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Kontrapunkt des Solisten

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Höchste Verfeinerung seines Klanges und sein Gegensatz zugleich, werden die Solisten eines Chores (und Chorwerkes) leider allzuoft nur nach ihren stimmlichen Mitteln beurteilt und ihre Leistung als für sich, losgelöst von der Gesamtleistung und Gesamtwirkung, gewertet, während ihre Aufgabe — genau im Gegenteil — in der Erhöhung, Ueberglänzung, aber durchaus in der Einheit der Gesamtleistung ihren Sinn erhält. Weder die Bewältigung einer großen Solopartie noch eine berückend schöne Stimme können in einem Oratorium für sich allein befriedigen; erst der geistige Habitus ihrer Leistung, der aus dem Chorischen sich erhebt und doch untrennbar zu ihm gehört, wie etwa die Türme eines Domes, macht ihre Bedeutung aus.

In diesem Sinne hat Sieglinde Wagner in Mozarts Requiem (Symphoniker, Staatsopernchor unter Karl Böhm) die künstlerische und kritische Forderung am vollkommensten erfüllt; in bruchloser Verbundenheit wuchs ihr dunkler, verinnerlichter Gesang aus dem Geist des Werkes und aus den Klangwogen des geübtesten unserer großen Chöre. Eben diese bruchlose Verbundenheit fehlte den drei anderen, an sich prachtvoll singenden Solisten (Ilona Steingrube r, Waldemar Kmentt und Otto Edelmann), deren Interpretation ausgezeichnet für eine Aufführung war, aber nicht zum Erlebnis wurde.

Im Festkonzert des Wiener Lehrer-a-cappella-Chores war es Ilona Stein-g r u b e r, die in „Mirjams Siegesgesang“ durch den großen und siegenden Ton ihrer hellen

Sopranstimme, aber auch durch mitreißenden Schubertschen Schwung den Chor zu seiner klanglich besten Leistung steigerte, der sonst dem geistigen Erlebnis nur zögernd näherkam und über technische Mängel, wie Unausgewogenheit der Stimmen und des dynamischen Apparates, gelegentlich sogar der Stimm- und Tonbildung nicht hinaus ist, während deutliches Textieren und ein frisches Zupacken vielversprechende Vorteile sind. Ungleich besser als die Interpretation traditioneller Musik und sogar der reinen Unterhaltungsmusik gelang die Wiedergabe zweier zeitgenössischer Werke: Ernst Tittels Chorvariationen über „O du lieber Augustin“ in ihrer geistvoll-humorigen und Robert Leukaufs „Vier Galgenlieder“ in realistisch-zeichnerischer Eigenart. Die genannten Kompositionen bildeten den geistigen und zugleich den musikalischen Mittelpunkt des Abends.

Nicht aus einem Chorklang, sondern aus dem verschlungenen Stimmenspiel eines Kammerorchesters wuchs als ausdrucksfähigstes Instrument die Stimme Dagmar Hermanns in I.uigi Dallapiccolas „Fünf Fragmente der Sappho“ betitelten Gesängen von höchster Eigenwilligkeit, die wohl zum Expressivsten gehören, das die Dodekaphonik bisher geschaffen hat. Das Diffizile dieser Musiksubstanz als geistiges Erlebnis zu vermitteln, bedeutet für die Sängerin neben der stimmlichen auch eine geistige Konzentration höchsten Ausmaßes. Sie wurde vollkommen erfüllt.

Die Interpretation der IX. Symphonie von Beethoven durch K a r a j a n wurde an dieser Stelle bereits besprochen. Die Intensität, mit der die drei ersten Sätze musiziert wurden, teilte sich auch dem großen Chor des Singvereines und den Solisten mit, die recht eigentlich Träger des letzten Satzes waren. Dem berühmten Schweizer Gast Lisa della Casa traten , unsere, eigenen Künstler Hildegard Rössel-Majdan, Waldemar Kmentt und Otto Edelmann fast ebenbürtig an die Seite.

Im italienisch-dramatischen Stil dirigierte Mario Rossi Verdis „M essa da Requiem“, und mit italienischem Wohllaut füllten Lucia Kelston, Marianne Radev, Amadeo Berdini und Gottlob Frick den Großen Konzerthaussaal: ein weicher Sopran von edler Substanz und größter Beweglichkeit, eine angenehm timbrierte, ausdrucksreiche Altstimme, ein Tenor von edlem Wohllaut ohne süßlichen Beigeschmack und ein dunkel-dramatischer Baß vereinigten sich und kontrastierten vor dem Hintergrund der Singakademie, die — von Reinhold Schmid vorbereitet — ausgezeichnet in Form war und fast theatralische Wirkungen erzielte. H. A. F.

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