Hortus Deliciarum (ca. 1180), Pfingsten - © commons.wikimedia.org - Hortus Deliciarum (ca. 1180), Pfingsten: Die Aussendung des Heiligen Geistes auf die Apostel

Religiöse Sprache: An Psalmisten und Dichtern orientiert

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Religiöse Sprache. Ein Weg nach Pfingsten. Gedanken für den Tag*)

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Religiöse Sprache. Ein Weg nach Pfingsten. Gedanken für den Tag*)

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Alles hat seine Sprache. Menschen reden, um einander zu verstehen. Aber auch wenn sie die gleiche Sprache sprechen, sprechen sie unterschiedliche Sprachen.

Es gibt die Sprache des Alltags und die Sprache der Feste. Die Sprache der Gesetze und der Parlamentsreden.

Es gibt die Sprache an der Supermarktkassa und die ausgefeilte Sprache eines wissenschaftlichen Vortrags. Die Sprache in der Zeit im Bild, wo ein Moderator möglichst konkret fragt, und ein Politiker die Kunst versucht, darauf möglichst nicht zu antworten.

Es gibt die Sprache, die Liebende einander zuflüstern, und das Geschrei des Kleinkindes, das nicht bekommt, was es gerade haben will. Die Sprache des gescheiten Österreichers und die Dummerl-Sprache, mittels der er mit einem vermeintlichen oder echten Ausländer verkehrt.

Dann gibt es die Sprache der Dichter und den Befehlston der Militärs, den nicht bloß Militärs im Mund führen. Auch die Sprache der Schüchternen und das forsche Wort der Allesbesserwisser.

Es gibt Worte, die ihren Weg über die Lippen kaum finden und das Gebrüll derer, die ihrer Sache gar sicher sind. Es gibt den Schrei der Verzweiflung und die Lieder von Hoffnung und Zukunft.

Welche Sprache aber ist die religiöse Sprache? Die Worte der Beter, das Reden im Gottesdienst?

Keine Alltagssprache, auch wenn der Alltag in dieser Sprache zur Sprache kommen muss. Keine Sakralsprache, die kunstvoll weit weg vom Leben ist.

Der Mund des Gerechten bewegt Worte der Weisheit
und seine Zunge redet, was recht ist.

So hat es ein Psalmdichter ausgesprochen, und ein anderer Psalmist hat gedichtet:

Ich flüchte mich zu dir.
Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht,
bis das Unheil vorübergeht.

Zwei Hinweise nur aus den Psalmen: Gerechtigkeit und Trost.

Gerechtigkeit und Trost - zwei Attribute, die einer religiösen Sprache wohl anstehen.

Poesie wie Brot

Religiöse Sprache ist keine theologische Sprache. Theologie mag notwendig sein, um nach Gott zu forschen. Religiöse Sprache ist auch nicht die Sprache der Dogmen oder kirchlicher Gesetze. Dogmen mögen dazu da sein, Glaubensfragen zu klären.

Die Sprachen der Wissenschaft und des Gesetzes werden kaum je das Herz anrühren.

Religiöse Rede - und insbesondere das Sprechen im Gottesdienst - muss aber die Erfahrungen, die Existenz, die Höhen und die Tiefen all dessen, was Menschen widerfährt, zur Sprache bringen.

In den Gesetzbüchern ist diese Sprache nicht zu finden, auch nicht in den Gesetzbüchern der Religion.

Man muss auf die Suche gehen nach dieser Sprache; sie fällt einem in der nüchternen und auf Erfolg gerichteten Zeit nicht in den Schoß. Eine Spurensuche nach der Sprache ist nötig. Man findet sie ja vielleicht bei den Dichtern. Denn ein Dichter verwendet Sprache nicht als Paragraphenwerk, er setzt die Wörter nicht ein, um Erfolg zu haben.

Die Worte des Dichters gleichen viel eher ungeschützt ausgesetzten Blättern, die im Sturm treiben wie Menschen im Leben. Das Volk braucht Poesie wie Brot, hat die französische Mystikerin Simone Weil einmal geschrieben. Wer sich um religiöse Sprache müht, sollte bei den Poeten fündig werden - auch bei den Poeten der Bibel.

Denn auch die wussten von den Gründen und Abgründen des Menschen - und von der befreienden Kraft, das auch auszusprechen:

Wende dich mir zu und sei mir gnädig
denn ich bin einsam und gebeugt.
Befrei mein Herz aus der Angst …

So hat es ein Psalmdichter gesagt.

Wie ein Kind, das getrunken hat
und an der Brust seiner Mutter ruht,
so ist meine Seele in mir …

Auch das hat ein Psalmist geschrieben.

An dieser Sprache sollte sich religiöse Sprache auch heute orientieren.

