Reparatur der Geschichte?

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60 Jahre nach der Zerstörung versucht Dresden, seine Identität wieder zu finden.

Es war eine Nacht, die nicht nur in der Chronik der sächsischen Landeshauptstadt, sondern wohl auch in den Geschichtsbüchern unauslöschlich bleibt. Von 13. auf 14. Februar 1945, als der Zweite Weltkrieg im Grunde bereits entschieden war, zerstörten 1.300 britische und us-amerikanische Bomber die gesamte Innenstadt Dresdens - und wiederholten damit, was Hitlers Armee in den Jahren davor vielfach vorexerziert hatte: Die blindwütige und strategisch völlig sinnlose Vernichtung ganzer Städte - sei es Warschau, Rotterdam oder Coventry.

Zwar wurden bereits zu ddr-Zeiten die Oper von Gottfried Semper, der Zwinger von August dem Starken, die katholische Hofkirche sowie Teile des Schlosses rekonstruiert. Der Großteil der Residenz sowie die alles überragende Frauenkirche lagen hingegen 50 Jahre lang in Schutt und Asche. Und von den barocken Bürgerhäuser im Zentrum Dresdens blieb so gut wie nichts mehr übrig, da die sozialistischen Stadtplaner der späten 40er und 50er Jahre die ausgebrannten Reste der feudalen Architektur dem Erdboden gleichgemacht hatten.

Bauhistorischer Cocktail

Schon wenige Tage nach der Wende drängten erste Bürgerinitiativen auf eine Wiederherstellung der historischen Stadt - um Dresden sein ursprüngliches Gesicht, seine Identität wiederzugeben. Dass dabei - wie bei der mittlerweile weit fortgeschrittenen Rekonstruktion des Schlosses - auf zeitgenössische Architektur verzichtet wird, werten Kritiker jedoch als blinden Historismus. Noch dazu wird die Residenz nicht im Vorkriegszustand wiedererrichtet, sondern man baut jene Epochen nach, die Sachsens Glanz und Glorie am eindrucksvollsten repräsentieren. So entsteht ein bauhistorischer Cocktail aus Renaissance, Barock und Klassizismus, der in dieser Form nie existiert hat.

Diskussionen gab es auch um den Wiederaufbau der Frauenkirche. Die Ruine des einst bedeutendsten sakralen Kuppelbaus nördlich der Alpen stellte das mit Abstand bewegendste Mahnmal Deutschlands gegen Krieg und Zerstörung dar. Wurde der Trümmerhaufen in der ddr zu einem Symbol der Friedensbewegung, so forderte die Bürgerschaft Dresdens nach der Wende eine ursprungsgetreue Rekonstruktion der Kirche. Historiker warfen ein, dass man auch Monumentalbauten eine Vergänglichkeit zubilligen müsse - und Ruinen sehr wohl ihre Bedeutung hätten. Wenn man sich die Freiheit nähme, herausragende Werke der Geschichte nach Belieben zu wiederholen, entwerte man alle authentischen Baudenkmäler - auch jene in Dresden. Ungeachtet der Appelle von Denkmalpflegern, die Kriegsspuren im Zuge des Wiederaufbaus zumindest nicht gänzlich zu beseitigen, wurde die Frauenkirche in zwölfjähriger Bauzeit mit archäologischer Akribie rekonstruiert - und soll in diesem Herbst feierlich geweiht werden.

Kirche und Stadtmarketing

Neben Nostalgie sprechen auch massive wirtschaftliche Gründe für den eingeschlagenen Weg der Stadtreparatur. Schon jetzt ist die Frauenkirche für Dresden ein hervorragender Werbeträger im internationalen Stadtmarketing - vergleichbar mit dem von Christo verhüllten Reichstag in Berlin oder Frank O. Gehry's Guggenheim-Museum in Bilbao. Der Frauenkirchen-Shop versorgt Besucher aus aller Welt mit Merchandising-Artikeln, selbst in den usa wird für den Sakralbau gesammelt - und japanische Fernsehteams berichten regelmäßig über den Baufortschritt. Die Rekonstruktion des zerstörten Dresden wird so zu einem global beachteten Event und verhilft der Stadt - zumindest im touristischen Sinn - tatsächlich zu einer neuen Identität.

Das Umfeld der Frauenkirche ist nach wie vor eine weitläufige Brache. Bis 1945 lag hier das Herzstück der Dresdner Innenstadt, das sogenannte Neumarkt-Viertel. Schon zu ddr-Zeiten gab es Pläne, den Neumarkt wieder aufzubauen. Dazu wollte man den historischen Straßenverlauf aufgreifen sowie etwa 20 der einst prachtvollen Bürgerhäuser rekonstruieren. Seit der Wende ist auf Drängen konservativer Dresdner Bürger die Zahl der geplanten Nachbildungen auf bis zu 80 angestiegen. Vor drei Jahren sammelte der Verein "Historischer Neumarkt Dresden" 65.000 Unterstützungserklärungen für die Forderung, den gesamten Neumarkt in seiner barocken Erscheinung wieder erstehen zu lassen. Einige Traditionalisten verlangten sogar den Abriss des nahe gelegenen Kulturpalasts aus dem Jahr 1969, um auch dort ein Stück Altstadt neu zu bauen.

