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Die Galerie auf der Straße

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Es wäre unrecht, würde man den geschmackbildenden Einfluß, den Plakate ausüben, unterschätzen. Ist doch diese „Galerie auf der Straße“ neben dem Übermaß photographischer Bildreportage heute ein maßgebender (im wahren Wortsinn!) und zwangsweise „bildender“ Faktor geworden und übt also einen „erzieherischen“ Einfluß aus. Zum Guten ebenso wie zum Schlechten. Weis früher einmal durch das Auge des Malers gesehen und von ihm nach den Gesetzen der Kunst zum Bilde gestaltet wurde, wird heute durch das Objektiv der Kamera gesehen oder wird bildhaft durch die oft nur allzu gefügige Hand des Reklamemalers. Es erübrigt sich wohl, zu versichern, daß eine durch Kunstwerke zum Schauen erzogene und formal gebildete Menschheit kultivierter sein muß als eine von mechanisch-optischen Mitteln und aui billigste Suggestion eingestellter Reklame beeinflußte. Gewiß, die Photographie hat heute die Mal- und Zeichenkunst von einer ihrer nicht gerade immer würdigen Aufgabe befreit: der Reportage. Jedenfalls übernimmt die Photographie eine rein optische Naturwiedergabe, wodurch die bildende Kunst die Möglichkeit erhält, auf ihrem ureigenen Gebiet zu bleiben. Das bedeutet: Bereicherung durch künstlerische Sensationen, neue Ausdrucksmöglichkeiten und eine verstärkte Intensität der Aussage. Natürlich wird durch eine solche eigenständige Kunst nicht selten der unvorbereitete und im Gewohnten des Gestern verhaftete Laie arg erschreckt. Besonders dann, wenn dieser Laie im bösen Irrtum befangen ist, die ihn von der Wiege bis zum Sarge begleitenden Photos (hier hat dieses Wortfragment in seiner Häßlichkeit tieferen Sinn!) seien „Bildern“ gleichzustellen, „Kunstwerken“ gleichzuwerten und sogar eine Art „Kontrolle“ gemalten oder gezeichneten Kunstwerken gegenüber, da „man“ ja nun nachprüfen könne, ob diese auch „stimmen“ … Wenn nun solche Laien, gewohnt an das mechanischoptisch wiedergegebene Bild, auf der Straße, in der Stadt- oder Straßenbahn, von Plakatwänden und Säulen herab, durch nicht nur thematische, sondern auch formale Geschmacklosigkeiten beeinflußt werden — darf es dann wundernehmen, wenn es um „unsere Kultur“ schlechter und schlechter bestellt wird?

Seit einiger Zeit ist auf dem Gebiete der Plakatkunst und der Gebrauchsgraphik bei uns ein Tiefstand zu verzeichnen, der um so bedauerlicher ist, da wir doch über ganz vorzügliche Gebrauchsgraphiker verfügen, die ruhig die Konkurrenz mit dem Ausland aufnehmen können. Die besten dieser Künstler haben sich vor einiger Zeit zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen (innerhalb der Föderation moderner Künstler Österreichs), um mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Werbegraphik auf das ihr zustehende Niveau zu bringen.

Man wird mit Recht fragen, wie es möglich sei, daß trotz so vortrefflicher Gebrauchsgraphiker so betrüblich schlechte Resultate uns von den Plakatwänden anöden, und man wird fragen, warum dies im Ausland besser sei? Die Antwort lautet eindeutig und einfach: Wir besitzen zwar gute Gebrauchsgrapbiker, aber schlechte Auftraggeber.