Haltbare Sätze suchen

Noch schnell ein Gedicht eingebaut, dann ist eine gute Predigt fertig. - Das ist nicht gemeint, wenn von Poesie, von den Dichtern die Rede ist, nach der sich religiöse Sprache ausrichten soll.

Von Gott und mit Gott zu reden gehört zu den größten Herausforderungen menschlicher Sprache.

Der Hinweis auf die Dichter will sagen, dass dies alles nicht fertig ist, unvollkommenes Stammeln bleibt, aber Stammler sind die Menschen, und sie müssen doch davon reden, was sie umtreibt und darüber sprechen, wovon sie eigentlich nicht sprechen können.

Einen einzigen Satz haltbar zu machen,
auszuhalten in dem Bimbam von Worten …

So hat Ingeborg Bachmann in einem Gedicht geschrieben.

Auch wenn man gerade die Literatur keineswegs religiös vereinnahmen sollte - der zitierte Satz von Ingeborg Bachmann stand in einem Gedicht, nicht in einem Gebet - so lässt sich die Verwandtschaft des Dichters und des Beters, der Dichterin und der Beterin keineswegs leugnen.

Gute religiöse Sprache, liturgische Sprache, die trifft, ist bei den Dichtern in die Schule gegangen. Und erst recht bei den Dichtern der Schrift.

Nehme ich die Flügel des Morgenrots
und lasse mich nieder am äußersten Meer,
auch dort wird deine Hand mich ergreifen
und deine Rechte mich fassen …

Denn du hast mein Inneres geschaffen,
mich gewoben im Schoß meiner Mutter.

Solches hat der Dichter des 139. Psalms in Worte gefasst. Bilder, die seit Jahrtausenden tragen.

Zarte Worte, unscheinbar aneinandergereiht wie eben ein Gedicht. Daran soll sich religiöse Sprache messen:

Behüte mich wie den Augapfel, den Stern des Auges,
birg mich im Schatten deiner Flügel …
So heißt es in einem anderen Psalm.

Wer nach haltbaren Sätzen sucht, hat vielleicht hier einen gefunden.

Pfingsten - ein Sprachfest

Am Anfang der Bibel findet sich auch die Geschichte vom Turmbau: Die Menschen, heißt es da, bauten einen Turm bis zum Himmel hinauf, um sich größer als alles Vorherige zu machen. Und Gott verwirrte die Sprache der Menschen und zerstreute sie über die ganze Welt. Die Stadt des Turmbaus bekam Babel - das heißt: Wirrsal - als Namen.

Wie viele biblische Geschichten spiegelt auch die Parabel vom Turmbau uralte Menschheitserfahrung wider: Menschen wollen zu hoch hinaus und finden sich wieder als Zerstreute, die einander nicht mehr verstehen.

Gegen Ende der christlichen Bibel, in der Apostelgeschichte, steht eine andere Erzählung, die der Verwirrung einen - gleichfalls uralten - Menschheitstraum entgegensetzt: Jenen Traum, dass die Menschen, woher sie auch kommen, einander verstehen. Parther, Meder, Elamiter, berichtet die Apostelgeschichte, Menschen aus Syrien, Rom, Arabien, Juden und Nichtjuden, Bewohner der ganzen Welt waren in Jerusalem versammelt und hörten - jeder in seiner Sprache - wie die Apostel Gottes große Taten verkündeten.

Die Hoffnungsgeschichte, von der hier die Rede ist, ist die Erzählung von Pfingsten. Dieser Tage, am Pfingstfest, erinnern die Christen aufs Neue daran.

Pfingsten, das ist eine Hoffnungsgeschichte. Ein Sprachfest, das davon kündet, wie die Sprachverwirrung ans Ende kommt.

Pfingsten ist das zärtlichste der christlichen Feste, denn es handelt nicht mehr von einer Stadt namens Wirrsal, sondern von einer neuen Sprache, die alle verstehen können.

Worte, nicht mehr wie eine Waffe gerichtet gegeneinander, sondern als Zeichen einer künftigen Zeit, die hier und heute angebrochen ist.

Worte, die trösten und umarmen, Sprache, die heilt und Menschen zueinander bringt, in der das zärtliche Du zum Hauptwort geworden ist anstatt des schroffen Ich, das die Welt bis heute entzweit.

Ach, würden die Christen drinnen in den Kirchen und in der Welt draußen mit einer solchen Sprache reden - nicht nur, aber gerade an diesem Pfingstfest der Zärtlichkeit!

*) Hier abgedruckte Texte sind eine Auswahl der Ö1-"Gedanken für den Tag" des Autors.
Noch bis Samstag, 26. Mai, jeweils 6.57 Uhr, Ö1

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