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Von 1900 bis heute

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Nur wer die ungeheuerlichen Schwierigkeiten kennt, die sich heute einem solchen Unterfangen entgegenstellen, kann ermessen, welche Arbeit geleistet werden mußte und welches Entgegenkommen die Leihgeber zeigten, um die E r ö f f n u n g s-ausstellung in dem neuen „Mu-seum des 2 0. Jahrhunderts“ zu ermöglichen. Einen Überblick über die Meisterwerke der Kunst unseres Jahrhunderts und ihrer Phänomene zu geben, wird von Jahr zu Jahr schwieriger und liegt kaum mehr im Bereich der Möglichkeit. Sjmptom einer Situation, die an dieser Stelle einmal näher betrachtet werden soll. Daß es dennoch gelungen ist, eine hervorragende informative Heerschau der Tendenzen in Malerei, Plastik und Architektur seit 1900 zu veranstalten, ist, bei den begrenzten Mitteln, die Österreich zur Verfügung stehen, ein großes Verdienst der Organisatoren der Ausstellung. Ihre zum Teil gewichtigen Proportionsverschiebungen müssen den Verhältnissen angerechnet werden.

Die Hängung innerhalb der Ausstellung folgt, von den Eckpfeilern Van Gogh und Cezanne ausgehend, einer historisierenden Überlegung, die das einzelne Werk mehr in den zeitlichen Zusammenhang als in die persönliche Entwicklung stellt, was nicht ohne Gewalttätigkeiten abgeht (Picasso-Kokoschka zum Beispiel), da Entwicklungslinien, geistige Koordinaten, unterbrochen werden, die im Katalog eindeutiger aufscheinen. Radikalere Einstellung wäre hier von Nutzen gewesen, um das Publikum vor Verwirrung zu schützen. Kunstwerke sind — sofern es sich um solche handelt — nicht Objekte eines „Kulturfahrplanes“. Aber das ist ein weites Feld.

Es wäre vermessen und unmöglich, in diesem begrenzten Rahmen' die vieldeutige Vielfalt der Ausstellung zu würdigen, ohne in eine fast monotone Aufzählung von Namen zu verfallen, die mit nichtssagenden Adjektiven versehen werden. Darum soll nur ein Thema der Ausstellung herausgegriffen werden, das gleichzeitig den Sinn des „Museums des 20. Jahrhunderts“ beinhaltet, nämlich das Verhältnis der österreichischen Kunst zur Kunst unserer Zeit, der Kunst der Welt. Am eindeutigsten erfolgt in dieser Ausstellung der Anschluß zum erstenmal mit Kubin und Klimt. Wie Kubin Ensor nahesteht, so Klimt der rein dekorativen Phase Bonnards, wobei die zeitliche Abfolge von Bedeutung erscheint. Gerstl, Kokoschka und der frühe Boeckl gehören dem europäischen oder deutschen Expressionismus an, wobei Boeckl bereits 6ehr früh im Bildgefüge an der französischen Klassik orientiert ist („Paar aAi Waldrand“). Er ist auch der einzige, der diesen Bannkreis verläßt und in sehr persönlicher Synthese seinen nüchternen Expressionismus in eine die Welt ganz verwandelnde Imagination übersetzt, die Elemente des plastischen Anliegens des Kubismus beinhaltet (Tri-ptychon). Dabei werden Quellen erschlossen, die Erinnerungen an die österreichische Gotik hervorrufen (Rueland Frueauf der Ältere) voll herber Poesie und fragil balancierter Komposition. Hier ist wirklich Wesentliches geschehen und geschieht Wesentliches. Rudolf Wacker übertraf die deutsche „neue Sachlichkeit“ durch technische und zeichnerische Präzision, sein „magischer Realismus“ fühTt die ihm weit unterlegene „Wiener Schule“ der 'üngeren Generation ad absurdum. Ansonsten ist bei ihr, der jüngeren Generation, die partikuläre Ableitung vom sogenannten „internationalen“ Stil festzustellen, ein verdünnter Aufguß des „Aktuellen“, der bis zum Nihilismus führt. In der Plastik steht Wotruba unverkennbar und einsam da. Nach ihm gruppiert sich die Sensibilität Hrdiickas und das eiserne Arrangement Hoflehners, die eine in die Vergangenheit bezogen, das andere für die Gegenwart geschaffen. Die Gegenüberstellung, die hier geschieht, kann nur von Nutzen sein, und es ist als ein Unglück zu bezeichnen, daß sie nur Wochen dauert. Denn mehr als die Hälfte der ausgestellten Werke wird uns nach dieser Frist wieder für immer verlassen, zurückbleiben wird das neue „Museum des 20. Jahrhunderts“ in seiner vorläufig endglültigen Gestalt, das dann an dieser Stelle eingehend und ausführlich besprochen und gewürdigt werden soll.

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