatischen Krise. Kürzlich schreibt mir eine Kollegin: „Wir schaffen das Unmögliche jeden Tag.“ Die Unmöglichkeit des Spagats zwischen zwei Dingen, die volle Aufmerksamkeit und Hingabe fordern, und zwar gleichzeitig. Die Unmöglichkeit der Gleichzeitigkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung. Hier das Schreiben, da die Verantwortung für Kinder. Aber warum dieses Wort: Hingabe. Darin hat sich wieder die Aufopferung versteckt, die patriarchal geprägte Annahme, dass wir uns für die Kinder hergeben hingeben aufopfern müssen.

Es fehlt an Solidarität

Wir haben uns dieses Leben schließlich ausgesucht. Das Leben mit der Verantwortung für Kinder wie auch das Schreiben. Wir haben gewusst, was das bedeutet. Ist das wirklich so einfach? Natürlich ist die Entscheidung für ein Kind zu sorgen weitgehend freiwillig, aber was die Unmöglichkeit, den Spagat erzeugt, sind die gesellschaftlichen Umstände, wir können nicht unabhängig von den allgemeinen Arbeits- und Produktionsbedingungen leben, die unsere Gesellschaft vorgibt. Es fehlt an Zeit, Raum und Solidarität. Niemand weiß vor dem Kinderhaben wirklich Bescheid über die unfassbare Unberechenbarkeit der in ständiger Veränderung begriffenen neuen Lebensumstände, die schon vor dem Tag der Geburt geprägt sind von Entwicklungsphasen und Bedürfnissen eines Kindes.

Die meisten Menschen müssen, um ihren Unterhalt zu bestreiten, mehr als acht Stunden am Tag arbeiten. Auch Schreibarbeit braucht mehr als diese Stunden, sie hört nie auf, die Gedanken und Fragen laufen weiter, der Text schreibt sich weiter im Unbewussten. Wie lange wird an einem Buch oder Text geschrieben, wie oft und lange davon unbezahlt, ins Blaue hinein, weil noch kein Verlagsvertrag abgeschlossen, keine verbindliche Zusage gemacht worden ist? Und dann geht es natürlich auch ums Geld: Welche Honorare und Vorschüsse werden – vor allem an Frauen – bezahlt? Kann man davon leben, überleben, weiterschreiben?

Das Scheitern gehört zum Schreiben wie zum Kinderhaben dazu. Wir scheitern nicht an der Mutterschaft oder Elternschaft, sondern an dem dauernden Ausnahmezustand, der gesellschaftlich nirgendwo abgefedert wird. Wenn wir sowohl für unsere Elternschaft/Kinder/Sorgearbeit als auch für unsere Kunstproduktion gleichermaßen Kraft einsetzen und Verantwortung übernehmen, wird vor allem den Müttern entweder das eine oder das andere vorgeworfen, da sich diese beiden Dinge scheinbar ausschließen müssen – so das oft wiederholte patriarchal geprägte Vorurteil, das auch von Frauen reproduziert wird. Wir können entweder gute Mütter oder gute Künstlerinnen sein, beides zu wollen sei unvereinbar. Wirklich? Wollen wir nicht lieber ein Ende der strukturellen Benachteiligung von Künstlerinnen fordern und damit auch ein Ende der Bescheidenheit ausrufen?

Eine Gesellschaft, die zukunftsfähig sein will, muss den Willen zur Veränderung haben. Eine solidarische, inklusive Gesellschaft kann neue Räume und Möglichkeiten öffnen. Die Kunst- und Kulturlandschaft wäre der richtige Boden für gelebte Utopien. Aber der Literaturbetrieb füttert nach wie vor einen überholten Geniekult, Vielfalt scheint hier nur als Marketingkonzept Gewicht zu bekommen. Kinder oder Sorgearbeit sind eigentlich nicht vorgesehen, nach wie vor werden männliche Autoren anders wahrgenommen, besprochen und prämiert. Auch erfolgreiche Autorinnen werden medial gern verniedlicht oder verkleinert, als „fleißig“ bezeichnet. Bezeichnend ist, dass die berühmteste Hausfrau der zeitgenössischen Literatur Karl Ove Knausgård heißt. Siri Hustvedt erzählt in einem ihrer Essays von einem öffentlichen Interview, das sie mit Knausgård geführt hat. Am Ende stellt sie ihm die Frage, warum er in seinem Buch „Kämpfen“ – neben unzähligen Verweisen auf männliche Autoren – nur eine einzige Autorin erwähnt: Julia Kristeva. Ob es denn keine Autorinnen gebe, die seine Arbeit beeinflusst hätten, was denn der Grund für diese offensichtliche Auslassung sei? Knausgård antwortet schlicht: „No competition.“

