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Almosen fur Dichter?

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Noch ist nicht abzusehen, wie die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung der Schriftsteller mit der Bundesregierung, in der es um den sogenannten Bibliotheksgroschen geht, schließlich enden wird. Doch schon ist zu erkennen: Diese Angelegenheit hat gute Chancen, zu einem klassischen Beispiel für die Rechtlosigkeit einer kleinen, als Wählerpotential nicht ins Gewicht fallenden, als pressure group nicht ernst zu nehmenden Gruppe im modernen Pfründenstaat zu werden.

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Noch ist nicht abzusehen, wie die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung der Schriftsteller mit der Bundesregierung, in der es um den sogenannten Bibliotheksgroschen geht, schließlich enden wird. Doch schon ist zu erkennen: Diese Angelegenheit hat gute Chancen, zu einem klassischen Beispiel für die Rechtlosigkeit einer kleinen, als Wählerpotential nicht ins Gewicht fallenden, als pressure group nicht ernst zu nehmenden Gruppe im modernen Pfründenstaat zu werden.

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Beim Bibliotheksgroschen geht es um etwas, was selbstverständlich sein sollte: um das Recht der Autoren auf eine zusätzliche Entschädigung für die Aufnahme ihrer Bücher in öffentliche Bibliotheken. Wo diese Bücher schließlich nicht von einem, sondern von vielen Dutzenden und oft noch mehr Menschen gelesen werden. In der Bundesrepublik haben die Autoren ihr Recht auf eine solche Entschädigung erkämpft. Der Betrag, den der einzelne Schriftsteller aus diesem urheberrechtlichen Anspruch erhält, ist gering, doch speisen die Ablösezahlungen einen Sozialfonds, aus dem Zuschüsse für Versicherungen und kleine Pensionen für altgeworden Autoren bezahlt werden.

Nicht die meist ohnehin von der öffentlichen Hand finanzierten Bibliotheken werden zur Kasse gebeten, sondern der Staat bezahlt eine Pauschalsumme. So sollte es auch in Österreich sein. Die Verhandlungen schleppen sich von Jahr zu Jahr. Dabei droht ein Rechtsanspruch zur Almosengewährung zu degenerieren.

Im Prinzip war man sich schon vor weit mehr als einem Jahr einig. Ein Gesetzestext war formuliert und von den Verhandlungspartnern gutgeheißen worden. Die Geschichte dieses Gesetzestextes ist abenteuerlich: Er kam nie ins Parlament. Die Schuld daran wurde so lange hin- und hergeschoben, bis niemand mehr danach fragte. Budgetmittel zur Finanzierung des „Bibliotheksgroschens“, der auch in Österreich zur Hälfte an die Urheber der in öffentlichen Bibliotheken stehenden Werke ausbezahlt, zur anderen Hälfte zur Finanzierung eines Sozialfonds der Autoren verwendet werden sollte, waren bereits reserviert. Da eine gesetzliche Grundlage zur Auszahlung nicht zustande kam, flössen die Mittel in den großen Topf zurück.

Statt das Gesetz nun wenigstens in der nächsten Legislaturperiode ins Parlament zu bringen, vergaß man den Text Er wurde zum legislatorisch weggelegten Kind. Plötzlich soll alles ganz anders gemacht werden. Dem Vernehmen nach wird an zuständiger Stelle nicht mehr an ein Gesetz, sondern an eine Subvention gedacht. Die nicht nur viel weniger ausmachen soll als der Betrag, von dem ursprünglich die Rede war. Sondern, die außerdem nicht den von den Autoren geforderten Ausbau des Urheberrechtes, sondern einen unverbindlichen Gnadenakt bedeuten würde. Sie könnte beispielsweise zwei oder drei Jahre gezahlt werden — und dann nicht mehr.

Die Autoren schwanken zwischen Resignation und Rebellion. Allerdings — das Lager der Rebellen wird stärker. Denn langsam, aber sicher erkennen selbst so unpraktische und weltfremde Menschen wie die Schriftsteller, daß sie nicht nur materiell geschädigt werden, sondern daß das ihnen gegenüber an den Tag gelegte Verhalten auch haargenau die Bedeutung ausdrückt, die ihnen höheren Ortes beigemessen wird. Ihr Wert als Berufsstand ist der einer Quantite negligeable. In einer Gesellschaft, die' das Privateigentum zum Fetisch erhoben hat, werden nur noch wenige direkt enteignet. Den Autoren widerfährt dieses Schicksal gleich auf mehrfache Weise.

