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ES GESCHAH MIT WORTEN…

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Wir dürfen nicht .ableugnen, daß unser Weltbild auch durch Worte geformt wird. In den Zeitungen, in Fachbüchern, in neuen Welt- und Literaturgeschichten, in exklusiven Romanen und Novellen finden wir eine große Anzahl von fremdklingenden Wörtern, und es wäre einer Doktorarbeit wert, zu untersuchen, ob die Mehrheit der Leser immer die Ausdeutung der neuen Wörter zur Hand hat oder ob sie darüber hinwegliest.

Ein gewichtiges Wort des Philosophen Johann Gottlieb Fichte heißt: „Die Menschen werden weit mehr von der Sprache gebildet, als die Sprache von den Menschen.” Greifen wir zu den unversieglichen Quellen unserer Literatur, so finden wir seinen Ausspruch bestätigt, und wir unterscheiden in den Aussagen der Geistesfürsten drei Tonstufen des sprachlichen Ausdrucks: Sachlichkeit, Zurede und Gegrolle.

Schon vor 2500 Jahren klagte Konfuzius über die Verwirrung, die man mit der Sprache, mit Worten, anrichten kann; und der englische Philosoph Locke wettert im dritten Buch seines Versuches über den menschlichen Verstand (1690): „Der größte Teil der menschlichen Streitigkeiten trägt einen verbalen Charakter. Verständigt euch doch vorerst einmal über die Bedeutung der Worte und der Disput wird verschwinden.”

Der feinsinnige Dichter Matthias Claudius (1740—1815) sagt über die Sprache: „Ich stelle mir oft bei müßigen Stunden die Sprache als ein Bündel Stäbe vor, wo an jedweden Stab eine verswunschene Prinzessin angezaubert ist; und der Mann, der die Sprache versteht, wäre dann ein Sonntagskind, das Geister sehen kann, unterdes der andere den Stab sieht und nichts weiter.”

In jedem Wort, das wir sprechen, das wir schreiben und drucken lassen, steckt doch ein Leben, das sich dem anderen mitteilt. Natürlich haben sich im Laufe der Jahrhunderte viele Wörter in der Bedeutung gewandelt oder haben sich geboren, isit doch unsere deutsche Sprache eine leibende. Aber drechseln wir heute oft nicht Sätze, die nur Geräusch machen, Verwirrung bringen?

Der heutige Gedanken-Speisezettel (der besteht ja aus Wörtern wie einst) wird von vielen unter uns ohne viel Nachdenken aufgenommen, da zuviel Gedrucktes uns überstürzt. Denken wir an unsere Kindheit und an die Expedition in erste Märchenbücher, so war dies jenes Aufnehmen von Wörtern, von Bildern, die uns als Kind nicht nur zu uns selbst führten, sondern auch zum Begreifen einer anderen Welt oder Welten. Das Aufgenommene führte uns auf Wege zu den Wirklichkeiten oder HalbwirMichkeiten.

Das Lesen soll für uns eine Fahrt ins Wunderland sein, die Wörter sind die Wegmarkierungen.

Heutzutage wird oft die Sprache administrativ behandelt, auch versucht man sie zu reformieren. Cäsar hat schon gewußt: der Grammatik und den Grammatikern ist nicht zu befehlen.

Wörter zu einer Art mathematischer Größe von unbestimmten und unveränderlichen Werten einzuteilen, wäre füi die Sprache, für die Wörter, ein Abdrücken in ein unausstehliches Grau, und unsere Rede wäre ohne Nuancierung, ohne persönliches Leben.

Die Zehn Gebote Gottes sind das steingewordene Gewissen der Welt, der Menschheit. Und gab es auch Männer, die gegen die Zehn Gebote Gottes revoltierten, so wissen wir aus der Geschichte, daß sie eines Tages dastanden und sich verstecken wollten vor sich selbst; aber vor Gott konnten sie es nicht. Es gibt heute noch Wort-Beckmesser, die vorgeben, dem Humanismus einen Tempel zu erbauen. Dahinter stecki aber Byzantinismus, Liebedienerei und Korruption. Mit ihrer Worten werten sie die Menschen nur noch als Zahl, nicht das Schicksal des Menschen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen am Fleisch des Wortes kleben, weil sie von konzessionierten Meinungsfabrikanten um die richtige Wertung des Wortes langsam aber mit Erfolg betrogen werden. Und mit Hilfe angelernter Worte werden dann die Menschen auf die Angelegenheiter der Gesellschaft der Politik losgelassen. Dafür besitzen wir Zeugnisse genug.

Worte bleiben lautgewordener Geist! Worte sind der Humus und der Ertrag, der uns zweifeln läßt, uns wachruft, quält, aber auch zum Glück führen kann.

Verlassen wir doch angelernte Denkgewohnheiten. Von der Wiege an werden wir mit Worten vertraut gemacht, in den Schulen an Wörter gewöhnt; im täglichen Leben gebrauchen wir diesen Wortschatz.

Ist es aber ein großes Begehren, wenn wir in späteren Jahren in nachdenklicher Weise nach Worten suchen, die nicht verwirren, sondern uns Menschen nahebringen? Es ist doch armselig, nur in Plakatworten zu denken!

Legen wir einmal Selbstkritik an beim Suchen nach Worten, die wir zum anderen sprechen; das Erbarmen, das Mitleiden, auch das Glück wird dann überstrahlt werden vom Göttlichen der Sprache, des gesuchten und gefundenen Wortes.

Ist es daher zuviel gesagt: Es geschah mit Worten…?

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