Frauenlebenidealbilder

Diese Antwort könnte abgetan werden als überholt, überheblich, schlicht realitätsfern. All das ist ebenso richtig wie falsch. Frauen, Autorinnen und Mütter haben die Plätze verlassen, die ihnen die Gesellschaft so lange zugewiesen hat, treten selbstbewusst auf, sind erfolgreich, was sie aber sofort wieder zum Ziel von Angriffen macht. Geschlechterproblematik und insbesondere Frauenfeindlichkeit ist eine Konstante in der Geschichte der Literatur und in der Kunst. Geschlechterfragen und Unterdrückungskategorien sind das Epizentrum gesellschaftlicher Entwicklungen. Es gibt kein weibliches Schreiben, aber es gibt ein politisches Schreiben aus einer weiblichen Perspektive. Wir können dagegen anschreiben, als ob es ein Morgen gibt, eine Zukunft mit neuen Utopien und Bildern. Es gilt, neue und positiv geprägte Bilder für Mutterschaft und Autorinnenschaft zu finden und die überholten Frauenlebenidealbilder endgültig zu verwerfen.

Wir können entweder gute Mütter oder gute Künstlerinnen sein, beides zu wollen sei unvereinbar. Wirklich?

Sandra Gugić

Welche Geschichten erzählen wir, welche Bilder reproduzieren wir? Sind wir wieder bei Virginia Woolf, dem Zimmer für uns allein? Nein, da geht mehr: Ein Panic Room, ein Crash Room, ein Kinderzimmer, Küche, Bad, gut, schon ein bisschen voll hier, da stell ich also auch den Schreibtisch rein. Wie fängt das an? Oder wo? Beginnt es damit, dass Männer ebenso gefragt werden, wer denn jetzt gerade bei ihren Kindern ist, wenn sie ein Interview geben? Oder damit, dass wir davon erzählen, dass die Erfahrung von Elternschaft oder Sorgearbeit unsere künstlerische Arbeit auch vertiefen kann? Oder mit der Umwidmung von Aufenthaltsstipendien, die keinen Platz für die Lebensbedingungen von Kindern oder Familie vorsehen, in Arbeitsstipendien, die nicht an Orte gebunden sind? Was ist mit Kulturveranstaltungen, die das Vorhandensein von Kindern bedenken und Betreuung anbieten? Was wäre, wenn wir die Ausschlusskriterien aufheben. Wir brauchen keine Zimmer für ein ungestörtes Sein, wir brauchen ein Fluten der Räume, die allein aus einer klischeehaft-männlichen Haltung gedacht werden.

Gugic - © Foto: Dirk Skiba

Sandra Gugić

Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin mit serbischen Wurzeln wurde 1976 in Wien geboren, wo sie an der Universität für Angewandte Kunst studierte. Gugić arbeitete zunächst als Grafikdesignerin, bevor sie 2009 mit dem Schreiben begann.

Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin mit serbischen Wurzeln wurde 1976 in Wien geboren, wo sie an der Universität für Angewandte Kunst studierte. Gugić arbeitete zunächst als Grafikdesignerin, bevor sie 2009 mit dem Schreiben begann.

Ursula K. Le Guin sagt, dass eine Autorin keinen kinderfreien Raum braucht. Sie brauche einzig einen Stift und Papier. Das sei genug, solange sie weiß, dass nur sie allein verantwortlich ist dafür, was dieser Stift zu Papier bringt. In anderen Worten, dass sie frei ist. Nicht gänzlich frei. Aber frei in diesem selbstbestimmten Augenblick, dem Akt des Schreibens. Wir müssen anfangen, Forderungen zu stellen, in Austausch treten, einander Komplizinnen sein und Banden bilden. Wir als Wir der Majestät, niemals als Wir der Bescheidenheit. Wir sind viele, und wir sind vielstimmig, wir haben jedes Alter, sind vielsprachig und von verschiedenster Gestalt. Wir als verletzlicher Körper im Zentrum des politischen Geschehens. Unsere Revolution beginnt mit Zerbrechlichkeit.

Die Autorin ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Zuletzt erschien der Roman „Zorn und Stille“.

HINWEIS: Die FURCHE-Ausgabe, in der dieser Beitrag erschienen ist, war dem Thema „Frau sein“ gewidmet. Als Einladung zum Perspektivenwechsel wurde bei im Text erwähnten Personengruppen grundsätzlich die weibliche Form verwendet.

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