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Zeitdokumente im Bild

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Unser raschlebiges Zeitalter verfehlt selten, jenen Neuschöpfungen reichen Beifall zu spenden, die ihm in ihrer Oberflächlichkeit und Kurzlebigkeit verwandt sind. Um so weniger beachtet aber bleiben die wahrhaft geschichtlichen, nämlich Geschichte machenden Planungen, von denen Nietzsche sagte, daß sie sich stets fern dem Geräusch und Geschrei der Menge vollziehen. Von besonderer Aktualität ist diese Erkenntnis in unserem Lande: der Lebenswille drängt nach dem Ende eines furchtbaren Krieges begreiflicherweise zu rasch erringbaren Augenblickserfolgen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet; und nur zu oft wird vergessen, daß österreidi in seiner heutigen Ohnmacht nur auf geistigem Gebiet eine wirkliche Großmachtstellung bewahren kann.

Fernab vom Lärm der Straße trat vor zehn Jahren ein österreichisches Werk ins Leben, dessen Werdegang schlagend beweist, wie wenig das überzeitlich Große auf seinem Weg zur Manifestation der äußeren Macht bedarf. Das Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek, über dessen Entstehung und Schicksale ein jüngst erschienenes Buch berichtet, läßt erkennen, daß Österreich gerade in der Zeit, da es von der Landkarte verschwunden war, doch in der vordersten Front des geistigen Europa stand; daß dieses Land während des traditionslosesten „Ge- schiditemachens“ in sidi stark genug blieb, ein Vorhaben zu verwirklichen, das nicht nur das eigene Volk zu einem neuen Bewußtsein seiner geschichtlichen Fähigkeiten führer- sollte, sondern hieraus auch der Welt Vorbildliches zu geben hätte.

Es ist kein Zufall, daß gerade die altehrwürdige Palatina Vindobonensis diesem zukunftsträchtigen Werk Pate gestanden ist: dem schöpferischen Entschluß, die Photographie als „Zeitbild“ von unvergleidilidict Treue als quellenkundlich erstrangiges Dokument zu sehen und systematisch zu sammeln. Ein revolutionierendes Vorhaben, wenn man bedenkt, daß gerade das so geschichtsbewußte 19. Jahrhundert, das Zeitalter Rankes, Macaulays, Burckhardts, Sickels und Fickers, Hekatomben photographischer Originale zugrunde gehen ließ.

Die späte Erkenntnis von Versäumnissen hätte allein nicht genügt; es mußte Wandel durch die Tat geschaffen werden. Und so erwuchs aus dem unbeirrbaren Glauben an die Idee das missing link zwischen graphischer Sammlung und Schriftenarchiv, ein Institut, einzig in seiner Art, in dem die lichtbildnerische Produktion zentral bewahr; wird, zum Nutzen der Mit- und der Nachwelt.

Die Schilderung dieses Wollens und Wer dens in gefahrdrohendster Zeit gleicht einem spannenden Roman — mit denkbar optimistischestem Ausklang. Denn nach einem groß konzipierten System konnten im Verlauf eines einzigen Jahrzehnts nicht weniger als 3 5 0.0 00 Negative erfaßt werden, darunter in bedeutendem Umfang auch Unikate, von denen andernfalls das meiste verschleppt oder der Entrümpelung und dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen wäre. Weit über den Kreis der beruflidi Interessierten sollte sich mit diesem Tatsachenbericht auch die junge Generation beschäftigen, dere.. Aufgabe es sein wird, auf jedem Gebiet aus eiginer Initiative Neues aufzubauen.

Der immer häufiger begegnende Herkunftsnachweis „Aus dem Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek“ veranschaulicht am besten die geistige Spannweite der Pflegegebiete. Praktisch sammelt das Bildarchiv alles, was zu einer universalen Kultur- und Geistesgeschichte beiträgt. Die kürzlidi vollzogene Vereinigung mit der Porträtsammlung (Fideikommißbibliothek) des Ert- hauses führte, zumal im Sektor des Bildnisses, zu einer Bereicherung von einzig dastehendem Umfang.

Als erstes „Staatsarchiv de. Photographie“ bildet das Institut längst einen Treffpunkt von Gelehrten und Studierenden, von Schriftstellern und ausübenden Künstlern, von Verlegern und Redakteuren; es vermittelt Vorlagen zur getreuen Wiederherstellung zerstörter Gebäude, zu Entwürfen von Briefmarken und Banknoten, dient der Fremdenverkehrswerbung. Zweiseitige Verträge mit öffentlichen Einrichtungen, wie Albertina. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Bundesdenkmalamt, Heeresgeschichtliches Museum, Dorotheum, ermöglichen die ständige und kostenlose Erweiterung der Fonds durch Erfassung der laufend anfallenden Reprodufetionsnegative. Darüber hinaus wird es Aufgabe der Gesetzgebung sein, dem Sammelbecken des Bildarchivs in wachsendem Maß auch das Material der Berufsphotographen zuzuleiten, selbstverständlich erst nach Abschluß der kommerziellen Auswertung. Und schließlich muß noch allgemeiner auch der österreichische Amateurphotograph die Verpflichtung erkennen, an dem begonnenen Werk mitzuarbeiten. In Hinkunft sollte es nicht mehr geschehen, daß auch nur eine Aufnahme von „öffentlichem Interesse“ aus Unverständnis oder Unkenntnis vernichtet wird. (Für Widmung oder Anbot beschrifteten Materials von gehaltlicher und qualitativer Eignung ist das Bildarchiv dankbar empfänglich.)

Die hundertste Wiederkehr der Revolutionstage des Jahres 1848 schafft sich in verschiedenen Ausstellungen und Veröffentlichungen ein besonders eindringliches Beispiel für die Bedeutung bildlicher Nieder schrift von „Aktualitäten“, die berufen sind, Geschichte zu werden. Wäre es wohl möglich, auch nur in diesem Umfang, nur drei Jahre zurückliegend, die Befreiung Wiens am Ende des zweiten Weltkrieges bilddokumentarisdi zu veranschaulichen? Und doch kann nicht bezweifelt werden, daß die mit der photographischen Kamera ausgestattete Bildberichterstattung von heute ungleich besser als der Lithograph um die vorige Jahrhundertmitte befähigt ist, die Schreibfeder dort zu ergänzen, wo ihr „malendes“ Bemühen versagt. Eine um so größere Verpflichtung erwächst hieraus aber der ganzen Öffentlichkeit, das vorbildliche Unternehmen der österreichischen Nationalbank zu unterstützen. In ihrem Bereich lag es doppelt nahe, die höhe Aufgabe des Bewahrens, die der Bücherspeicher seit jeher im Dienste der Literatur versieht, sinnvoll ergänzend endlich auch für alle anderen, nur im Bild erfaßbaren Äußerungen der Kunst und des Lebens wahrzunehmen.

Hins P a u e r, Das Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek. Ein Institut zur öffendidi2n Pflege der Dokumentarphotographie. Geschichte und Programm. 130 Se;ten, 75 Abbildungen. Gallus-Verlag, Wien, 1947.

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