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„Der Christ in der modernen Welt“

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Man kann heute von einer Veranstaltung in Köln nicht reden, ohne von der Stadt zu sprechen, vor allem dann, wenn das der Tagung vorangestellte Thema „Der Christ in der modernen Welt" heißt und seinen symbolischen Ausdruck in der Problematik großstädtischen Aufbaues findet, wie im heutigen Köln.

Durch zwei Jahrtausende erhielt die größte mittelalterliche Stadtformung Deutschlands durch sakrale Großbauten ihre charakteristischen Züge. In seiner besinnlichen Programmschrift „Das neue Köln — ein Vorentwurf" über den Neuaufbau der Stadt nach ihren erlittenen ungeheuerlichen Verwüstungen erinnert Karl Oskar Jatho daran, daß am Anfang der Kölner Profanstadt, ihren Verlauf wesentlich bestimmend, das hierarchische Prinzip stand; das erste, was von Köln gebaut war, war sein Altar. Aber „wo die natürliche Ordnung dem Transzendenten entschlüpft und sich auf eigene Füße zu stellen versucht, da gerät sie aus Rand und Band." Das war wohl die Gefahr, die nach der Vernichtung des? alten Seins der Stadt an ihre Denker und Lenker herantrat: Nach der großen Vernichtung die Wiederherstellung der Werte aus ihrer natürlichen Ordnung zu bringen, die geistigen zwischen dem Tumult der durcheinandergeworfenen materiellen falsch zu reihen oder zu vergessen. Mit ernster Mahnung schrieb 1950 der Verfasser des „Vorentwurfs zur Stadtplanung" das schöne Wort:

„Soll das Gesicht wieder heilen, soll nach schwerer Krankheit seine physisc!i-gc'"‘rge Doppelnatur die Züge der Genesung zeigen, so muß Köln seinen Selbsterneuerungsakt nicht als wirtschaftliches, sondern auch als hierarchisches Problem, als Problem der Rangordnung auffassen.“

Auch heute noch, ein Jahrzehnt nach der großen Heimsuchung, ist das schreckliche Geschehen dem Kölner Stadtbild grausam eingehämmert. 33 Sprengbomben und Granaten brachten 5 Gewölbe des Mittelschiffs, 4 des Querschiffs und 5 der Seitenschiffe des Domes zum Einsturz. Diese schweren Wunden sind geheilt, aber genug Schweres ist noch geblieben. Mit einigen Unterschieden nicht glücklicher war das Schicksal der zehn romanischen, zumeist aus dem 11. und 12. Jahrhundert stammenden Gotteshäuser, unter ihnen am schlimmsten versehrt die Basilika St. Maria am Kapitol, dieser grandiose ottonische Bau, in dem die Zierstörung bis in die Krypta hinunter alle Gewölbe aufriß. Wahrlich wie die Engel des Jüngsten Gerichtes stehen die Posaunenbläser am Südportal von St. Ursula, der hart mitgenommenen uralten Klosterkirche, die das Grab ihrer Namenspatronin birgt. Wo zu Füßen des hohen Domes vordem ein Gewirre alter malerischer Bürgerhäuser sich drängte, beginnt jetzt die Zone der Betonpaläste des Handels, des Verkehrs, der Finanz. Noch will sie Raum lassen für Bauten, die gruppiert zu Seiten des Domes, ähnlich wie in Wien dem kirchlichen Zentrum, dem Dienst der Erzdiözese gewidmet sind. Doch die Wohnbevölkerung der inneren Stadtbezirke, die Masse der Arbeiter, der Angestellten, der kinderreichen Mittelstandsfamilien, sind hinaus an die Ränder der Stadt gewiesen. Gleichzeitig ist erkennbar, wie dieses Köln, das sich aus dem Entsetzlichen rettete, sich aus hartem Schicksal auf- wärtsringt und seiner gestellten Aufgabe, nicht nur der materiellen, sondern auch der bedeutsameren, der Bewahrung des geistigen Inhaltes seines ehrwürdigen großen Bauerbes, mit zähem Mute nachgeht. Es ist naheliegend, daß noch nicht alle Fragen beantwortet, nicht alle Aufgaben gelöst sind. Aber was geschehen ist, das erscheint höchster Achtung würdig.

Und der Christ in dieser modernen Welt chaotischer Zerstörung und kühner Aufrichtung der Materie?

In seinem dichterisch schönen Vorwort zu dem Buche „Gesang im Feuerofen", das einer bildhaften Vorführung mit dem betonten Untertitel „Köln — Ueberreste einer alten deutschen Stadt", gewidmet ist, schrieb Franz A. Hoyer:

„Manchmal will es scheinen, als habe der Glutwind der Vernichtungsbrände alle Tränen und Trostmöglichkeiten genommen. Das Geschehen muß voll und ganz erlitten und als ein Erlittenes voll und ganz ausgehalten werden, soll sein Anruf, den es wie alles geschichtliche Geschehen hat, nicht überholt und mißverstanden, fehlgedeutet werden. Der Dämon spielte wahrhaft dämonisches Spiel. Mögen wir es nun unter- oder übermenschlich ansehen. Wir haben ihm ins Gesicht geschaut, diesem großen, furchtbaren Gegenspieler im Mysterium in In- iquitatis, das uns letzthin alle Geschichte offenbar macht."

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