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Gegen die Gnadenlosen

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An einem der letzten warmen Novemberabende spazierte vor 17 Jahren so gegen 10 Uhr abends ein eleganter Herr mit gesenktem Kopf im Rathauspark. Im Knopfloch seines tadellos sitzenden Smokings trug er eine, blutrote Nelke. Er rauchte genüßlich eine Zigarette, vis-ä-vis, im festlich beleuchteten Bürg.-theater aber war eben eine Premiere im Gange. Thornton Wilders Premiere.

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An einem der letzten warmen Novemberabende spazierte vor 17 Jahren so gegen 10 Uhr abends ein eleganter Herr mit gesenktem Kopf im Rathauspark. Im Knopfloch seines tadellos sitzenden Smokings trug er eine, blutrote Nelke. Er rauchte genüßlich eine Zigarette, vis-ä-vis, im festlich beleuchteten Bürg.-theater aber war eben eine Premiere im Gange. Thornton Wilders Premiere.

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Der einsame Spaziergänger blieb dann auf paar Minuten vor den an den beiden Säulen des Theaters angebrachten zwei Plakaten, die seinen Namen trugen, grübelnd stehen. Dann sagte er:

WILDER: „Es ist immer eine merkwürdige Sache, in einer fremden Stadt, ja sogar in einem fremden Weltteil, seinen eigenen Namen zu begegnen, wissend, daß man bald über mich zu Gericht sitzen wird, wofür ich heute, so wenig, wie ein Neugeborener, verantwortlich bin. Das Werk, wenn es in die Welt hinaustritt, lebt ein eigenes Leben. Von seinem Schöpfer aber trennt ihn eine ganze Generation.“

Er scheint erfreut zu sein, daß man ihn angesprochen hat.

WILDER: „Ich habe über das Stück und das Schicksal der Welt meditiert — keines kann als ein allzu fröhliches Thema betrachtet werden.“

Wir verabreden für den nächsten Tag ein Rendezvous. Es sollte im Hotel Ambassador sein. Ein seltenes GesichtKFreundlich, aus schwarzgeränderten Brillen betrachtet er mit weiser Liebe und Zärtlichkeit die Welt. Wenn ihn während des Gesprächs eine gute Idee anspringt, beginnt er hemmungslos zu lachen, schlägt aufs Knie. Er glättet seine Gesichtszüge nur sehr zögernd zu einem ersten Ausdruck, währenddem sein Auge weiter lacht.

WILDER: „Also gehn wir's an. Worüber wollen wir eigentlich reden?“

Trinkt genüßlich seinen Whisky, blinzelt.

WILDER: „Welche Wonne, daß es hier weit und breit keinen Photographen gibt, — sonst würden sich die amerikanischen Puritaner über meine leeren Flaschen höllisch freuen ...“

FRAGE: Im allgemeinen werden Sie, Mister Wilder, als katholischer Schriftsteller betrachtet. Wie sehen Sie die Situation dieser literarischen Richtung? Was ist Ihre Meinung über die katholischen Schriftsteller der heutigen Zeit!

WILDER: „Also sehen Sie! Wenn man — wie ich selbst — den Katholizismus ehrt und laut der uralten und kristallklaren Moral dieser Kirche schreibt, wird man sofort als „Parteimitglied“ registriert. Ich möchte Sie darüber aufklären, daß ich Protestant bin. Ich äußere mich ungern über meine lebenden und die toten Sohriftstellerkollegen, was aber an meiner dezidierten Meinung nichts ändert. In dieser Frage glaube ich, ist eine einzige Antwort stichhältig: die größten katholischen Schriftsteller haben aus ihren Werken eben das weggelassen, was mich zum Freund und Kämpfer dieser Weltanschauung gemacht hat — die Weisheit der Kirchenväter, und die allergrößte Lehre: die Barmherzigkeit. Diese Grundsätze schließen ab ovo den Fanatismus aus. Ich habe viel darüber nachgedacht, und glaube, daß, als Paul Claudel In den Himmel Einlaß verlangte, der heilige Petrus ihn stirnrunzelnd mit folgenden Worten abgewiesen hat: ,Claudel, Claudel, es war schade, zu vergessen, daß auch die Barmherzigkeit eine der christlichen Tugenden ist.' Wer weiß, warum die katholischen Schriftsteller mit dem Flammenschwert die Sünden des Körpers verfolgen — wie wenn es nicht auch andere Sünden auf der Erde gäbe. Ich habe Asketen gesehen, die mit dem Teufel gemeinsames Spiel trieben. Was glauben Sie, war der Einsatz? Die Liebe, die Gnade, die Geduld und die zu Gott führende Heiterkeit. Klar, daß der Teufel gewann.“

Er lacht schallend.

FRAGE: Wie sehen Sie, Mister Wilder, den Ausweg aus dem Chaos?

