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Dichter und Dichterling im religiösen Raum

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Zur Revision stehen sie schon lange, die Texte geistlicher Lieder. Welcher Chorregent hat sich über ihre Unzulänglichkeit nicht schon den Kopf zerbrochen, im eigenen Wirkungskreis von Fall zu Fall eine Umgestaltung versucht?

Besonders schlimm steht es um die Chorliedertexte zu „besonderen Anlässen“, wie Hochzeiten, Begräbnissen usw. Da ist beispielsweise in einem vielbenützen Begräbnislied statt von Gott von einem „höheren Wesen“ die Rede, das über Wolken thront; von einem „schönen Sterne“, darauf es ein Wiedersehen gibt; von einem Pilgrim, der mit dem Tode sein bestes Teil erwählt, weil er „entbunden (Atempause) von allem Erdenleid ...“

Brautpaare treten vor den Altar, haben „den Schritt gewagt“, haben, wie es in einer Vertonung Fritz Webers so „schön“ heißt, den schwersten Kampf gekämpft, den besten Sieg errungen! Und das schon im Brautstand; welcher Sieg, welcher Kampf dann erst nach

30, 50 Jahren, bei der „Silbernen“ oder gar „Goldenen“! Nein, so bar jeder höheren Empfindung und Romantik kann wohl einer Verse sdimieden, bestimmt aber nicht heiraten! Kein Wunder, daß auch der Komponist mit solch dichterischer Mache nicht viel anzufangen gewußt. Welch Gegenbeispiel dazu: „Ein Trauungsgesang“ nach Salomons Hohemlied aus der Feder Max Filkesl

Mag sein, daß die Komponisten Weber, Welker, Gruber, Jaist, aber auch so manche von heute, die solche Stilblüten vertonten, in der Wahl ihrer Dichter zuwenig vorsichtig gewesen waren. Wir büßen noch immer dafür, machen nach einem Klammervermerk des Verlegers (oder steckt da auch der Autor dahinter?) aus der Maien, eine Himmelskönigin, aus der in der Blüte der Jahre dahin-gesunkenen Jungfrau einen Jüngling, aus einem Pfarrherrn einen Bischof, aus einem Braut- ein Jubelpaar. Singen gleich bei einem vollen Dutzend von Marienliedern den ewiggleichen Refrain: Sei gegrüßt viel-tausendmal, vieltausendmai, vieltausendmal!

Ist das denn wirklich alles, was wir der höchsten aller Frauen zu sagen und zu singen wissen oder haben wir uns die Lobpreisung nicht doch einfach zu leicht gemacht? Wirkliche Dichter haben uns einst Besseres gelehrt: denken wir bloß an Kernstock oder Bruder Willram, die uns so herrliche Madonnenlieder bescherten, die in der Vertonung eines Mitterer, Goller, Koch, um bloß einzelne zu erwähnen, wahrhaft edle Empfindungen wachriefen! Mag sein, daß viele davon für den Alltagsgebrauch zu schwer sind, doch soll und muß auch unsere Zeit wieder nach solch religiös-künstlerischer Vollendung streben. Erste Voraussetzung hiezu: daß wieder wirkliche Dichter und nicht Dichterlinge die Texte schaffen zu unseren Chören und Kirchenliedern

Mit der Neuauflage gänzlich veralteter und überholter Chorliteratur (besteht dieser Titel dafür überhaupt zu Recht?) ist es nicht getan. Der Mensch von heute verlangt wie der von gestern nadi religiöser Hingabe und Entflammung durch wahrhaft kirchliche Kunst. Der gut gemeinte, aber schlecht getroffene pietistische Kitsch angeführter Art sagt ihm zuwenig; beiden zuwenig: dem Zuhörer wie dem Sänger. Jammerschade, daß die Kirchenmusikverleger zumeist an Stelle der veralteten Dutzendware nicht doch lieber nach „Neuem“ greifen, eingedenk des Psal-misten: „Lasset uns singen dem Herrn ein neues Lied!“ Gerade heute, wo nur das Beste vom Besten gut genug ist, um gedruckt und gesungen zu werden.

Dieses „Neue“ braucht deshalb nicht „schwer“ und „unsanglich“ zu sein, aber ge-halt- und sinnvoll muß es sein; ansprechen soll es den innersten Menschen, wie es einst der Choral der Barockzeit getan, der Hymnus der Klassiker.

So manche, die weniger begnadet, fanden zuerst um der Musik willen in die Kirche

— möge sie, diesen Zaungästen Gottes, vorerst wenigstens künstlerische Erfüllung sein, sie auf dem Wege der religiös-künstlerischen Empfindung dem „Mysterium“ näherbringen gemäß der Erkenntnis: durdi Sinnliches zum Übersinnlichen. '

Es muß nicht nach wie vor unser Grundsatz und Ehrgeiz sein, im Kirchlichen und Religiösen den Kunstprimat zu besitzen, ihn im Kleinsten und Alltäglichen unter Beweis zu stellen. Werkethos und Geschmacksverirrung vertragen sich auf die Dauer ebensowenig wie Niggermusik und Abendlandgeist. Die Kirche aber, als der ewige Pol und Hort, muß sich auch hier bewähren und bewahren streben, schaffen wir in ihrem Sinn, sowohl die Ausübenden wie die Verleger, wie es Großmeister J. S. Bach immer getan: ad majorem Dei gloriam!

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