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Plakate
Die „Internationale Plakatausstellung“ im Künstlerhaus wird voraussichtlich einen Rekordbesuch aufweisen, wie er in Wien wohl noch keiner Kunstausstellung beschieden war. Künstlerischer Snobbismus hat darum bereits die Behauptung aufgestellt, das dem Plakat entgegengebrachte Interesse ließe schließen, daß es in Wahrheit die unserer Zeit entsprechende Kunstform sei; im Gegensatz zur modernen Malerei sei es ja jedermann verständlich und übe eine Wirkung aus, die den hergebrachten Kunstgattungen verlorengegangen sei.
In Wirklichkeit gelten für das Plakat andere Gesetze als für das Kunstwerk; anders als bei einem solchen ist sein Zweck zwar eindeutig, aber auch schnell erfüllt. Im gleichen Augenblick, als das Plakat einen Vorübergehenden zum Kauf eines bestimmten Artikels verleitet hat, ist es schon zwecklos geworden; es wirkt nur im ersten Moment mit voller Stärke, denn sein Inhalt ist meist zu geringfügig, als daß er weiterer Reflexionen wert wäre. Es hat also nicht Zeit, zu überreden oder zu überzeugen, sondern muß überrumpeln — und deshalb bedarf das Plakat des Effekts, der plötzlichen Wirkung, die das Kunstwerk ohne weiteres entbehren kann. Daß Plakate bisweilen sehr effektvoll, künstlerisch aber wahre Greuel sind, beweisen einige der ausgestellten amerikanischen Stücke.
Selbstverständlich aber wird sich der Entwerfer eines Plakats, der, wie der Zeichner oder Maler mit Farben und Formwerten arbeiten muß, sich sehr oft künstlerischer Methoden bedienen; ist er stark genug, wird es ihm gelingen, seinem Plakat eine Bedeutung zu verleihen, die über den zufälligen Anlaß hinausreicht; dann aber ist es eben kein Plakat im eigentlichen Sinne mehr, sondern ein graphisches Kunstwerk, das als Plakat verwendet wurde. Der Franzose Colin und der Schweizer Erni haben das vermocht, ersterer mit seinem Plakat anläßlich der Ausstellung „Warschau klagt an." — wohl das eindrucksvollste unter den gezeigten — und letzterer mit einigen Affichen für Musikfeste.
Das Plakat läßt dem Einfall, der Pointe und dem psychologischen Trick weiten Spielraum; es darf Abkürzungen verwenden und zwingt zur symbolisierenden Darstellung: Blindheit wird durch ein angstvoll verzerrtes Mädchengesicht verbildlicht, über das sich der giftgrüne Schatten einer Hand legt. In solchen Zusammenhängen wird der Surrealismus sinnvoll; auf einem Ölbild wäre eine Weltkugel, die Augen besitzt, eine Monstrosität, auf einem Plakat macht er unmißverständlich die Allgegenwart der Filmkamera deutlich. Zu solchen geistreichen Formulierungen neigen vor allem die Franzosen; ihre Schüler aus der Schweiz und Polen übertreffen sie womöglich noch an Treffsicherheit und Esprit. Auch die Engländer gehen weniger vom Formalen, als vom Einfall an das Plakat heran; was sie uns sehen lassen, ist sauber, zurückhaltend und gescheit. Die Skandinavier arbeiten in derselben Richtung.
Die Auswertung des Pla'kats im Dienste politischer und militärischer Propaganda wird in den russischen Kojen demonstriert. Die Ergebnisse sind künstlerisch wertlos. Der „sozialistische Realismus", dem hier gehuldigt wird, läßt der Phantasie der russischen Plakatzeichner keine Möglichkeit der Betätigung; so sind die russischen Plakate einförmig und nach heroischen Schablonen angefertigt, ihr grelles Rot stumpft ab. Das gleiche gilt für die Plakate der „Volksdemokratien“, sofern sie politischen Inhalts sind; was sich kommerziellen Zwecken unterordnet, ist mitunter frisch und originell.
Die zeitgenössischen österreichischen Plakate — aus den zwanziger Jahren stammende Exemplare sind weitaus besser und lebendiger können in dieser internationalen Konkurrenz nicht bestehen. Der- Grund dafür dürfte weniger bei den Zeichnern als bei įen Auftraggebern liegen, die Experimenten abhold zu sein scheinen. Es wäre gut, wenn sie sich von den ausländischen Plakaten eines Besseren belehren ließen. Die Anschlagwände und -säuicn unserer Stadt, ohnehin eine recht zweifelhafte Belebung des Straßen-
bildės, könnten damit ein erträgliches, wenn nicht gar erfreuliches Aussehen gewinnen.
Die Plakatausstellung ist interessant und anregend. Gleiches ist von den im ersten Stock des Hauses gezeigten Karikaturen nicht zu behaupten. Die großen Zeiten der Karikatur sind wohl vorbei. Die Karikatur, die das Persönliche eines Menschen übertreibt, um diesen in meist negativem Sinne zu charakterisieren, entsprach einer Kultur, die Wert auf die Betonung des Individuellen und 3er Individualität legte. In unserer, vom kollektivistischen Denken beeinflußten Zeit gibt cs weder satirische Zeitschriften vom Range des „Simplicissimus“ oder der „Muskete“, noch bedeutende Karikaturisten. Kein Wunder daher, wenn das Niveau der Karikaturenschau trotz starker Beteiligung enttäuscht und das Wertvollste in ihr, wie die von morgensternschem Humor erfüllten Federzeichnungen Paul Floras, Illustrationen, aber keine Karikaturen sind.
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