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Gleichgeschaltete Meinung

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Unlängst habe ich mich mit einem Tankwart .unterhalten, der sich kurz nach sieben Uhr Abend anschickte, seine Tankstelle zuzusperren und nach Hause zu gehen. Auf meine Frage, ob zu späterer Stunde kein Geschäft mehr zu machen sei, gab er mir zur Antwort, daß mit dem Beginn von „Österreich-Bild”, erst recht aber ab halb acht Uhr, also mit dem Beginn von „Zeit im Büd”, kaum jemand tanken käme. Der Verkehr lichte sich schlagartig.

Der Österreicher sinkt ermattet nach des Tages Mühen, mehr oder -weniger«rwartungsvoll, auf jeden Fall aber gewohnheitsmäßig in einen Sessel, einen Fauteuü vor den Fernsehapparat. Daß dies nicht die voreilige Unterstellung eines um sein Geschäft Geprellten ist, zeigen eindrucksvoll die regelmäßig erhobenen Einschalt- ziffem: 1,8 Millionen Österreicher (das sind rund 30% der Bevölkerung über 15 Jahre) sehen das Österreich-Büd und sogar 2,4 Mü- liönen (das ist fast jeder zweite erwachsene Österreicher) sehen täglich Zeit im Büd.

Gott sei Dank werden jetzt viele sagen. Endlich sind wir soweit, daß die breite Masse der Bevölkerung informiert ist, daß der einzelne die Möglichkeit hat, über seine Froschperspektive hinaus mit den wichtigen Problemen unserer Zeit konfrontiert zu werden.

Ohne die Bedeutung der Horizonterweiterung grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, scheint mir doch, daß. einige andere Aspekte dieses Informationsmassenkonsums etwas näher betrachtet werden sollten.

Da ist zunächst der Umstand, daß beinahe 2,5 Millionen österreichertäglich ihre Informationen von ein und derselben Quelle beziehen. So redlich die Auswahl der Nachrichten durch die Redakteure auch sein mag, so einseitig muß sie dennoch bleiben. Denn es kann nur ein kleiner Ausschnitt aus der Fülle der möglichen Nachrichten tatsächlich präsentiert werden.

Das Problem wäre nicht weiter tragisch, wenn nicht so viele Menschen denselben kleinen Ausschnitt aus dem Geschehen vorgesetzt bekämen. Wie sollen die Menschen sich gegenseitig im Gespräch bereichern, wenn sie alle aus derselben Quelle gespeist werden, vor allem wenn man zusätzlich bedenkt, daß die Auswahlkriterien der Tageszeitungen mit Massenauflage denen des Fernsehens sehr ähneln? Wie sollen sie die Bedeutsamkeit von Ereignissen relativieren lernen, wenn sie alle nur denselben Ausschnitt aus der Realität kennen - und den sogar häufig für das Ganze halten?

Noch schwerwiegender erscheinen mir die Folgen der Uniformierung bei der Kommentierung der Ereignisse im Fernsehen. Auch hier geht es nicht darum, den Kommentatoren im allgemeinen einen Vorwurf zu machen - so sehr im Einzelfall auch Mißbrauch getrieben werden kann. „Denn beim Kommentar geht es ja ganz selbstverständlich um die Deutung der Ereignisse, um das Aufzeigen von Zusammenhängen, vor allem aber um die Bewertung des Geschehenen.

Wie leicht kann es da geschehen, daß die subjektive Interpretation des Kommentators durch die Autorität des Mediums einen Absolutheitsanspruch bekommt, der in keiner Weise gerechtfertigt ist, und in manchen Fällen vielleicht auch gar nicht beabsichtigt war.

Auch hier gilt wieder dieselbe Überlegung: Problematisch ist der Umstand, daß 2,4 Millionen Österreicher denselben Kommentar hören, dieselbe Bewertung vorgesetzt bekommen und häufig nicht imstande oder bereit sind, die Relativität des Gesagten durch Hinzuziehen von anderen Informationen zu erkennen. Sie alle werden in ihrer Urteilsbildung in dieselbe Richtung gelenkt, meistens jedoch, ohne zu wissen, von welcher Weitsicht her der Kommentator seine Äußerungen gemacht hat.

Die Gefahr der Uniformierung, die uns hier sehr konkret bedroht, sollte vor allem die Verantwortlichen in den Medien immer wieder dazu herausfordern, hier nach neuen Lösungen zu suchen. Damit allein ist es jedoch nicht getan. Wir sollten nicht darauf hoffen, daß demnächst Patentlösungen in der Organisation und Präsentation des Fernsehens gefunden werden.

Jeder einzelne hat aber die Möglichkeit, seinen eigenen Lebensrhythmus in Frage zu stellen und sich zu fragen, ob das Ritual des „Auf-jeden-Fall-einmal-Zeit-im- Bild-Anschauens” wirklich notwendiger Bestandteil des täglichen Lebens sein muß. Oder ob nicht eine individuellere oder aktivere Form des Informationsauf- nehmens gefunden werden könnte: etwa ein Buch zur Hand nehmen, mit dem Ehepartner, den Kindern sprechen, Freunde ein- laden..

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