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Wandlungen des Plakats

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Das österreichische Museum für angewandte Kunst am Stubenring zeigt in diesen Wochen eine sehr interessante Ausstellung von Plakaten der letzten siebzig Jahre, durchwegs ausgesuchte Stücke, die sich meist in staatlichem Besitz befinden und einen guten Überblick über die Entwicklung des Plakats, dieser „Kunstgattung der Zivilisation“, vermitteln.

Das Plakat entstand in jenem Augenblick, als der Kommerz seine Hand auf die Kunst legte; nicht zufällig waren Theater und ähnliche, Kunst und Geschäft miteinander verquickende Institutionen seine ersten großen Auftraggeber. In dieser ersten Entwicklungsperiode konnte das Plakat noch ein reines Kunstwerk sein, die Trennung war noch nicht endgültig erfolgt; und die Affichen Toulouse-Lautrecs, um ein vielzitiertes Beispiel zu nennen, waren in der Tat Kunstwerke: Malerei und Graphik ersten Ranges, die sich wie zum Vergnügen, wie zu einem spielerischen Versuch dazu hergaben, dem unkünstlerischen Verlangen nach Reklame und Massenwirkung Rechnung zu tragen. Im übrigen sind diese Plakate eigentlich nichts anderes als 111 u- strationen: sie untermalen, säe verdeutlichen und bilden ab. Sie könnten des aktuellen Anlasses entbehren und gerahmte Bilder sein, wären sie nicht gedruckt und reproduziert. Hier kann man noch — was später nicht mehr möglich sein wird — das Plakat von einem künstlerischen oder kunstkritischen Standpunkt aus betrachten, ohne daß man ihm wie der Malerei Gewalt antun müßte.

Um die Jahrhundertwende, etwa im Wiener Jugendstil, der an Beispielen besonders reich vertreten ist, tritt bezeichnenderweise die Illustration mehr und mehr hinter der Ankündigung zurück. Die Schrift, für deren Ausgestaltung die Sezession ja überhaupt eine eigene Vorliebe hat, das stilisierte Ornament drängen sich vor; selbst die menschliche Figur wird, bisweilen recht unbarmherzig, zurechtgeschnitten. Schön wird man diese Jugendstilprodukte nicht finden, die den Schritt von der Kunst zum Kunstgewerbe getan haben und riesenhaft vergrößerten Etiketten gleichen, deren ornamental verbogene Buchstaben kaum mehr zu entziffern sind. Aber dieser Übergang von der bildlichen Darstellung zur Ankündigung läßt erkennen, daß sich das Plakat allmählich seine eigenen Gesetze zu bilden beginnt.

Dann bemächtigt sich der Expressionismus der Anschlagwände und Litfaßsäulen. Diese stets zum Agitatorischen neigende Kunstrichtung und das Plakat besitzen zweifellos eine gewisse Affinität zueinander. Und der Expressionismus findet in ihm die erwünschte Gelegenheit, auf dem kürzesten und rücksichtslosesten Weg künstlerische, freilich auch politische Manifeste an die Masse heranzubringen. (Einen bemerkenswerten Vorläufer des modernen, politisch aufputschenden Plakats kann man übrigens unter den ersten französischen Vorläufern studieren.) Zwar mißlingt sein Versuch, nochmals den bunten Reklamebogen als Kunstwerk zu behandeln — wenn auch Kokoschka oder Schiele Bedeutendes hinterlii-eßen —, aber er gibt ihm den agitatorischen, brutalen Akzent.

Die folgenden Jahre schließlich machen das Plakat zu dem, was es heute ist: zum bildlichen Slogan, zum grellen Signal, das den Vorübergehenden zur Aufmerksamkeit zwingt. Es illustriert nicht mehr und kündigt nicht an, es ist zu einer Art von surrealistischem Bildstenogramm geworden, das sich in die Erinnerung des sekundenschnell überrumpelten Betraditers eingräbt, ihm Affekt oder Komplexe aufzwingt, die ihn früher oder später zum Kauf irgendeiner Ware veranlassen werden. Je schneller und sicherer ihm das gelingt, desto besser ist das Plakat, dieser Effekt par excellence, der weder mit ästhetisdien noch mit moralischen Kriterien zu erfassen ist. Das Studium der hier angewandten Methoden kann einen reizvollen intellektuellen Genuß bieten, der freilich nicht übersehen lassen sollte, daß die „Galerien der Straße“, wie man die Plakatwände der Größstadt euphemistisch zu nennen liebt, und ihre Register von Scheinsymbolen keineswegs frei von Bösartigkeit und Bosheit sind.

Abschließend möge die Aufstellung, Einteilung und Gruppierung der gezeigten Plakate rühmend hervorgehoben werden.

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