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IN DER SPRACHE DES ANDEREN REDEN

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Pfingsten ist die Geburtsstunde der Weltkirche. Was der Herr den Seinen, die mit Ihm waren, gesagt hatte, sie hatten es nicht immer verstanden. Sein Tod hatte sie auseinandergerissen, verstört und irre gemacht, Seine Auferstehung sie mit Freude und Glück erfüllt und — wo sie gezweifelt hatten — beschämt, Seine Himmelfahrt sie allein gelassen. „Gehet hin und lehret alle Völker“ hatte der Herr ihnen aufgetragen. Sie aber waren in Jerusalem geblieben, ein kleines Häuflein gar nicht heldenhafter Männer, hütend ihren persönlichen Glauben, aber ängstlich und furchtsam der Umwelt gegenüber, vor der sie sich scheu abschlössen. Bis Pfingsten, bis der Odem Gottes, der Geist, kam, den ihnen der Herr versprochen hatte zu senden, der sie reden machte, so daß jeder sie verstand, der ihnen die Sprache gab, die zu den anderen drang und der ihnen auch das Gehör gab, der anderen Sprache zu vernehmen. Und so gewältig war das Pfingstwunder, daß aus diesen gar nicht redegewandten, gar nicht gebildeten, gar nicht ambitionierten Fischern und Handwerkern, Bauern und Zöllnern, Leute aus dem unteren Volk, Prediger und Propagandisten wurden, daß die Juden, die sie doch kannten, meinten, sie wären betrunken, weil sie alle durcheinander redeten, noch dazu in vielen Sprachen, weil ihre Augen glänzten und ihre Hände gestikulierten und sie gar keine Scheu mehr zeigten. Und sie redeten zu allen Leuten jn deren Sprache, in deren Redeweise, mit deren Worten und in deren Begriffen, und alle verstanden sie, und sie verstanden die anderen, ihre Sprache, ihre Worte und ihre Sorgen. Aus den Jüngern waren Missionäre geworden. Die Stunde der Weltkirche hatte geschlagen.

- Weltkirche heißt Weltmission, Weltmission heißt Afrika, Asien, heißt unterdrückte, unterentwickelte Völker; Weltmission heißt aber auch Mission in Amerika und Europa, heißt Missionierung der Welt um uns, heißt Mission der Halb-, Viertel- und Kaum-mehr-Christen, der Getauften und Fremdgegangenen, der vor den Toren Wartenden, aber auch der „Gar-nicht-Wartenden“; jener, die zu uns kommen wollen, aber auch jener, die gar nichts von uns wissen wollen; jener, die noch auf uns schauen, aber auch jener, die gar nicht auf uns neugierig sind, die uns verlachen, die uns bekämpfen.

Die Apostel hatten zu Pfingsten zu allen gesprochen, und alle hatten sie verstanden, da sie zu jedem in seiner eigenen Sprache redeten. Auch uns ist es aufgegeben, zu allen zu reden, zu jedem in seiner Sprache, damit er uns verstehe und damit wir ihn verstehen. Können wir das heute noch, tun wir das heute noch? Ja, wollen wir das heute überhaupt noch? In der Sprache des anderen reden, das heißt nicht nur, seine Worte gebrauchen, damit er uns verstehe, das heißt ebenso, in seinen Vorstellungen denken, seine Nöte begreifen, seine Sorgen, seine Wünsche, sein Wollen, seine Freude und seinen Schmerz ernst nehmen, auch wenn seine Vorstellungen nicht unsere sind, seine Worte uns zuerst fremd klingen, sein Denken und Fühlen uns falsch dünkt.

Reden heißt aber nicht nur sprechen, sondern auch hören. Ein Gespräch heißt nicht nur geben, sondern auch nehmen. Je mehr ich nehme, desto mehr kann ich geben, und geben ist Sache des Christen. Je mehr ich den anderen in mich aufnehme, den Zweifelnden und Irrenden, den in seiner Vorstellungswelt Befangenen, desto mehr kann ich ihm geben von dem Geist, den der Herr uns gegeben, damit wir ihn weitergeben. Je mehr ich auf ihn höre, desto mehr wird er mich verstehen, der Fremde, der mich nicht kennt, der nichts wissen will von mir, der mich verlacht, der mich bekämpft, der Bruder! „Ihr alle aber seid Brüder.“ Bruder ist nicht nur der, der mit mir denkt und fühlt, der mit mir die gleiche Sprache spricht, den ich liebe, v/eil er mich liebt. Welches Verdienst ist es, den zu lieben, der uns liebt? Was wird dadurch schon geändert in der Welt? Wir! der Kreis dadurch gesprengt?

