Liebe bewegte den Bleistift

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Die Sprache des Betens darf keine Sprache der Dogmatik sein. Die Kirche hat oft Sorge, dass in einer poetischen Sprache irgendein Dogma unter den Tisch fällt.

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Die Sprache des Betens darf keine Sprache der Dogmatik sein. Die Kirche hat oft Sorge, dass in einer poetischen Sprache irgendein Dogma unter den Tisch fällt.

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Wie werden die Worte geboren? Oft ist es die Pflicht, die sie auf die Welt bringt. Auch religiöse Worte werden so geboren. Aus Pflicht wird Gott zur Sprache gebracht. Das Messbuch, sogar das kirchliche Trauungsformular riecht direkt nach Pflicht und Vorschrift - obwohl natürlich das spürbare Herz eines Vorbetenden auch mit diesen vorgeschriebenen Worten aufhorchen lassen kann.

Die wirkliche religiöse Sprache ist eine Sprache der Liebe. Die Sprachlosigkeit der Kirche heute hat wohl denselben Grund, weswegen viele Menschen heute die Kirche enttäuscht verlassen: sie fühlen sich nicht angesprochen, weil die Sprache der Liebe fehlt.

Eine Sprache der Liebe ist eine Sprache der Dichter. Die Sprache der Liturgie, die Sprache des Betens braucht Dichterworte, braucht die Art und Weise, wie Dichter Gott und die Welt, das Leben der Menschen und ihre Sehnsüchte über die Banalität des Alltags hinaus zur Sprache bringen. Auch die Theologen haben diesen Anspruch. Dennoch darf die Sprache der religiösen Feier keine Sprache der Dogmatik sein. Warum nicht?

Man kann sich den Dingen, den Menschen auf verschiedene Weise nähern. Einer Blume zum Beispiel: Man kann eine Blume verwalten oder sie verkaufen. Man kann sie als Wissenschaftler, als Biologe beschreiben, analysieren. Das hat alles seine Berechtigung. Aber es gibt auch die absichtslose, liebevolle Weise, wie ein Dichter mit einer Blume umgeht, sie mit uneigentlichen Bildern beschreibt.

In einem Gedicht von Pierre Kemp über eine Blume heißt es: Es ist eine Blume, die mit einer Flagge zu umkreisen ist.

Sie ist eine Schwester eines Kinderhemdchens im Sonnenschein.

Diese Bilder der unbesorgten Heiterkeit zeigen die Fröhlichkeit, die jene Blume umgibt und zu der sie aufruft.

Ein Biologe analysiert eine Blume, nimmt sie auseinander und nennt ihre Teile, teilt sie in eine größere Familie ein. Ein Dichter analysiert die Blume nicht wie ein Biologe, sondern umfasst mit Bildern, auch oft uneigentlichen, ihre Ganzheit.

Auch in der Kirche gibt es diese verschiedenen Annäherungsweisen und damit die verschiedenen Sprachen. Es gibt die Sprache der Verwaltung und die Sprache der Wissenschaft, der Theologie: all das was hier salopp Sprache der Pflicht genannt wurde. Aber die Sprache der Betenden ist eher eine Sprache der Dichter. Der Theologe ist der Wissenschafter des Glaubens, aber der Betende und der Dichter sind verwandt, sind Brüder. "Aus der Tiefe rufe ich!", spricht der Dichter. Der Betende geht in dieser Sprache noch einen Satz weiter. "Herr, höre auf meine Stimme", sagt er leise dazu.

Die Kirche hat - nicht zuletzt in ihrem liturgischen Sprachgebrauch - eine gewisse Sorge, dass in einer poetischen Sprache irgendein Dogma unter den Tisch geraten könnte. Zum Namen der heiligen Maria etwa sagt man meistens sofort "Jungfrau und Gottesmutter" - und hat damit schon zwei Dogmen im Laufschritt erwischt.

Man konnte in den letzten Jahrzehnten immer wieder wahrnehmen, wie bestimmte liturgische Texte, die zuerst wie Feldblumen in Freiheit "ad experimentum" wachsen durften, dann - wahrscheinlich durch die Arbeit sorgenvoller Theologen - zu Zimmerpflanzen zurechtgeschnitten wurden. Die "Schweizer Hochgebete" zum Beispiel, die seit den siebziger Jahren auch in Österreich für die katholische Eucharistiefeier zugelassen sind: Aus einer Sprache der Dichter wurde hier eine Sprache der Wissenschafter. Oder das zweite Hochgebet im römischen Missale, aus dem - entgegen früherer Fassungen - die Formulierung "Hauch des Heiligen Geistes" verschwand.

So wird es auch wohl bei den bekannten Bitten des Papstes um Vergebung so vieler Schuld der kirchlichen Vergangenheit am Anfang der Fastenzeit diesen Jahres gewesen sein: Hier spürte man direkt die Arbeit der Theologen, die an diesen Texten herumgebastelt und sie eigentlich nicht verbessert hatten. Über diese Formulierungen hinaus fand doch der Papst, selbst im Herzen ein Dichter, zu einer schweigenden, ergreifenden Gebärdensprache, indem er das Kreuz Jesu umarmte.

Das Schöne wird in der Kirche nur geduldet Die Kunst, auch die literarische, ist in der Kirche unterbewertet. Von den drei Schwestern das Gute, das Wahre, das Schöne wird die Schönheit nur geduldet und darf nicht viel kosten. Das Gute, dafür ist natürlich jeder in der Kirche. Und die Wahrheit nimmt Kirche manchmal auf unerträgliche Art in Anspruch. Aber die Schönheit ist das Aschenbrödel im kirchlichen Denken.

