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SCHWARZ AUF WEISS

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Sagt schon,ein altes Sprichwort „Was man schreibt, das bleibt”, so treten wir mit „Schwarz auf Weiß” vollends den Beweis an, daß mittels Schrift (geschrieben und gedruckt) die Sprache ihrer Flüchtigkeit beraubt und das Gesprochene für alle Zeiten fesfgehalten wird.

Der Allgemeinheit ist heute die Schritt ein notwendiges Uebel. Wir haben schon vergessen, wieviel Mühe und Schweif) und Zungenbisse die sechsundzwanzig Buchstaben (grofje und kleine) unseres Alphabets uns gekostet haben, sie zu kennen, nachzumalen und schließlich frei aufs Papier zu schreiben; und dann endlich erobert, kommt das noch schwierigere Zusammensetzen zu Wörtern und Sätzen, die aber auch noch nicht stimmen müssen, wenn wir in der Rechtschreibung nichts gelernt haben. Alles, was der Mensch daher in fünfzig oder jnehr Jahren dazulernt, was sein Glück, was seine geistige Bereicherung ausmacht, lebt von der Schrift, von dieser Kunst der dauerhaften Mitteilung.

Die Täglichkeit der Schrift ist es aber, die uns gegen sie abstumpfen ließ: in beängstigender Fülle überschwemmt uns tagtäglich Gedrucktes, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Werbematerial, Drucksachen aller Art; Verträge werden unterzeichnet, Banknoten,

Pässe ausgestellt — alles Papiere, die heute Gültigkeit haben, aber schon morgen ungültig erklärt werden können. Eine Tatsache, die gerade nicht dazu angetan ist, vor der Schrift zu erschauern.

Die verschiedenen Kulturkreise stimmen darin überein, daß die Schrift göttlichen Ursprungs sei. Bei den Altägyptern war jedes Schriftzeichen (Hieroglyphe) ein Gotteswort: Ueber die jüdische Auffassung berichtet das zweite Buch Moses (Kap. 31, Vers 18, und Kap. 32, Vers 10), daß die ersten Gesetzestafeln steinern waren, „geschrieben mit dem Finger Gottes’ und „Gott hat sie selbst gemacht und selbst die Schrift darin eingegraben”. Die zweite Gesetzestafel — Moses hat die erste in seinem Zorn zertrümmert — mußte Moses selbst Herrichten und beschreiben (zweites Buch Moses, Kap. 34, Vers 1 und 27). Hier haben wir also Gottessohrift neben der Menschenschrift Moses, der so zum Erfinder der jüdischen Schrift wird.

Platon spricht überhaupt vom göftlichen Ursprung der Schrift. Noch in Isidors Etymologien schwingt sich etwas von der schöpferischen Scheu nach, die man der Schrift gegenüber empfand. Daneben stehen Beispiele von Buchstabenmystik und Schriftzauber im germanischen Bereich; ja, all das macht sich das ganze Mittelalter hindurch noch geltend. Ein aufschlußreiches Kapitel jener religiösen Unterströmungen sind etwa die sogenannten Himmelsbriefe (angeblich vom Himmel herabgefallene Schriftstücke mit göftlichen Weisungen religiösen oder auch grobbetrügerischen Inhalts), gegen die sich selbst Karl der Große in einem Kapitulare wenden mußte. Somit erkennen wir schon an den wenigen aufgeführten Beispielen, daß die Geburtsstunde im Dunkel liegt.

Die Buchstabenschrift, wie sie heute in den verschiedenen Alphabeten vor uns liegt, verrät eindeutig die Verwandtschaft mit religiösen Ideen über Zeugung und Schöpfung in Zeit und Raum. Derselbe heilige Sinn und Instinkt spricht sich ferner auch in der Schreibweise oder Anreihen und Nebeneinanderstellen und Fortführen der Wörter und Linien aus.

Wenn Heraklit, der griechische Philosoph aus Eahesos, sagt: „Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift!” so ist das zutreffend. Sie ist eine geistesbestimmte Disziplin unserer Kultur. Wir wissen aber auch, daß die Schrift das lebendige Wort nur unvollkommen wiederzugeben vermag; dafür bietef sie frotz dieser Unzulänglichkeit den unermeßlichen Vorteil, der Sprache Dauer zu verleihen. In der Schrift erstarrt das un- . mittelbare Leben der Rede. Die Entstehung der Schrift ist eng verknüpft mit der menschlichen Kultur. Hatte seinerzeit unsere Vorfahren die gefährliche Tierwelt erfinderisch und wehrhaft gemacht; hatte seinerzeit die Fruchtbarkeit eines Landes nach dem endgültigen Rückzug des Inlandeises die Dichte der Bevölkerung hervorgerufen, und wuchs mit der Bevölkerungsdichte hinwiederum „die ,-Stärke des S Kampfes -UTnrg Daseinp spornte-. demnsßi i: einzelnen" an, und zwang zugleich die Gesamtheit’ ü wirf schaftllchery 'gwellschaftKcher’ " iKioqd. PoUtjteher Organisation; .¡bÖLpgk, da,y allei? nih femc’AufkommBreader SchrJJtisflei si s( sammen. Was der eine ersann, mußte dem nächsten vermittelt werden, und zwar dauerhafter als durch mündliche Ueberlieferung.

Die Buchstaben, winzig rapportierendes Element in der heutigen Flut schriftlicher und gedruckter Aussage, spiegeln wie der Wassertropfen das Urmeer, das Ganze unserer heutigen Welt Wider. Das gedruckte Worf — heufe allerdings auch durch Anfennen in den Weltenraum zu allen hörenden Menschen hinaus gesprochen — ist eine umfassende Weltmacht von unbegrenzter Wirksamkeit geworden.

In manchen Büchern wird über die Buchstabenmystik zuviel getan; doch das Unerklärliche hat noch immer zu verschiedenen Auslegungen gereizt. Wenn das Christentum im „A” die heilige Dreifaltigkeit Gottes und der verbindende Querbalken zum Symbol des Kreuzes gedeutet wird, so entspringt das nicht einem Mystizismus, sondern der Gläubigkeit und Wahrheit, wie es der Dichter Clemens Brentano anfangs des 19. Jahrhunderts sagte, daß Christus das A und O der Welt ist!

Wir dürfen in unserer bewegten Zeit mit Recht das Kulturphänomen Schrift als die größte Leistung der Menschheit bezeichnen, denn an der Entwicklung der Schrift hat die ganze Menschheit ihren Anteil. Laufen auch unsere Sinne auf vollen Touren im fiebrigen Ablauf unserer Tage, so soll uns das nicht von einer gewissen Nachdenklichkeif über Dinge und Begriffe, die uns viel zu sagen haben (und dazu gehört vor allem die Schrift), entheben. Wenn der Fortschritt der Wissenschaft schon den Wagen gebaut hat, wohin reisen wir mit ihm? Ich glaube, daß uns das erregende Heute nicht vom Verweilen auf einer besinnlichen Insel wegdränqen dürfte, auf der wir dann zu unserer Schrift heimfinden müßten, als einem Geschenk von Ewiqkeit zu Ev/igkeit.

Wie sich einst der Mensch über das Dasein der Tiere erhob, seit er der Sprache mächtig, so trat er in die Existenz seiner bewußt geschichtlichen Schöpfung, seit er mit der Schrift verbunden. Und daher sollte man zuweilen darüber nachdenken, auf einer Sommerwiese im Schatten bei der Lektüre eines Buches, im Garten abends beim Lampenschein, zuhörend im Kreise um einen Vorlesenden, welch eine unabänderliche Gewalt jn unseren Buchstaben liegt...

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