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ZWEIHUNDERT MILLIONEN

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“C s ist noch kein Jahr her, da standen über dieser Seite die Worte „Eine Million“. Damit war die damals gerade erreichte Zahl der potentiellen Fernsehzuschauer in Österreich gemeint. Die Zahl, die heute im Titel steht, ist nicht nur beträchtlich größer, sie hat auch eine viel weitergehende Bedeutung. Am 23. Juli 1962 — dieses Datum erscheint so bedeutungsvoll, daß es hier ausdrücklich festgehalten sei — hatten zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit zweihundert Millionen Menschen auf zwei, durch einen Ozean voneinander getrennten, Kontinenten die Möglichkeit, ein Ereignis, das sich irgendwo auf einem dieser Kontinente abspielte, g 1 e i c h z e i-t i g mitzuerleben.

“D ereits als die ersten Fernsehempfänger in unseren Wohnungen *-* ihren Platz fanden, wurden unüberhörbare Stimmen laut, die darauf hinwiesen, daß sich mit dem Feinsehen den Menschen ein bisher nicht gekannter Weg anbiete, andere Völker, ihre Eigenart, ihre Lebensweise und ihre Kulturgüter mit eigenen Augen kennen und damit verstehen zu leinen; daß das Fernsehen ungeahnte Möglichkeiten böte, die Menschen einander näherzubringen.

Und es war merkwürdig: Obwohl gerade dem Fernsehen von der technischen Seite her — bedingt durch die kleine Reichweite d)er einzelnen Fernsehsender — solche Möglichkeiten eher verwehrt zu sein schienen, wurden auf diesem Gebiete Anstrengungen wie auf keinem anderen unternommen, um hier ein internationales Verbindungs- und Verständigungsmittel zu schaffen.

Binnen kurzer Zeit wurde mit einem bis dahin für Zwecke der Massnkommunikation unbekannten technischen Aufwand ein Netz von Richtfunkverbindungen über einen ganzen Kontinent gelegt. Bereits vor fast genau acht Jahren fanden die ersten „Europäischen Fernsehwochen“ statt, bei denen von fünfundvierzig Fernsehsendern, die durch Richtfunkstrecken von insgesamt viertausend Kilometer Länge verbunden waren, etwa neunzig Millionen Menschen gleichzeitig mit einem von acht Ländern gemeinsam gestalteten Fernsehprogramm konfrontiert wurden. “C iner weiteren Ausbreitung des Fernseihnetzes über Europa hin-*-J aus setzten jedoch die Weiten des Ozeans eine vorläufige Grenze. Der alte Traum des Menschen vom „Fern-Sehen“ war noch immer nicht in seiner ganzen Bedeutung erfüllt.

Aber wie schon oft in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit hat sich hier neben einer technischen Entwicklung, und ganz unabhängig von ihr, eine andere angebahnt, die sich erst später als eine geradezu notwendige Ergänzung der ersten erwies: die Eroberung des Weltraumes, die Technik der Satelliten. Hier ergab sich plötzlich eine praktische und zukunftweisende Möglichkeit, die interkontinentale Fernsehverbindung mit einem Schlage zu verwirklichen.

Und es liegt in der Natur der Sache begründet, daß nicht nur einige wenige Menschen an der Geburtsstunde einer neuen technischen Errungenschaft unmittelbar Anteil hatten, sondern zweihundert Millionen. Die technische Entwicklung hatte sich durch sich selbst ihr Publikum geschaffen. •

Man muß sich einmal richtig klarmachen, was es bedeutet, daß man gemütlich in seinem Wohnzimmer sitzt und Augen- und Ohrenzeuge eines - Geschehnisses ist, das sich im gleichen Augenblick irgendwo in Amerika abspielt... Und daß zweihundert Millionen andere Menschen im gleichen Augenblick das gleiche Geschehen vor Augen haben!

Es ist kein Zufall, daß man bei diesem ersten Schritt zum Weltfernsehen grundsätzlich — auch aus dem Lande der Fernsehfilme und -aufzeichnwngen, aus Amerika — Live-Programme übertrug. Denn gerade bei solchen interkontinentalen Übertragungen ist es das Miterleben, von dem die höchste, letzte Faszinationskraft ausgeht, und das der stärkste Pfeiler für die Brücke von Mensch zu Mensch ist, die damit geschlagen wird.

Gegenüber der Bedeutung, die der Tatsache zugemessen werden muß, daß hier zum erstenmal eine interkontinentale Femsehverbindung realisiert wurde, und gegenüber dem Bewußtsein des einzelnen Zuschauers, dieses Ereignis miterelebt zu haben, verblaßt jede Kritik an dem gezeigten Programm. Wer auch rakteristisch und für die Bewohner eines anderen von maximalem Interesse wären!

Immerhin aber verdient es hier vermerkt zu werden, daß es dem Österreichischen Fernsehen gelungen ist, als repräsentativen, Beitrag Österreichs für dieses erste weltweite Fernsehprogramm etwas anderes gefunden zu haben als Wein- und Heurigenseligkeit. Der Ausschnitt aus den Vorführungen der Spanischen Hofreitschule war außerordentlich gut gewählt, die Bildqualität war ganz hervorragend. Es hätte gar nicht eines so pathetischen Kommentars bedurft.

Wer die Qualität jener ersten Fernsehbilder kennt, die — als große Sensation bestaunt — vor weniger als einem Menschenalter über winzige Bildschirme flimmerten, für den sind die technischen Beschränkungen, die der Telstar-Übertragung auferlegt waren, insbesondere die Bindung an bestimmte und relativ kurze Sendezeiten, völlig unwesentlich. Gemessen an der technischen Entwicklung, die das Fernsehen seit damals genommen hat, erscheint die Lösung dieser Probleme als ein Kinderspiel.

Damit aber eröffnen sich Perspektiven, die wir heute nur ahnen, deren Tragweite wir aber gar nicht abschätzen können. Die Verwirklichung der Möglichkeit — sie ist in unmittelbar greifbare Nähe gerückt —, jederzeit die Lebensäußerungen, das Verhalten und die Stellungnahme von Menschen auf der ganzen Welt aus eigener Anschauung und aus nächster Nähe kennenzulernen, dürfte durchaus geeignet sein, das menschliche Denken in andere, neue Bahnen zu lenken und ihm eine Welt bisher nicht gekannter Vorstellungen zu erschließen. Vermutlich werden die Ergebnisse, die durch die Weltraumforschung auf diesem Sektor erzielt werden, für das Leben der Menschen einmal viel bedeutungsvoller sein als die Fahrten zu fernen, öden Planeten.

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