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Das 100-Jahr-Jubiläum des Grazer Opernhauses erinnert an die Theater-Architekten Fellner und Helmer

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Das 100-Jahr-Jubiläum des Grazer Opernhauses erinnert an die Theater-Architekten Fellner und Helmer

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Das Jubiläum 100 Jahre Grazer Opernhaus ist Anlaß für eine Ausstellung des Grazer Stadtmuseums über "Die Architekten der Illusion - Theaterbau und Bühnenbild in Europa". Vor allem der Katalog ist weit über Graz hinaus beachtenswert. Es geht nämlich um einen Bau des Wiener Architekten-Duos Fellner & Helmer, das in 43 Jahren gemeinsamer Arbeit 43 Opernhäuser, Theater und Varietes gebaut hat. Neben hunderten anderer Bauten. Als "Theater-Konfektionäre" mißverstanden, neuerdings als "Workoholics" charakterisiert, sind sie ein in der Architektur-geschichte einzigartiges Phänomen. Darum hat sich das Grazer Museum auch bemüht, aktuelles Material von all den Theaterbauten zwischen Hamburg und Odessa heranzuschaffen. Die Ausstellung bleibt dennoch überschaubar.

Ferdinand Fellner (1847-1916) hatte das Wiener Architektur-Büro seines früh verstorbenen Vaters übernommen, sein Partner Hermann Gottfried Helmer (1849-1919) stammte aus Harburg (heute ein Stadtteil von Hamburg). Die Wirksamkeit des Duos zwischen 1870 und 1914 fiel in eine Zeit grundlegender Veränderungen. Politisch forderte das selbstbewußter werdende Bürgertum seine eigene kulturelle und gesellschaftliche Repräsentation, gegründet auf vertiefte Bildung. Das wachsende Nationalbewußtsein innerhalb der Vielvölker-Staaten, vor allem in Österreich-Ungarn, nutzte das Theater für die Durchsetzung oder Behauptung eigener Kultur und Sprache.

Ausreichende Bauplätze in zentraler Lage waren knapp und teuer. Fellner & Helmer bauten platzsparend und preisgünstig. Bei genau festgelegtem Bauauftrag wurden die kalkulierten Kosten öfter unter- als überschritten. Die Bezeichnung "Konfektionär" war nur für den funktionellen Teil ihrer Arbeiten gerechtfertigt. sonst wußten sie genau, wo und für wen sie bauten. Die Zeit des Historismus erlaubte Anleihen aus dem Stil-Fundus von Jahrhunderten. Das Grazer Stadttheater (heute Opernhaus), das als deutsches Bollwerk am Rande des südslawischen Sprachgebietes gedacht war, griff auf den hier geborenen großen Barock-Baumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach zurück. Andererseits wurde das Kroatische Nationaltheater (Zagreb) als Manifestation südslawischer Kultur unter der ungarischen Stephanskrone konzipiert. Ungarische Nationaltheater entstanden dagegen in Budapest und in Preßburg (ungarisch Pozsony, slowakisch Bratislava). Im damals ungarischen Banat war das Theater von Temesvar (heute rumänisch Timisoara) von Anfang an für deutsche und ungarische Aufführungen gedacht. Die Vielvölkerstadt Czernowitz (damals österreichisch, heute ukrainisch) bekam 1905 ein zunächst für deutsche Aufführungen gedachtes Haus.

Wirken bis Odessa Die Reihe der Bauten könnte ein Blick in die Architekturgeschichte sein. Wer das niedliche Theaterchen im ungarischen Kecskemet sieht (das in seinem altmodischen Plüsch-Charme gern für Filmaufnahmen verwendet wird), denkt vielleicht an Rokoko. Das Klagenfurter Stadttheater ist schon reinster Jugendstil, ähnlich wie das Wiener Konzerthaus, der größte und letzte Komplex, der knapp vor dem Ersten Weltkrieg fertig wurde und soeben kostspielig restauriert und modernisiert wird. Bis zu fünf Säle sind dort bespielbar, dazu das "Akademietheater", das für die hier untergebrachte Akademie für Musik und darstellende Kunst bestimmt war, heute das Kleine Haus des Burgtheaters ist. Ein heiteres Mißverständnis am Rande: Der Geiger Nathan Milstein erzählt in seinen Memoiren, man habe ihm als Kind gesagt, das Opernhaus im heimatlichen Odessa sei nach dem Vorbild der Wiener Hofoper gebaut worden. Als er diese dann sah, war er verwundert. Die Legende hatte sie mit dem Burgtheater verwechselt, das nach Plänen von Gottfried Semper erbaut worden war. Und in Odessa hatten sich "F. & H." an Semper orientiert.

