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„Christus unter Ruinen“

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„Die Christenheit ist über den Raum der Bürgerlichkeit hin, in ihn .zerstreut'. Für die Bürgerlichkeit ist das Christentum nicht eine Bedrohung — so wie das Christentum der Katakomben als eine unterirdische Erschütterung im heidnischen Lebensraum gespürt wurde —: es ist eine Unerheblichkeit, eine Weltanschauungsformel, die störend wirkt weil sie eigentlich .unbürgerlich“ ist. In Jahrhunderten ist das Gewebe der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wirklichkeit aus dem Grundstoff der Bürgerlichkeit gemacht. Als öffentliche Größe hat das Christentum in diesem Raum gewissermaßen keinen .Boden' mehr unter sich; Bürgerlichkeit ist keine christlich gestaltbare Materie... Erst die geschichtlich ganz unausbleibliche Erschütterung der bürgerlichen Ordnung und Geistigkeit kann gewissermaßen eine neue geschichtliche Möglichkeit für eine Überwindung durch die Kräfte des Christentums schaffen.“

Diese Worte des Schweizer Religions- und Kulturphilosophen Oskar Bauhofer aui dem wunderbaren Buch „Die Heimholung der Welt“, diese Worte also, die noch in seinem Erscheinungsjahr 1937 so manchem „christliehen Bürger“ sehr unfreundlich in die Ohren klingen mochten, an sie mußte ich mich erinnern, da ich Bauhofers jüngstes Buch, mit dem der Autor seit vielen Jahren wieder vor die gesamtdeutsche Öffentlichkeit tritt, aufschlug und mein Blick auf die Überschrift des fünften Kapitels fiel. Da stand es: „Christus unter Ruinen“. Nun sind wir so weit. Das neue Buch bestätigt uns die Prophetie des alten: „Was bleibt von Europa, was bleibt vom Abendland in dieser Jahrhundertmitte des zwanzigsten Säkulums christlicher Zeitrechnung? Es ist nicht ein gewöhnliches Wellental im Gewoge der Geschichte, dem nach unverbrüchlichem Gesetz wiederum ein Wellenberg folgen müßte, es ist ein Wirbel, ein wandernder Abgrund, eine Gestalt des großen Todes, es ist Gewalt des Aufruhrs und des Endes. Die in Ruinen gesunkenen, in Trümmer aufgelösten Zeugen eines Jahrtausends abendländischer Geschichte — die ein hoher Offizier der Alliierten während des zweiten Weltkrieges nur noch als .Ansichtskartenkultur' empfand und bezeichnete —, diese Trümmer also bilden heute eine neue geologische Schicht, für die vielleicht irgendein Gelehrter auch bereits den Namen bereit hält.

Gibt es eine Hoffnung? Gibt es eine Zukunft anders denn unter den Formen der Not, des Grauens, der Angst, des offenen und heimlichen Kampfes aller gegen alle? Wird nicht, was der Nationalsozialismus nur zur Hälfte fertigbrachte, der Bolschewismus zu Ende führen — damit nicht .halbe Arbeit' geleistet sei, damit sie, buchstäblich, .keinen Stein in dir auf dem anderen lassen?'... sind dies nicht die Tage, Tage, welche Jahre und Jahrzehnte füllen, in denen gleicherweise Glück wie Unglück dessen, was bisher in einem hohen Sinn die Weltgeschichte heißen konnte, in einer vollendeten Sinnlosigkeit untergehen? Abendland: — Christus unter Ruinen...!“ (S. 147.)

Das ist das Ergebnis und das Ende der völligen Säkularisation. Das ist das Ende des Bürgers, der stolz den Fortschritt verkündet hatte. So wurde die „autonome“ innerweltliche Ordnung des Bürgers zuschanden.

