Österreichs unrechtes Gut

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Verschwundene Kunstwerke, verschlampte Unterlagen: Wie man die Ausgeraubten systematisch an der Nase herumführte.

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Verschwundene Kunstwerke, verschlampte Unterlagen: Wie man die Ausgeraubten systematisch an der Nase herumführte.

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In der "Bibliothek des Raubes" im Wiener Czernin-Verlag erschienen zwei weitere Bücher, die sich mit den Raubzügen der Nazizeit und mit der konsequenten Abwehr jüdischer Rückstellungs- und Entschädigungsansprüche befassen: "Jahr des Erwachens - Eine jüdische Geschichte" (56 Seiten, öS 128,-) von Hubertus Czernin und "Meister des Verwirrens - Die Geschäfte des Kunsthändlers Friedrich Welz" (208 Seiten, öS 258,) von Gert Kerschbaumer. Durch die Hände von Friedrich Welz ging auch das noch immer in New York beschlagnahmte Wally-Bild von Egon Schiele. Die Umstände, unter denen es durch seine Hände ging, sind nach wie vor aufklärungsbedürftig.

Beim Lesen des ersten Büchleins kam mir der Inhalt des Tresors von Baldur von Schirach wieder lebhaft in den Sinn. Am 28. Mai 1949 erklärte ein Wiener Volksgericht das Vermögen des ehemaligen Reichsjugendführers und Wiener Gauleiters für verfallen zugunsten der Republik. Wie man am nächsten Tag aus den Zeitungen erfuhr, war vom Eigentum des in Nürnberg wegen seiner Mitschuld an der Ermordung der Wiener Juden zu 20 Jahren verurteilten Nazibonzen damals in Österreich noch folgendes vorhanden: zwei Konten bei der Länderbank, ein Paket polnische Industrieaktien sowie Sparkassenbücher und Lebensversicherungspolizzen auf jüdische Namen.

Die Aktien, Sparbücher und Polizzen im Tresor des Hitler-Günstlings sind ein sprechendes Beispiel für den Raub- und Bereicherungsalltag im Nazistaat. Auch drängt sich die Frage auf, was das Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, das für die Verwertung verfallener NS-Vermögen zuständig war, damit gemacht hat. Unterlagen über das Bankkonto von Bernhard T. waren gewiss nicht dabei, das wäre ein zu großer Zufall. Die knappen Presseberichte verrieten nicht einmal, ob die Sparbücher von Ermordeten oder Entkommenen stammten.

Czernins Buch behandelt das Schicksal von Bernhard T.'s Sohn Georg T. Er bleibt im Buch so anonym wie im Leben, obwohl den alten Herrn Millionen Menschen vom Sehen kennen. Im wahrsten Sinn des Wortes vom Sehen: Die Werbung greift auf ihn zurück, wenn ein lieber Opa gebraucht wird. Fernseh-Opa T. ist 76 Jahre alt. Da er mit seiner Minirente nicht auskommt, geht er täglich arbeiten und fettet sein Gehalt als Darsteller in Werbespots auf. Dass ihm die Republik, beziehungsweise eine der bis vor kurzem dem österreichischen Staat gehörenden Banken, ein Vermögen schuldig ist, erfuhr er erst vor kurzem.

Wie man sich abputzt Und das kam so: Er war bis 1998 einer jener unauffällig lebenden Wiener Juden, die nicht mehr an die Vergangenheit rühren wollen, möglicherweise, wie Czernin meint, "um sich eine weitere Niederlage und eine neuerliche Enttäuschung, wenn nicht gar die nächste Demütigung zu ersparen. Stillschweigend hatten sie sich dem Tabu gebeugt..." Doch als die Republik Österreich fand, sie müsse nun doch einmal etwas für ihr Image tun, machten sich zwei Beamte des Staatsarchivs daran, die noch aus der NS-Zeit vorhandenen Unterlagen über das Vermögen von Juden zu ordnen. Ein Exemplar des 330 Seiten starken Registers wurde in rotes Leder gebunden und vom damaligen Bundeskanzler bei einem Staatsbesuch in Israel überreicht. Als nun im Frühjahr 1998 plötzlich in allen Zeitungen über den Raubzug der Nazis geschrieben wurde, meldeten sich auch bei Georg T. verschüttete, verdrängte Erinnerungen. Er ging ins Staatsarchiv und fand dort tatsächlich den Fragebogen, mit dem der Vater sein Vermögen hatte offenlegen müssen. Über 50.000 Wiener saßen nach dem "Anschluss" über solchen Formularen. Die Angaben dienten nicht zuletzt der Ermittlung der den Juden abgepressten "Reichsfluchtsteuer".

Die zittrige Schrift des bald nach der Ankunft in England verstorbenen Vaters löste spät, aber doch Erschütterung und die intensive Beschäftigung mit der verdrängten eigenen Vergangenheit aus. Als Nebenprodukt dieses Abtauchens in seine Kindheit stellte Georg T. fest, dass allein der Wert der nie eingelösten Lebensversicherungspolizze in heutiger Währung über 900.000 Schilling entspräche. Auf dem Bankkonto des Vaters lagen nach heutigem Wert 1,7 Millionen Schilling. Es war ein Konto bei der Länderbank, die, wie anzunehmen ist, 1949 das Guthaben des in Spandau einsitzenden Ex-Gauleiters anstandslos der Republik ausgefolgt hat.