Vor kurzem war ich bei einer großen Beratung meines Ordens in den Niederlanden. Wir werden immer weniger, aber der Besitzstand des Ordens (Ordenshäuser hauptsächlich, vermietet, verkauft) bleibt derselbe. So werden in zwanzig Jahren sehr wenig Mitbrüder über sehr viel Geld verfügen. Deswegen wird schon jetzt ein großer Fonds geplant, mit dem man dann einige Projekte finanzieren wird. Welche Projekte? Es wurde nur über soziale Projekte gesprochen. Vorsichtig erzählte ich von Österreich, vom Otto Mauer Fonds*), und schlug vor, auch an ein Kunstprojekt zu denken. Die Reaktion der Mitbrüder war ein großes Staunen. Über die Kunst zu reden, Kunst großzügig zu fördern, liegt außerhalb des niederländischen kirchlichen Horizontes. Das wurde mir in diesem freundlichen Gespräch klar.

Beim Guten und Wahren ist die Schönheit immer die Verliererin. Ein Wiener Dogmatikprofessor, der nicht solche Ängste vor Schönheit hatte, erklärte einmal seinen Studenten:"Eine gute Predigt enthält meistens mindestens eine Ketzerei." Natürlich ist das so. Denn eine gute Predigt spricht auch die Sprache der Dichter. Sie übertreibt, lässt aus, sagt nicht, was auch noch zur Vollständigkeit gesagt werden sollte, ist einseitig, parteiisch. Und gerät damit ins Ketzerische, was die Sorge der Dogmatiker über die Dichter bestätigt.

So erging es auch dem armen Bildhauer Jan Batiste Xavery, der im 18. Jahrhundert im niederländischen Haarlem einen Auftrag für ein Marmorrelief in der "Großen Kirche" in Haarlem bekommen hatte. Mit großer Fantasie und Freiheit ging er an die Arbeit. Aber sein Entwurf gefiel den Auftraggebern nicht (das Leben in Haarlem, meiner Geburtsstadt, war immer etwas trocken). Nun bekam er genaue Vorschriften über vier darzustellende Gestalten - Bilder der Pietas, der Dichtkunst, der Musica und der Ewigkeit - mit Texten dazu, die jedem Missverständnis vorbeugen sollten. Keine mehrdeutige Sprache der Künstler also, sondern eindeutig und klar wie ein Dogma.

Wer von Gott reden will, muss die Sprache der Liebe, die Dichtersprache der Liebe lernen oder wenigstens zulassen. Wenigstens keine Angst haben, dass die Sprache der Liebe die Computersprache der Pflicht wie ein Virus zerstören kann.

Pflicht, Notwendigkeit kann natürlich ein Anlass sein diese Sprache zu sprechen. Das weiß jeder Prediger! Aber was da zu Sprache kommt, sollte in dieser Sprache der Liebe, in der Sprache der Dichter beheimatet sein.

Von den Worten geküsst werden Im Jänner dieses Jahres erzählte ein Meister der religiösen Sprache, Huub Oosterhuis - von dem viele Gebete und Liedtexte auch in deutscher Sprache vorliegen - in einem Vortrag für den niederländischen Rat der Kirchen, wie er selbst sein erstes Kirchenlied schrieb. Als junger Jesuit war er Erzieher in einem Internat. Jeden Sonntagabend, halb neun, hatten die 49 Buben dieses Internates bei einer Andacht anwesend zu sein. Weihrauch und lateinische Gesänge!

Nach einer solchen Andacht fragte der Leiter des Internats November 1959 den jungen Oosterhuis "im Gottesnamen etwas Neues zu erfinden, etwas mit der Bibel oder so, Lieder in niederländischer Sprache", denn so konnte es doch nicht weitergehen. So entstand das erste Oosterhuislied; dieses hat auch im "Gotteslob", dem deutschsprachigen katholischen Liederbuch für den Gottesdienst, einen Platz gefunden: "Solang es Menschen gibt auf Erden". Eine Woche nach dem Aufruf des Internatsleiters wurde es, begleitet von Klarinette und Orgel, in jenem Internat zum ersten Mal gesungen.

Wenn auch aus Notwendigkeit 0entstanden, der eigentliche Tonfall der religiösen Sprache ist die Liebe. Für die religiöse Sprache gilt was der niederländische Lyriker Leo Vroman über die eigenen Gedichte in einem poetischen Text sagt: Gedruckte Buchstaben lass ich dich hier lesen, aber meine Hand kann dich nicht erreichen.

O, wenn ich dich trösten könnte.

Komm, leg deine Hand auf dieses Papier, meine Haut.

Liebe ist das einzige.

Liebe war es, die den Bleistift in meiner Hand bewegte.

Ich möchte unter dieser Seite sein und durch die Buchstaben dieses Gedichts schauen in dein lesendes Gesicht und mich sehnen nach dem Schmelzen deines Schmerzes.

Weck diese Worte nicht umsonst auf.

Lies sie als einen lange erwarteten Brief.

Sei beruhigt. Und fürchte nicht den Gedanken, dass du von diesen Worten geküsst wurdest, denn ich liebe dich sehr.

Der Autor, Augustinerpater, ist Rektor der Ruprechtskirche in Wien. Sein jüngstes Buch "An Orten gewesen sein" (Otto Müller Verlag/Verlag Die Quelle, Salzburg/ Feldkirch 1999; vgl. furche 37/99) ist ein Versuch, der in obigem Artikel eingemahnten poetischen Sprache der Christen gerecht zu werden.

*) Der Otto-Mauer-Fonds der Erzdiözese Wien subventioniert Projekte im Bereich Kirche -Kunst und Kirche - Wissenschaft.

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