Technisch baute das Duo ganz modern: Je zwei "kreuzungsfreie" Treppen für jeden Rang, Logen und Ränge immer weniger zum "Gesehenwerden" als zum guten Sehen und Hören. Einen dramatischen Einschnitt in der Entwicklung brachte 1881 der Brand des soeben erst eröffneten Wiener "Ringtheaters" (nicht von F. & H.!), bei dem 384 Menschen verbrannten, erstickten oder in der Panik zertreten wurden. Das war kein Einzelfall. Eine Statistik zählte für 1797 bis 1897 in der ganzen Welt 1.115 Theaterbrände auf. Allein zwischen 1876 und 1889 starben dabei 2.215 Menschen! Man dachte intensiv über die Ursachen nach: die moderne Gasbeleuchtung mit ihren für Beschädigungen anfälligen Schläuchen, unsachgemäß verwendete Heizungs-Öfen, dazu Kohlenpfannen in den Souffleurkästen, die ständig dem Wind beim Öffnen und Schließen des Vorhangs aufgesetzt waren. Die Einführung von elektrischem Licht, Zentralheizungen und Feuerlöschern konnte manches bessern. In Österreich wurde ein strenges Brandschutz-Gesetz erlassen, das heute zu wilder Rebellion mancher Regisseure führt: Eiserner Vorhang, der vor jeder Vorstellung und in der Pause erprobt werden muß, was nicht durch Dekorationen behindert sein darf. Ständig brennendes Notlicht, Höchstbreite der Sitzreihen mit Mittelgang. Man vergleiche etwa die endlos langen Parkett-Reihen in der Dresdner Semper-Oper mit denen in Wiener Theatern.

Widerstandsfähig Für den Theaterbau auffälliger wurde die strikte Trennung von Zuschauer- und Bühnenhaus. Dieses überragte nun das Zuschauerhaus deutlich. Die massiven Dekorationen konnten ja nicht mehr aufgerollt, sondern mußten in den Schnürboden gehoben oder in die Seitenbühnen geschoben werden. Parallel dazu entwickelten Fachleute an den Technischen Hochschulen genaue Berechnungen über Heizung und Belüftung. So wurde 1897 eine Luftmenge von 29,7 Kubikmetern pro Person und Stunde für notwenig gehalten (heute 36,2).

Wenn man die "F. & H."-Theater heute besucht, ob in Fürth oder Hamburg, in Karlsbad oder Reichenberg (Liberec), Prag oder Sofia: man staunt, wie sie zwei Weltkriegen und den vielen politischen Veränderungen, auch dem Wandel der Theaterkultur standgehalten haben. Gewiß, die Komische Oper in Berlin sieht heute anders aus als das "Metropoltheater" von 1898. Augsburgs Theater wurde nach Kriegszerstörung innen einem Kino ähnlich. Bratislava, in den zwanziger Jahren noch dreisprachig bezeichnet, wurde aller deutschen und ungarischen Erinnerungen entäußert und mit einem modernen Anbau für Büros und Werkstätten versehen.

Das Budapester Lustspieltheater (Vigszinhaz) verlor im Krieg seine Kuppel (die man dem ähnlich gebauten Wiener Volkstheater wieder aufsetzte). Im Zuschauerraum von Sofia wurde ein modernes Deckenfresko angebracht. Überall gibt es mehr Scheinwerfer, Einrichtungen zur Radio- und Fernseh-Übertragung und anderen technischen Komfort, der nicht unbedingt zur Verschönerung beiträgt. Aber die Häuser widerstanden der Zeit, waren funktionell so perfekt geplant, daß sie keinen Vergleich scheuen müssen. Man besuche einmal nacheinander das moderne Janacek-Opernhaus in Brünn und dann ein paar hundert Meter weiter das Stadttheater von 1882, das jetzt Schauspiel und Konzert bietet. Ob der Inhalt noch mit der Hülle übereinstimmt? Das Grazer Opernhaus trägt wie 1899 die Inschrift: "Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben, Bewahret sie ! Sie sinkt mit Euch, mit Euch wird Sie sich heben."

Ob das Schiller-Wort noch der Maßstab ist?

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