Auch Georg T. hätte seine Ansprüche anmelden können. Sogar noch bis 31. Dezember 1960. Hätte er etwas davon gewusst. Aber damals hütete man sich, die Unterlagen über den Nazi-Raubzug herauszurücken. Vorsichtshalber wurden sie nicht einmal so aufgearbeitet, dass man vor der endgültigen Verjährung auf sie hätte zugreifen können. Und dieser Staat wundert sich heute über sein mieses Image...

Die Bemühungen von Georg T. um sein Erbe endeten als finanzielles Desaster. Der Werbe-Opa blieb auf den hohen Kosten verlorener Prozesse sitzen. Österreich putzt sich ab. Zwar wurden "großzügige" Regelungen versprochen, doch im konkreten Fall stellt sich die Republik nach wie vor auf den Standpunkt, die Anmeldefrist sei nun einmal vor Jahrzehnten abgelaufen und die bankinternen Unterlagen seien längst weg. Dass die Ansprüche nicht angemeldet werden konnten, weil sie denen, die sie hätten stellen können, nicht bekannt waren, tut nichts zur Sache. Auch müsse Herr T. schon mehr vorweisen als den Nazi-Akt, auch wenn dieser damals als Grundlage für die "Reichsfluchtsteuer" in der Höhe von etwa einer Million Schilling heutigem Werts diente. Was kann Österreich dafür, dass seine Archivare erst nach Jahrzehnten dazu kamen, ihre Akten zu sichten.

Schirach war ein großer Nazi, der Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz nur ein kleiner Parteigenosse. Ihre Tätigkeiten in der NS-Ära konnten verschiedener nicht sein. Freilich war auch er ein künstlerischer Mensch, so dass wir wohlwollend darüber hinwegsehen müssen, dass sich seine Unterlagen schon damals in chaotischem Zustand befanden. Unter den Nazibonzen gab es starke Rivalitäten. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass der Welz weniger gewogene Nachfolger eines Welz sehr gewogenen Gauleiters Welz einen Betriebsprüfer auf den Hals hetzte. Der Betriebsprüfer sah aber wohlwollend über das Chaos in den Geschäftsunterlagen hinweg.

Die Chaos-Strategie Die NS-Zeit war eine einzige riesige Chance für beim Regime gut angeschriebene Kunsthändler. Welz konnte sie einfach nicht ignorieren. Zunächst gab es einen großen Preisverfall. Viele kleine oder große Kunstsammlungen waren plötzlich nur noch einen Bruchteil wert, weil die Juden ihre Bilder verkaufen mussten, um die "Reichsfluchtsteuer" zu bezahlen oder weil sie keine Ausfuhrbewilligung bekamen. Auch alte Meister sowie alles, was dem dekretierten Geschmack nicht widersprach, verlor an Wert. Was den Nazis missfiel, etwa die "entartete Kunst" eines Schiele oder Werke jüdischer Künstler, war plötzlich spottbillig. Ab 1940 kaufte die kleine Elite, die sich mit Sonderbewilligungen an der Arisierung des jüdischen Kunstbesitzes in Frankreich beteiligen durfte, besonders günstig ein. Bald darauf setzte die "Flucht in die Sachwerte" ein und die Kunstpreise explodierten, weil Kunstwerke zu den wenigen im Krieg frei handelbaren Dingen zählten. Doch wer klug war, rettete möglichst viel Kunst in die Nachkriegszeit herüber.

Welz arisierte eine Villa und wurde neuer Inhaber der Wiener Kunsthandlung Würthle. Er war in Personalunion Kunsthändler, Kunstbeschaffer für Nazi-Prominenz (darunter Baldur von Schirach) und Leiter der Salzburger Landesgalerie. Er besaß zwar nur eine unansehnlich hohe NSDAP-Mitgliedsnummer (da er erst im Juli 1938 "Pg." wurde), dafür aber die Bewilligung, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Frankreich Kunst einzukaufen.

Bereits bei der in der NS-Zeit durchgeführten Betriebsprüfung ließ sich nicht mehr eindeutig feststellen, welche Bilder Welz nun für wen gekauft hatte, ob einzelne Werke ihm oder der Landesgalerie gehörten. Gert Kerschbaumer ist davon überzeugt, dass das buchhalterische Chaos System hatte. Es war jedenfalls bestens geeignet, Verwirrung zu stiften und seine Geschäfte undurchschaubar zu machen. Nach dem Krieg war er einige Zeit in Glasenbach in amerikanischer Haft, auch ein österreichisches Volksgerichtsverfahren wurde eingeleitet. Bald darauf begann Welzens dritte Karriere.

Vor 1938 hatte er die väterliche Rahmenhandlung und Vergolderei auf Kunsthandel umgestellt und sich in der Festspielstadt auf Moderne (von Kokoschka und Schiele bis Chagall) spezialisiert, aber auch mit der nazistischen "Nordischen Gesellschaft" geliebäugelt. Nach dem Krieg war er wieder Mann der Modernen, initiierte die "Schule des Sehens", holte Kokoschka nach Salzburg und wurde prominenter als je zuvor.

Den Verbleib einer Reihe vermisster Kunstwerke kann auch Kerschbaumer nicht aufklären. Er kann bloß beweisen, dass die Landesgalerie sowie Welz nichts zur Auffindung, dafür aber einiges getan haben, um Vorgänge zu verschleiern und die Rückstellung unrecht erworbenen Gutes zu vermeiden. Chaos und verschwundene Unterlagen bei einem Kunsthändler, die erst nach der Verjährung aufgearbeiteten Unterlagen über den Vermögensentzug: Czernins "Bibliothek des Raubes" ist leider noch lange nicht vollständig. Sie kann und muss fortgesetzt werden.

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