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Der Kirdiehmusikverlag

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Mit dem gesamten österreichischen Buch-und Musikalienverlag steht heute auch der „Kirchenmusikverlag“ an einem entscheidenden Punkt der Entwicklung. Ist es schon in papierreienen Friedenszeiten nicht gleichgültig, welche Kirchenwerke zum Gebrauch beim Gottesdienst angeboten werden, so kommt in der heutigen Notzeit der rechten Auswahl ganz besondere Bedeutung zu. Nach dem Ausfall der bisher führenden deutschen Verlagshäuser interessieren sich nun unsere heimischen Verleger in zunehmendem Maße für' die Musica sacra. Das ist erfreulich. Doch darf dabei nicht übersehen werden, daß gerade auf diesem Gebiete in den letzten Jahren auch bei uns~ eine deutliche Akzentverschiebung eingetreten ist, die jedoch anscheinend von den Fachberatern der Musikverleger bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde. Anders lassen sich gewisse Fehlgriffe bei der Auswahl für die Herbstproduktion 1947 nicht erklären.

Die heutige Generation sieht die derzeitige kirchenmusikalische Bewegung — und von einer solchen darf man ohne Übertreibung sprechen — bewußt als einen Teil der allgemeinen liturgischen Erneuerung und als deren endlich reif gewordene Frucht. Daraus ergeben sich weitgreifende Folgerungen für die kirchenmusikalische Praxis, ihre Grundlagen, Mittel und Formen und damit auch für die Wertung einer kirchlichen Komposition. Die Päpste haben sich darüber in ihren grundlegenden Erlässen eingehend ausgesprochen. Kenntnis und Befolgung dieser kirchlichen Musjkgesetze ist daher die erste Forderung an den Verleger.

In editer Großzügigkeit hat die Kirche den Rahmen des Erlaubten sehr weit gesteckt. Ihn leichtfertig zu überschreiten oder sich mit Vorliebe an der PeripHerle zu bewegen, kann, daher durch nichts gerechtfertigt werden. Aber auch aus der Fülle des Guten und Brauchbaren kann und darf heute nur das Beste ausgewählt werden. Die Zeiten, da man einfach drauflosdruckte und dann auf den Absatz wartete, sind vorüber. Man braucht deshalb nicht gleich an eine „autoritäre Lenkung“ von höchster Stelle denken, wie dies einst der Cäcilienverein mit dem- „Vereinskatalog“ seines „Referentenkollegiums“ versucht hat. Aber ein ständiger Gedankenaustausch, ja eine Art Arbeitsgemeinschaft der Liturgen, Chorpraktiker, Kom-bonisten und Verleger wird in irgendeiner

Form ddch kommen müssen. So könnten Regiefehler vermieden werden, etwa, daß trotz größter Papierknappheit gleich zwei Verleger zur gleichen Zeit die gleiche Messe ankündigen oder daß man durch Neudrucke unbedeutender Werke, deren Wiederbelebung aus musikalischen und liturgischen Gründen unerwünscht erscheint, der langsam einsetzenden Schulungsarbeit in den Pfarren gewissermaßen in den Rücken fällt. Noch greifen die Chöre nach den schweren Einbußen an Notenmaterial begierig nach jeder Neuerscheinung. Nie war deshalb die erzieherische Verantwortung des Verleget so groß wie heute. Aber selbst bei der Herausgabe von Kirchenwerken unserer Klassiker sollte man beachten, ob gerade das gewählte Opus einem besonderen Bedarf entgegenkommt (wo zum Beispiel singt man heute noch große lauretanische Litaneien für Soli, Chor, Orgel und Orchester?) und ob es seiner stilistischen- Anlage und Haltung nach der heutigen Auffassung von der Liturgiefeier entspricht. Denn zu allererst kommt die gottesdienstliche Praxis, Liebhaber- und Studienausgaben sollten auf bessere Zeiten ^yer-schoben werden.

Die Bevorzugung klassischer und nachklassischer Meister auf Wiener Boden ist verständlich. Da aber liturgische Musik im heutigen strengeren Sinne nicht zur Hauptstärke dieser Schaffensperiode gehört, sollte man nicht zu einseitig dabei verharren. Wenn schon aalte Meister, dann sei einmal ein * mutiger Griff auf ausgewählte Werke der Palestrina-Schule und unserer Polypbonisten empfohlen. Wünscht doch die Kirche nach dem Gregorianischen Choral besonders diese Stiltrt gepflegt. Hier eröffnet 'sich auch die Möglichkeit, unsere so spärliche Propriums-literatur um wertvolle Stücke zu bereichern. „Die Feier der heiligen Messe mit Gesang“ wird sich in Zukunft immer mehr jener Form des Volkshochamtes nähern, die Dr. P. E r-hard Drinkwelder O. SB. soeben im Verlag Rupertus-Werk, Salzburg, herausgegeben hat. Der schlichte Volkschoral verlangt dabei geradezu nach stilgerechter Ergänzung durch das polyphone Proprium des Kirchenchores.

Respekt vor dem Vätererbe war seit jeher ein Wesenszug unserer Kirchenmusikpflege. Aus dieser Pietätsgesinnung ist der unverhältnismäßig hohe Prozentsatz von Erst- und Neuausgaben zu verstehen. Doch sollte es in Österreich nicht zur Regel werden, daß man mindestens fünfzig Jahre tot sein müsse, um gedruckt zu werden. Unsere lebenden Komponisten tatkräftigst zu fördern, wäre die wichtigste und schönste Aufgabe des österreichischen Musikverlages. Es darf nicht wieder dazu kommen, daß unsere heimischen Meister mit ihren Hauptwerken in das Ausland abwandern. Die große Idee der „Schola

Austriaca“ kann sinnvoll doch nur von Österreich, aber nicht von Augsburg oder Düsseldorf aus in die Welt ziehen.

Wir kennen die technischen Schwierigkeiten und Probleme, vor die heute der Musikverlag gestellt ist, und wissen, daß nicht alle Wünsche auf einmal erfüllt werden können. Wir anerkennen daher die verschiedenen Versuche und empfehlen sie der Aufmerksamkeit unserer Chorpraktiker. Komponisten, Verleger und Chorleiter sind heute mehr denn je dazu aufgerufen, die Entwicklung einer zeitgemäßen Kirchenmusik um ein Stück vorwärts zu bringen.

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