Der ehemalige Chefredakteur der Presse, Michael Fleischacker, erklärt in seinem neuen Buch die Tageszeitung vollmundig für tot. Auf mehr als 100 der insgesamt 145 Seiten begnügt er sich allerdings mit einer Nacherzählung der Zeitungsgeschichte und des Öffentlichkeitsbegriffes, ohne auf den Todeskampf analytisch näher einzugehen. An dieser Stelle fragt sich der Leser besorgt: Warum schreibt Fleischhacker auf einer abstrakten Ebene über das Zeitungssterben in Amerika, Deutschland und Österreich und "verschweigt“ dem Leser seine konkreten Erfahrungungen aus einer Dekade Chefredakteur bei Österreichs führender Qualitätszeitung Die Presse? Fleischhacker verwendet im Buch Statistiken aus Deutschland, wonach die Auflage sich um 25 Prozent verringert hat. Interessanter und anschaulicher wären Zahlen aus Österreich und aus seiner Amtszeit. Wie hoch sind die Verluste bei der Presse? Wie entwickelte sich die Auflagenzahl unter Fleischhackers Führung? Welche konkreten Schritte haben er und der Styria Konzern unternommen, um sich der digitalen Herausforderung zu stellen? Warum hat die Presse jahrelang keinen wettbewerbsfähigen Onlineauftritt zustandegebracht? Warum ist die Presse App das erste Tool, das Social Media-affine Vielleser vermehrt nützen? Wo liegen Chancen für die Monetarisierung von digitalen Inhalten? Warum verweigern immer mehr gebildete Leser den Tageszeitungskonsum? Kurz: Was waren Fleischhackers Pläne, um den sich selbst erfüllenden Niedergang einer Branche nicht nur abzumildern, sondern in eine neue Phase der Prosperität überzuleiten.
Nur Themenübernahme der Leitmedien
Den Fragenkatalog zur Zukunft der Zeitung müsste Fleischhacker um die selbstverschuldeten Versäumnisse der Verleger ergänzen: Streichung der Lektorate, sensationalistische Aufmachung, Aufmerksamkeitsökonomie, fragwürdige Themensetzung und inhaltlich überforderte Journalisten, die ihre handwerklichen Grundfähigkeiten recherchieren, informieren, kritische Quellenkunde, selektieren, gewichten und bewerten zunehmend nicht mehr beherrschen. Wenn weite Teile eines Berufstandes unter Recherche Themenübernahme der Leitmedien Spiegel, Guardian und New York Times verstehen, liegt ein Missverständnis vor.
Die Krise alleine mit ökonomischen Sparzwängen, Technikdeterminismus und Konjunkturdellen zu entschuldigen, übersieht, dass gute Zeitungsmacher keine Manager mit Renditevorgaben sind, sondern Überzeugungstäter wie Oscar Bronner oder Armin Thurnher. Die österreichischen Blattmacher von Format glaubten, mit ihren Produkten Profil, Standard oder Falter neben dem Geldverdienen auch den Diskurs zu bereichern und dem mündigen Bürger bei seiner politischen Entscheidungsfindung ausgewogen und mit kritischer Distanz zu den Mächtigen zu begleiten.
Nicht Manager, sondern Überzeugungstäter
Solche solitären Macher und Überzeugungstäter sind im Zeitalter der betriebswirtschaftlichen Erbsenzähler selten geworden. Die Krise der Zeitungen wird sich weiter konjunkturell und strukturell beschleunigen. Werbeetats wie Kleinanzeigen (Wohnungen, Jobs) wandern ins Netz ab, weil sie dort besser aufgehoben sind. Heuer erschütterten der Konkurs der Kärntner Tageszeitung sowie die neuen Sparpläne bei Standard und Presse die interessierte Fachöffentlichkeit. Um das zu sehen, braucht man weder Betriebswirt noch Hellseher zu sein. Wie aber muss die Zeitung von morgen aussehen, um erfolgreich zu sein? Interessenungebunde Information, Vorselektion von Relevanz, kritische Themenauswahl wären hier einige schlagwortartige Ansätze. Auch muss die Branche endlich taugliche digitalen Bezahlinhalte einführen. Wie diese aussehen könnten, beschreiben die Kommunikationswissenschafter Andrea Schaffar und Christian Körber ausführlich in ihrem lesenswerten Artikel "Verschlafener Wandel. Medien und das digitale Jammertal“. Es ist nicht einzusehen, warum der Leser für die Printausgabe des Standard zahlen soll, solange die aktuellere und bessere Onlineversion gratis ist. Auch medienpolitisch stehen einige Grundsatzentscheidungen an: Parasitäre Unternehmen wie Facebook oder Google sollten mit einer Algorithmensteuer belegt werden, die für den Erhalt der Medienvielfalt zweckgewidmet werden könnte.
Leider hat es Fleischhacker in seinem Buch, das mit zahlreichen spannenden und vergnüglich zu lesenden Anekdoten aus der Zeitungsgeschichte aufwartet, verabsäumt, die medienmorphologische Einzigartigkeit der Zeitung herauszuarbeiten. Wer über Schwächen und Stärken der Mediengattung nachlesen will, findet in Sören Kierkegaards Geheimen Tagebüchern in wenigen Sentenzen Gehaltvolles. Fleischhacker hat mit seinem Buch somit eine große Chance vertan. Er hätte als scharfzüngiger Kommentator und neu beauftragter Chefredakteur des geplanten Österreichablegers der NZZ zukunftstaugliche Bezahlmodelle und blattmacherische Strategien entwerfen und vorstellen können, um die Zukunft der Zeitung aktiv mitzugestalten.
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