„Gibt es in den Menschen, gibt es in den Völkern noch die heilen Kräfte?“ so fragen wir mit Bauhofer schaudernd „vor den Gewalten des Chaos“. Und wahrhaftig, er vermag uns die „rettenden Gewalten“ zu zeigen in seinem Buch, in dem sich die Erkenntnisse des Geschichtstheologen und Kulturphilosophen, die er in seinen bisherigen Büchern mm „Das Geheimnis der Zeiten“, „Einheit im Glauben“, „Das Metareligiöso“ — niedergelegt hatte, um ein Vielfaches vertieft und erweitert haben. Bevor aber der Mensch, der Christ, an die schwere Aufgabe herangehen kann, die zertrümmerte Welt neu aufzubauen und zu gestalten, muß er begreifen lernen, wie und warum es so gekommen ist und gar nicht anders kommen konnte. Dieser „Weltbegrei-fung“ dient der erste Teil des Buches, der „Ursprung und Gegenwart“ dieser völlig neuen Weltstunde in einem begreift. So wird dieser erste Teil nicht nur zu einer Auseinandersetzung der vergangenen Jahrhunderte seit Descartes — er wird gleichzeitig u einer großartigen Geschichtstheologie und Anthropologie der christlichen Existsn.

Man versteht den Denker Bauhofer nur, wenn man sich dem geistigen Werdegang seiner Bücher willig anvertraut. Als der einstmalige Schüler und Freund des großen Ernst Troeltsch vor nunmehr zwei Jahrzehnten in seiner Religionsphilosophie in heißer Denkbemühung an das Phänomen der „Grenze“ stieß und sich als Protestant die Dimension scholastischen Denkens zurückeroberte, als er erkannte, daß in allen Akten der natürlichen Religion nicht das „Wahrwirkliche“ Gottes zu erreichen ist, sondern daß uns dieses nur in cier übernatürlichen Gnade der Offenbarung zu Hilfe kommen kann, hat er sich noch mehr der Offenbarung anheimgegeben. Als der religionssoziologisch geschulte Mitarbeiter des Genfer Forschungsinstituts des Ökumenischen Rates sich in den Jahren 1925 bis 1931 um eine neue theologische Fundierung des protestantischen Kirchenbegriffes mühte und ihm aufging, daß dessen Fundierung in Wahrheit nur in der heiligen Lehre des Corpus Christi mysticum möglich sei, war für Oskar Bauhof er das Osterfest des Jahres 1932 als glückhafte Stunde der Heimkehr zur Mutterkirche gekommen. Aus dem innersten Erlebnis des Corpus Christi mysticum ist nunmehr sein ganzes Denken und Schaffen zu erklären und zu begreifen. Aus ihr gewinnt der Geschichtstheologe die tiefen Interpretationen allen weltgeschichtlichen Geschehens, wie sie in dem vierten Kapitel des vorliegenden Buches geboten werden („Inkarnation und Weltgeschichte“). Weil für Bauhofer die Frage nach dem Sinn der Geschichte unlöslich mit der Frage nach dem Wesen des Menschen verbunden ist, so muß diesem geschichtstheologi-schen Teil die Frage nach den Möglichkeiten des Menschseins als eines „Seins zu Gott“ und nicht eines „Seins zum Tode“ vorangehen. Das bürgerliche Menschsein des vorigen Jahrhunderts, dieses „Zwischenspiels des bürgerlichen Mensch“, wird als ein ontologisches Palliativ entlarvt. Erst nach dem Abbau der Ideologien des 19. Jahrhunderts wird es uns möglich sein, die Natur wieder auf die Ubernatur hinzuordnen, die Welt „heimzuholen“ in die übernatürliche Gnadenwelt Gottes, wozu wir Christen als Glieder des mystischen Leibes des Herrn berufen und durch die Taufe gnadenhaft befähigt sind. Aus dieser Berufung erwächst uns die Aufgabe der „Weltgestaltung“. Erst wenn wir wieder die natürlichen Ordnungen aus den übernatürlichen Ordnungen Gottes begreifen lernen, wenn wir wiederum die „Analogia entis“ erfassen, dann können wir „Maß und Werk“ wohl niemals vollenden, aber doch „mit Furcht und Zittern“ unser Heil wirken.

Die „rettenden Gewalten“, die Bauhof er der bedrängten Menschheit zeigt, liegen im Christentum, das „ein Leben aus den Ursprüngen“ ist.

Die Bürger, die sich vom Christentum gestört fühlten, sind nicht mehr, ihre Welt ist zerstört worden, weil sie in der Dimension des bloß Menschlichen gedacht haben. Von Oskar Bauhofer lernen wir in der Dimension Christi denken und handeln. Mögen die Leser aus diesem Buch, in seiner prachtvollen Ausstattung ein Geburtstagsgeschenk des Autors, der am 2. Mai 53 Jahre alt wurde, die Stimme des Herrn vernehmen: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

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