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Kirchenchor und singende Gemeinde

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Wo ein Kirchenchor in Aktion tritt, tut er dies ausschließlich als Stellvertreter der Gemeinde. Denn im Geiste ist Kirchenmusik nichts anderes als das zum Gesang gesteigerte Wechselgebet zwischen Priester und Gemeinde beim liturgischen Opfer. Im idealen Choralamt singt die Gemeinde dieihr zufallenden Teile selbst. Auch in Neukompositionen wird auf die Mitwirkung der Gemeinde Rücksicht genommen. Am vollständigsten aber tritt die Gemeinde in betende und singende Aktivität bei der Betsingmesse in der Landessprache. Diese neuere Form hat schnell an Verbreitung gewonnen und erfreut sich großer Beliebtheit. Sie ersetzt nicht das Hochamt, soll aber neben ihm mit Sorgfalt gepflegt werden, was nicht leicht ist, besonders vom Musikalischen her. Wenn man nämlich (sehr einfach) Meß- und Zeitliedstrophen aus ihrem Zusammenhang reißt und notbehelfsmäßig einsetzt, entsteht ein musikalischer Dilettantismus, der nicht gebilligt werden kann. Wenn schon eine neue Meßform, dann auch eine neue Musik! Man kann nicht im Wort erneuern und in der Musik veralten, wenn man im Geist erneuern will. Daß es solche neue Musik für die Betsingmesse gibt, beweisen die Übertragungen durch den Rundfunk, die man verdoppeln könnte, wenn sie in solcher Anzahl angeboten würden. Denn der Rundfunk veranstaltet keine Messe, er übernimmt sie nur aus einer Kirche Österreichs. Es besteht freilich ein Unterschied darin, eine Betsingmesse mit der Pfarrgemeinde schön und würdig zu feiern — oder dafür zu sorgen, daß auch der Heimhörer diesen Eindruck hat. Der Mitschauende ist leichter zu befriedigen als cjej N^urhörende. Die Eignung der sprechenden und singenden Stimmen, die Führung des Volksgesanges, die Dämpfung der scharfen und störenden Stimmen darin — das alles bedarf einer eingehenden Vorarbeit, die erst dann vollbracht ist, wenn man nichts mehr von ihr merkt. Deshalb kann der Rundfunk seltener eine Betsingmesse übertragen, und nicht nur aus dem anderen Grund,

Freunde der Betsingmesse, von denen einer meinte, sie machten 80 Prozent aus.

Um der österreichischen Kirchenmusik ihr Niveau zu erhalten und ihre Zukunft zu sichern, bedarf es der schon angedeuteten Reform der Kirchenchöre und einer Intensivierung des Volksgesanges. Kirchenchor und singende Gemeinde dürfen einander nicht als Gegensätze empfinden, sondern müssen immer mehr zur Einheit werden. Die Verschiedenheit ihrer Funktion liegt im musikalischen, die Einheit im 1 i t u r g i s c h e n Geschehen, dem alle Musik dient, der Volksgesang ebenso wie der Chorgesang. Daß sie vom Volksgesang allein gestaltet werden kann (wenn auch nicht muß), ist ein Vorzug der Betsingmesse, weil sie dem Ideal aller Kirchenmusik, Wechselgesang zwischen Priester und Volk zu sein, näherkommt als durch den vermittelnden Chor. Die Unmittelbarkeit der betenden und singenden Funktion der Gemeinde ist dem passiven Nurhören und Meditieren vorzuziehen. Aber alles zu seiner Zeit. An Hochfesten zumindest sollte das Hochamt, wie schon das gemeinsame Wort „Hoch' unterstreicht, an keiner Kirche fehlen Es muß ja nicht gleich eine Messe von Beethoven oder Bruckner sein; zu einem Choralamt genügt ein halbes Dutzend Sänger, und wenn die Gemeinde die ihr zufallenden Teile mitsingt, ist man dem Ideal näher als durch die schönste „Aufführung“.

„Singt dem Herrn ein neues Lied, ihr Völker“, sagt der Psalmist, und das bedeutet ja wohl: Singt in allen Sprachen, mit allen Stimmen, aber singt ein „neues“ Lied, beharrt nicht im Althergebrachten allein! Bei aller Verehrung und Wertschätzung der alten Meister müßt ihr auch aus euch selber was Neues hervorbringen, neue Formen, neue Töne, neue Klänge, neue Lieder. Singt dem Herrn ein neues Lied, vor allem aber: singt! Laßt nicht die anderen singen und hört zu — wie viele machen auch in der Betsingmesse den Mund nicht auf! —, und kritisiert dann, wie es euch gefallen hat. Singt selbst, und alles wird schöner sein, weil ihr mit dabei wart und das Eure dazu getan habt. Ihr seid nicht zum Kritisieren berufen, sondern zum Handeln! Und wenn der Pfarrer oder der Musiker ein neues Lied mit euch durchnimmt, lernt es aufmerksam und willig, denn ihr werdet reicher davon als durch alles einseitige Urteil. Und ihr Kirchenchöre:

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