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Das Einfamilienhaus: Ist es wirklich nichts anderes als das Sinnbild kleinbürgerlicher Repräsentation oder eines unzeitgemäßen Egoismus, ein Luxus, den wir uns aus wirtschaftlichen Gründen, im Hinblick auf die Versiedlung der Landschaft und die Belastung der Gemeinden mit Aufschließungskosten nicht leisten können? Gibt es zu der weithin ausufernden Bebauung mit freistehenden „Eigenheimen“ keine Alternative als das Gegenteil: die Mietkaserne und die fortschreitende Massierung in immer höheren, größeren Massenmiethäusern? Ist die unbestreitbare Tatsache, daß in Deutschland, Österreich und höchstwahrscheinlich auch in den Nachbarländern das Einfamilienhaus für 75 bis 85 Prozent der Bevölkerung trotz aller anderen Angebote immer noch „Wunschwohnform“ geblieben ist, wirklich nur ein Beweis für die Unvernunft dieses größten Teiles der Bevölkerung? Oder wäre es nicht demokratischer, in dieser ganz elementaren Lebensfrage den Volkswillen etwas ernster - nämlich ernst - zu nehmen, statt grundsätzlich das Gegenteil zu bauen, wie das jahrzehntelang auch angesichts wirtschaftlicher Hochkonjunktur und unbegrenzter „technischer Möglichkeiten“ geschehen ist? Ist unser „Fortschritt“ schon so weit gediehen, daß wir zwar alles mögliche, nicht aber die jahrhundertelang für alle Bevölkerungsschichten selbstverständliche Wohnform erfüllen können?

Denn tatsächlich wünscht sich die Bevölkerung im Grunde ja wirklich nichts anderes als eine Hausform, die bis vor hundert Jahren noch weitgehend selbstverständlich war und das heute noch in den Großstädten bedeutendster Hochkulturen ist - da ja nicht nur die alten Städte des Mittelmeerkreises aus jenen, schon den Schülern bekannten Atriumhäusern bestanden haben, da auch die 8 Millionen Einwohner Pekings in ebenerdigen Hofhäusern wohnen, ebenso wie die der alten iranischen Großstädte, da die 7 Millionen Bewohner des gewiß modernen und gut funktionierenden Londons in zweigeschossigen Einfamilienreihenhäusern wohnen. Eine Hausform, die ja bekanntlich auch für Bremen als typisch gut. Schließlich sind die zahlreichen west- und mitteleuropäischen Klein- und Mittelstädte mit niedrigen, aneinander gereihten Häusern und ruhigen Höfen dahinter bebaut, die großteils als Einfamilienhäuser entstanden sind, wenn sie auch der Großfamilie und ihrer Arbeitsstätte gedient haben und so voluminöser geworden sind als ein heutiges Einfamilienhaus.

Aus welchen Gründen sollte das alles heute nicht mehr möglich sein, in einer Zeit stagnierender Bevölkerung von Städten mit meist bedeutenden Wohnungsüberschüssen, in einer Entwicklungsperiode, in der vielfach mehr von Schrumpfung als von Wachstum die Rede sein müßte, in der es beim Wohnungsbau jedenfalls nicht mehr um Quantität, sondern nur noch um Qualität gehen kann, nur um die Sanierung mangelhafter alter Wohnungen bzw. um ihren Ersatz' durch bessere neue.

Sollten wir bei unseren Bemühungen um nur technische Vollkommenheit vielleicht Umweltqualitäten vernachlässigt haben, ohne die Menschen auf die Dauer nicht auskommen können, die also nötig sind, damit eine Stadt nicht in die Flucht,

treibt, nicht nur zu Arbeit, sondern auch zur Erholung, zum Verweilen, zur Muße - kurz zum Wohnen - einlädt? Sollten wir nicht endlich versuchen, ausjenen Lebensräumen, in die die Großstädter aus unseren Häusern flüchten, zu lernen, wie man wieder eine wohnliche Stadt bauen könnte?

Man würde dann unter Umständen aus einer Umwelt lernen, wie sie sich die Bewohner bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vorwiegend ohne Mitwirkung von Architekten, aber auf Grund örtlich überlieferter Wohnkultur und Bautradition mit ihren Handwerkern selbst gebaut haben. Ein Vorgang, der nicht nur angesichts der heutigen „Häuslbauer“, sondern auch der von Architekten befürworteten „Partizipation“ der Bewohner am Entwurfsvorgang nicht überrascht, wenn er auch etwas ganz anderes bedeutet als diese Verlagerung von Architektenarbeit auf die Laien, die, oft aus den sehr unzulänglichen Verhältnissen unpersönlicher Spekulationsbauten kommend, weder ausreichend klare Vorstellungen eigener Wohnkultur noch Erfahrungen hinsichtlich der Möglichkeit ihrer zeitgemäßen Weiterentwicklung mitbringen, die zum Beispiel die so alte wie moderne Alternative eines Reihen- oder Atriumhauses nie kennengelernt haben und sich daher auch nicht wünschen können.

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