WILDER: „Chaos?... Wissen Sie, was dieses Chaos Ist? Wissen Sie, was diese zersetzende Kraft ist? Der größte Trick des Satans. Die Geteiltheit. Jedes Volk wird laut verschiedener Auffasung, auf Grund der Gesetze anderer Religionen und in anderen — seit Urzeiten in den Papierkorb gehörenden — Sitten und Bräuche erzogen. Glauben Sie mir, der Tag muß kommen, an dem die westliche Welt sich dessen bewußt wird, daß sie nicht nur eine gemeinsame Sprache, sondern auch die gemeinsame Sprache der Ideen suchen muß. Welche aber sind diese Ideen? Unverändert dieselben, die aus Ägypten, Palästina, Griechenland und Rom kommen, aus den Traditionen des Menschen und nicht der Rasse sioh geformt haben. Es ist eine böse Sache, daß zeitweise ein Teil der Welt aus der Gesamtheit der Menschheit ausgeschlossen wird und so die den Gedanken vermittelnden Nervenbahnen ausgeschaltet werden. Trotzdessen hege ich keinen Zweifel, daß wider jede Gewalt die Nervensysteme' der Welt eines Tages den Anschluß, aneinander finden werden und daß jeder einzelne diese Idee erkennt, in sich aufarbeitet, an deren Entstehen Millionen durch ihre Begabung, Großzügigkeit, ihren Glauben, — sehr oft sogar auch mit dem Opfer ihres eigenen Lebens — mitgewirkt haben. Ich denke an die drei Gesetze, die die letzte Rechtfertigung der Menschheit, zu überleben, sind: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu; sei großzügig, denn sag mal, was kannst du mit dir mitnehmen?“

FRAGE: Wie sehen Sie, Mister Wilder, die Problme der Ungarn?

WILDER: „Eine solche Frage sollte überhaupt nicht gestellt werden. Es ist sonnenklar, daß jeder, der Augen zum Sehen und ein Gehirn zum Denken hat, es weiß, daß man über die Wahrheit, die politische Selbstbestimmung, über das wesentlichste Recht der Völker und Individuen, kurz gesagt: über das Menschen-recht überhaupt nicht diskutieren kann. Atemberaubt, mit der größten Bewunderung verfolgte ich Ungarns Aufstand im Jahre 1956. Und es ist natürlich, daß ich mit Empörung, Entsetzen und Verachtung mich gegen jene wende, — allen meinen Freunden gleich — die diesen Aufstand mit ihrer Massenüberlegenheit genauso unterdrückt haben wie die Lawine das vor Gefahr mahnende Feuer der Hirten. Ich bin ja nur ein Schriftsteller, den man' beklatscht oder beschimpft — den man aber zeitweise auch für einen Narren hält Manchmal auch für einen Heiligen. Mit einem Wort, man nimmt mich nicht immer ernst. Und doch muß ich sagen: wenn die Welt — diese nüchterne und reiche westliche Welt — es nicht wahrnimmt, daß sie für die 200.000 Menschen, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind, alles tun muß, wenn sie der uralischen Lawine Möglichkeit gibt, einen Weg in die Schluchten der verursachten Enttäuschungen zu finden ... Na ja, ich habe schon einige Worte über die von St. Peter aus dem Himmel verwiesenen andachtsvollen Gnadenlosen gesagt...“

FRAGE: Woran arbeiten Sie jetzt, Mister Wilder?

WILDER: „Ich bin drauf gekommen, daß man dem heutigen Menschen eins mit der Keule auf den Schädel hauen muß — mit einem Wort: man muß ihn kurz und wuchtig ansprechen. Ich schreibe jetzt Einakter. Einer meiner Kollegen, ein gewisser Moliere, sagte einmal, daß man zu einem guten Stück nichts mehr als einige Bretter und drei Darsteller brauche. Jetzt wird das erste in München aufgeführt, das Nachspiel der „Alkibiade“. Das zweite steht in Berlin auf dem Programm, ich habe es nach Tennessee Williams' Werk nach meinem eigenen Geschmack geschrieben. Die Hauptrolle spielt Lilian Gish. Vielleicht erinnert man sich noch an ihren Namen, eine unglaublich große Schauspielerin. Dann habe ich noch ein drittes geschrieben, nach einem James-Joyce-Thema. Ich liebe diesen Joyce. Neben Paul Valery ist er mein größter Liebling. Aber wissen Sie, woran es hapert? Daran, daß ich nur ungern arbeite. Ich bin faul und habe einen schwachen Charakter. Ich kann den Versuchungen nicht widerstehen. Und wenn ich zu Hause, in Amerika, an meinem Schreibtisch sitze, habe ich nicht die Kraft, das Telephon auszuschalten. Wie könnte ich es tun, wenn man mir durch eben dieses Telephon mitteilen will, daß bei ihnen in Ungarn die Revolution ausgebrochen ist, oder Albert Schweitzer mich aus Afrika ruft, um mit mir die Frage der Atomenergie zu besprechen, mit besonderer Hinsicht auf die der Menschheit harrenden Katastrophen. Also das ist der Grund, warum ich teils in die Schweiz, teils irgendwo anders hinreise — deshalb bin ich ein Vagabund. Gegen 5 Uhr höre ich dann mit der Arbeit auf und fahre los, um mich irgendwo mit sogenannten „einfachen Leuten“ zu einem Tratsch hinzusetzen. Worüber? Zum Beispiel, was ein Liter Rum zur Zeit kostet oder ob eine interessante Frau in der letzten Zeit in einem neuen Film aufgetaucht ist. Ich bin ein alter Lump, da gibts nichts zu leugnen. Ich kann dem Vergnügen nicht widerstehen. Die Wahrheit aber ist, daß ich es gar nicht will.“

Das Gespräch mit Thornton Wilder führte anläßlich der Wiener Premiere seiner „Alkestis“ Säri Juhdsz.

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