Der Auftraggeber, der meint, seine Ware besonders gut anpreisen zu können, wenn er diese irgendwie mit billiger Erotik in Verbindung bringt, wird sich natürlich nur eines gefügigen oder durch Not gefügig gemachten Malers bedienen, der ebenso geschmacklos wie greifbar die unreine Phantasie seines Auftraggebers in schlechte Bildfonn zu bringen weiß. Wie wohltuend wirkt da ein kleines Plakat, das ich kürzlich in der Stadtbahn sah: an Stelle des für alle Branchen üblichen, seine Rundungen und sonstigen Reize vorweisenden Mädchens ein zeichnerisch ganz vorzüglicher und mit viel Humor dargestellter .ungeschulter Autofahrer.

Den phantasiearmen Auftraggebern aus der Welt des Handels und der Industrie wäre aber zu sagen, daß sie übel beraten sind, wenn sie, ihrem eigenen Geschmack folgend, den Gebrauchsgraphiker zu beeinflussen trachten. Sie mögen bedenken, daß der originelle, der künstlerisch bedeutende und einfallsreiche Maler oder Graphiker rentabler ist als einer, der immer wieder nur das übliche wiederholt.

Aber nicht nur das kommerzielle Plakat beweist, daß die Auftraggeber anscheinend den Weg zum modernen und künstlerisch vereintwortungsbewußten, vielleicht daher auch etwas .schwierigeren Künstler nicht finden. Erinnern wir uns der vielen Plakate für die großen Faschingsunterhaltungen: Wie wenige waren so, daß man sie nicht hätte mit Abscheu betrachten müssen? Gewiß — das eine oder andere dieser Plakate war gut (so das vorzügliche Schriftplakat für den .bal pare der jüdischen Hodischülef und etwa noch das des G'schnasfestes), ab die überwiegende Mehrzahl war langweilig, unwürdig und geschmacklos. Auch ein weltberühmtes Orchester hat sich dabei in Einladung und Plakat nicht gerade ausgezeichnet. Teures Papier und Leinen vortäuschender Karton mit Kunst seidenschnur allein wirken noch nicht vornehm … Oder das verzweifelte Wappentier, das die Mediziner anscheinend zum Sezieren vorbereitet hatten, ehe es, mit schlechter Schrift versehen, als Ballankündigung zu dienen hatte. Oder: das Plakat für den Filmball. Oder: die knalligen .Dirndln alpenländischer Landsmannschaften.

Aber nicht nur der Fasching schenkt uns üble Plakate, nein, auch der Fremden- verkshr tut es. Wo ist das wirklich gute, originelle und künstlerisch einwandfreie Plakat für den österreichischen Wintersport? Auch hier billige Erotik durch .fesche Skihaserln, auch hier manchmal Zweifel, ob für ein Woll- jumper-, Schuh- oder Sportartikelgeschäft Reklame gemacht wird. Von der erdrückenden Mehrheit unkünstlerischer Filmankündigungen erübrigt es sich zu sprechen. Warum aber auch gute Filme (auch katholische!) so häufig schlechte Plakate haben müssen, ist unverständlich. Ob da wohl die Angst, ein künstlerisches Plakat könnte das Geschäft verderben, größer ist, ak der gute Geschmack?

Von dieser Galerie auf der Straße wird das heranwachsende Kind, wird der bildungswillige und aufnahmsfähige Passant beeindruckt, geformt… Trotz der Bestrebungen Verantwortungsbewußter — ein solcher Tiefstandl Trotz des erfreulichen und wertvollen Einfalls, die besten Plakate zu prämiieren und sie gesondert zur Schau zu stellen …

Wie wäre es mit .Schandwänden für die schlechtesten Plakate? Die würden wohl zu ausgedehnte Wandflächen benötigen und man wird daher lieber bei den kleineren für die besten Plakate bleiben, froh, wenn doch immerhin aus dem Wust der Geschmacklosigkeit das eine oder andere wertvolle und gute Plakat hervorsticht — und so beweist, daß es nicht die Schuld unserer guten Gebrauchsgraphiker sein kann, wenn das Niveau der Werbekunst ein so unnötig tiefes ist, sondern die Schuld derer, welche sich als Auftraggeber nicht bewähren.

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