Es heißt „Demokratie ist Diskussion“. Die tiefere Wahrheit aber ist: Christentum ist Gespräch.' Nicht nur das Gespräch in uns und mit uns, das Gespräch über alle Grenzen und Zäune hinweg, kein Monolog, sondern ein Gespräch, das die Antwort herausfordert, weil es die Antwort mit einschließt. Ein Gespräch das den anderen einholt, den eigenen Schritt dem des anderen anpaßt, seinen Weg zu gehen sich bemüht.

Tun wir das heute noch, können wir das heute noch, wollen wir das heute noch? Der heilige Ignatius hat gesagt, er gehe mit jedem Menschen durch dessen Türe hinaus, um ihn bei seiner Türe wieder hereinzuführen. Durch welche Türe gehen wir? Denken wir bei der Türe nicht zuerst an das Schloß, das sie versperrt, an die Balken, lie sie verrammeln, damit kein Dieb und kein, Räuber uns überfalle, uns und unser Haus, in dem wir uns geborgen fühlen mit unseren Schätzen, die der Herr uns gegeben hat, der Wahrheit, der Lehre, dem Glauben, der Gnade. Weil wir das Reden verlernt haben, haben wir auch das Hören verlernt: wir lesen wohl das Gleichnis vom ungetreuen Knecht, der seinen Schatz vergräbt, statt ihn zu vermehren; aber hören wir dieses Gleichnis, verstehen wir es noch?

Ist es ungerecht, wenn wir so von uns selbst sprechen? Die anderen sind es doch, die nicht hören wollen, die nicht auf uns hören wollen, die nicht zu uns kommen, obwohl wir ihnen doch deutlich die Bedingungen gesagt haben, unter denen sie kommen können. Ist das Wort Bedingung zu hart, ist es zu bitter? Aber tun wn1 nicht täglich so, als ob die anderen für uns da wären, als ob wir ihnen vorsehreiben könnten, unter welchen Umständen wir bereit wären, mit ihnen zu sprechen. Erstens müßten sie einmal lernen, unsere Sprache zu reden, denn ihre Sprache ist für uns nicht nur unverständlich, sondern auch gefährlich, davor haben wir Angst;' zweitens müßten sie auf unsere Wege kommen, denn ihr Weg führt — wer weiß wohin — in eine Zukunft, die wir nicht kennen und davor haben wir Angst.

Und hat er es dann noch immer nicht aufgegeben, zu uns zu kommen und lösen wir die Eiegel vor unserer Tür, and öffnen sie einen Spalt, nicht um ihn hereinzulassen, sondern um ihn erst einmal noch genau zu examinieren, dann rufen bestimmt einige von uns: Macht die Tür zu, es zieht! Wir könnten nämlich einen Schnupfen bekommen, denn hier herinnen bei uns ist es warm, wenn auch ein wenig dumpf, weil wir so eng beisammen sind, und draußen weht ein scharfer Wind, und da könnten wir uns erkälten. Und davor haben wir Angst wie vor dem Reden in einer anderen Sprache, wie vor dem Gehen auf einem anderen Weg.

Die Wege aber, die die Apostel nach dem ersten Pfingstfest gingen, waren für sie fremde Wege, die Türen, die sie aufstießen, fremde Türen, die Luft, die sie umfing, erfüllt vom Stürmen und Brausen des Geistes, und die Sprache, die sie redeten, war immer die Sprache der anderen, sie sprachen nicht mit sich selbst und ihresgleichen. Der Geist und der Auftrag des Herrn trieben sie hinaus zu denen, die sie hören wollten, noch stärker aber zu denen, die sie nicht hören wollten. Und damit die Menschen sie verstünden, redeten sie in der Sprache der Menschen, hörten sie die Sprache der Menschen und. gingen die Wege der Menschen. Die Welt war damals voll von Fremden, Irrenden und Zweifelnden, voll von Gegnern, voll von Feinden. Ihr, der Apostel, Wandern, ihr Suchen, ihr Gespräch hat diese Welt bezwungen.

Gibt es für uns keine Welt mehr zu bezwingen? Müssen wir da nicht zuerst lernen, mit den anderen ihre Sprache zu reden, auf ihren Wegen zu gehen, durch ihre Türen zu schreiten, damit wir sie auf unsere Wege geleiten und -in unserer Sprache lehren können, durch unsere Tür zurückführen können, in das Haus, das nicht unser ist, weil es uns allein gehört, sondern das Gott uns und allen unseren Brüdern bereitet hat, allen, welche Wege immer sie gehen und welche Sprache immmer sie sprechen. Wir müssen sie suchen, nicht sie uns, wir müssen zu ihnen in ihrer Sprache reden, nicht sie in unserer. Damit wir dies vermögen, hat uns Gott zu Pfingsten den Geist gesendet.

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