Denn die Auseinandersetzung um den Bibliotheksgroschen ist ja nur ein Streitpunkt unter mehreren. Der Bibliotheksgroschen ist der aktuelle Ansatzpunkt für den viel zu langsam fortschreitenden Ausbau des Urheberrechtes, das immer noch in den Kinderschuhen steckt. Selbst wenn der Bibliotheksgroschen als Ablösezahlung für Beträge, die den öffentlichen Bibliotheken nicht zugemutet werden können, Gesetzeskraft erlangt, wird das Urheberrecht, verglichen mit anderen Bereichen des Zivilrechtes, noch immer ein Torso sein.4 u

Einen mindestens ebenso eklatanten Fall von Enteignung stellt ja auch der entschädigungslose Abdruck von Erzählungen, Gedichten und Auszügen aus längeren Werken lebender Autoren in Schulbüchern dar. Die Autoren haben auf ihre Tantiemen aus Abdrucken in Schulbüchern zu verzichten, weil es der Staat offenbar für unzumutbar hält, mit dem Preis der Gratisschulbücher auch noch die bescheidenen Tantiemen der Autoren zu entrichten. Wer diese Enteignung für gerecht hält, sollte logischerweise auch Setzern, Druckern, Korrektoren, Buchbindern und Buchhändlern die entschädigungslose Mitarbeit bei der Herstellung von Schulbüchern zumuten. Oder wenigstens verlangen, daß sie dabei keinen Groschen verdienen. Was sie aber tun, Schulbücher sind für alle, die damit zu tun haben, ein gutes Geschäft, nur nicht für die Dichter.

Augenmerk verdient aber auch die heute auf der, ganzen Welt für selbstverständlich befundene Bestimmung, wonach alle Urheberrechte mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des Autors erlöschen. Eine Bestimmung, an die man sich so sehr gewöhnt hat, daß man sie selbstverständlich findet — wie man es noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ganz normal fand, daß jeder Drucker stehlen durfte, was ihm zu Gesicht stand. Eines (aber sicher fernen) Tages wird die Begrenzung der Schutzfrist fallen.

Es ist auch gar nicht so, daß sie die Bücher toter Autoren erschwinglicher macht Sie erhöht nur die Verdienstspannen für den Abdruck (oder das Spielen) seit längerer Zeit toter Autoren und schädigt die lebenden doppelt — einerseits als Erblasser, aber auch, weil dadurch das Drucken toter Autoren billiger wird als das Drucken lebender Autoren — der marktpolitische Effekt liegt auf der Hand.

, Es gibt natürlich viele Menschen, die das Verfallen der Schutzrechte nach einigen Jahrzehnten gerecht finden, weil es der Allgemeinheit nützt. Vielleicht würde es der Allgemeinheit auch nützen, würde jedes Eigentum an Grund und Boden ein paar Jahrzehnte nach dem Tod des Eigentümers enden. Ist es wirklich gerecht, daß die Erben eines Goethe oder eines Schiller oder eines Kleist oder eines Nestroy (falls es noch welche gibt) keinen Groschen bekommen, obwohl ihre Vorfahren ununterbrochen nachgedruckt und gespielt werden, während sich die Nachkommen eines für militärische oder sonstige Verdienste vor Jahrhunderten mit einem Rittergut Be-liehenen dieses Besitzes noch heute freuen dürfen? Geistige Leistungen begründen offensichtlich nur Rechte zweiter Klasse.

Natürlich kommen nicht einmal die revolutionärsten Interessenvertreter der Literaten auf die leider heute noch absurd anmutende Idee, die Beschränkung des geistigen Eigentums auf eine Nutzungsfrist von wenigen Jahrzehnten anzugreifen. Soweit werden bestenfalls ihre Enkel sein, falls die es auch zu nichts Besserem als zu geistigem Ruhm gebracht haben. Heutige Autorenvertreter wollen nur die allerkrassesten Ungerechtigkeiten ausbügeln, wollen nur einen kleinen Zipfel vom großen Nachholbedarf an Recht.

Aber schon damit steigen sie bei diesem sich sonst so sozial gebärdenden Staat ganz schön auf die Seife.

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