Altstadt neu bauen?

Der Dresdner Stadtplanung hingegen geht es weniger um das Erscheinungsbild als um die Funktionalität der neuen Innenstadt. So sahen die Planer für den Neumarkt-Bereich eine kleinteilige und differenzierte Bebauung vor - durchaus auch mit moderner Architektur, vor allem aber mit einem zeitgemäßen innerstädtischen Nutzungsmix: elegante Läden und Restaurants in den Erdgeschossen, erstklassige Büros und Praxen in den Obergeschossen und attraktive Wohnungen im Dachbereich. Eine solche Vielfalt setzt allerdings voraus, dass der Neumarkt in möglichst kleinen Einheiten von möglichst vielen Bauträgern entwickelt wird. Die wirtschaftshörige Stadtregierung aber veräußerte ganze Quartiere an einige wenige Großinvestoren - und verhinderte parallel dazu jeglichen Erlass von Bebauungs- und Gestaltungsvorschriften für den Wiederaufbau, um ja keinen Bauherrn zu verschrecken.

Was nun droht, sind Großkaufhäuser, Bürokomplexe und Hotels von der Dimension ganzer Gebäudeblöcke - die sich der rückwärtsgewandten Bürgerschaft zu Liebe mit altertümlichen Fassaden tarnen. Zur erhofften Urbanität der neuen Dresdner City werden diese monofunktionalen Bauten wenig beitragen.

Historische Trugbilder

Die Paradoxie des sächsischen Historismus zeigt am besten das Beispiel der jahrhundertealten Kellergewölbe unter dem Neumarkt, die sowohl den Krieg als auch die ddr-Zeit überstanden hatten - jetzt aber den Tiefgaragen der neu zu errichtenden Altstadt im Wege stehen. Daher werden die letzten authentischen Zeugnisse der Renaissance und des Barock unter der Erde Platz machen müssen für historische Trugbilder über der Erde.

Der lebendigste und alltäglichste Teil im Zentrum Dresdens ist ebenfalls ein bauliches Zeugnis der Geschichte - allerdings aus einer weniger verklärten Zeit: Die autoverkehrsfreie Prager Straße, 1965-1972 im Geiste der Moderne entstanden, ist ein weltweit einzigartiges Beispiel des sozialistischen Städtebaus. Das großmaßstäbliche Ensemble umfasst Hochhäuser und Flachbauten, Zeilen- und Scheibenbauten, einen Rundbaukörper sowie Ruhe- und Aufenthaltszonen in der Mitte. Seit 1989 ist dieses Monument aus Beton aber wieder in Bewegung geraten.

Denn nach der Wende wurde begonnen, den 60 Meter breiten Boulevard durch neue Einbauten zu verdichten und auf den ursprünglichen Straßenquerschnitt von 18 Metern rückzuführen. Was als "Reparatur der Geschichte" verkauft wird, ist nichts anderes als die Kommerzialisierung der Straße durch die Verbauung öffentlichen Raums mit Büro- und Geschäftshäusern. Mit dem Argument, eine urbane Enge zu schaffen, wird die städtebauliche Idee der späten 60er Jahre mehr und mehr pervertiert. Nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg und dem städtebaulichen Kahlschlag zu ddr-Zeit gilt das Baugeschehen seit der Wende daher unter Kritikern als dritte Zerstörung Dresdens.

Dresden wieder zerstört?

Ob es durch Niederlassungen internationaler Mode- und Elektrohandelsketten tatsächlich gelingen wird, das einstige Image der Prager Straße als mondäne Einkaufsmeile zurückzugewinnen, ist fraglich. Zweitklassig ist jedenfalls die Qualität der heutigen Architektur - auch wenn sich die Konzerne Mühe geben, und ihre Baukomplexe als Konzession an das alte Dresden mit Sandstein verkleiden. Dadurch kommt nur noch deutlicher zum Ausdruck, dass eine Weiterentwicklung des kühnen, modernen Konzepts der Prager Straße in der breiten Öffentlichkeit kaum auf Interesse stößt. Ganz zu schweigen von einem möglichen Denkmalschutz für das international beachtete, urbanistische Gesamtkunstwerk. So droht das einstige Symbol des neuen Dresden langsam zu verschwinden - ohne dass die Stadt merkt, dass sie dadurch an Charakter und Einzigartigkeit verliert.

Der Autor ist Stadtplaner und produzierte eine TV-Dokumentation über den Wandel Dresdens seit 1989.

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