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Vereinbarung nicht eingehalten

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FURCHE: Nach langen Auseinandersetzungen mit den polnischen Behörden errichteten Karmelitin-nen im Juni 1984 im ehemaligen Giftgasdepot des Konzentrationslagers Auschwitz ein Kloster. Ein Jahr später, im Mai 1985, erfolgten erste Proteste in der jüdischen Presse. Wie kam es dazu?

GERHARD RIEGNER: Als kurz vordem Papstbesuch in Belgien 1985 die Organisation „Kirche in Bedrängnis“ zu einer Sammlung für das Kloster aufrief, erfuhr die Öf-fenthchkeit erstmals von dessen Existenz. Die belgisch-jüdische Gemeinschaft, die zum überwiegenden Teil aus Überlebenden der Shoah besteht, reagierte sehr erregt und setzte sich mit der belgischen und französischen Bischofskonferenz in Verbindung. Einige Monate später, im Jänner 1986, hat der Jüdische Weltkongreß, anläßUch seiner Welttagung in Jerusalem, einen Appell an die katholische Kirche gerichtet, das Kloster aus dem Lagelgelände wieder zu entfernen.

Shoah ist der jüdische Ausdruck für den Holokaust, wörtUch übersetzt bedeutet er Katastrophe. Das Wort Holokaust beinhaltet auch ein freiwilliges Opfer. Von unserem Standpvinkt aus können wir nicht akzeptieren, daß die Ermordung von sechs Millionen Juden ein freiwilliges Opfer war.

FURCHE: Die Reaktionen der internationalen jüdischen Gemeinschaft bedeuten also, daß man das Kloster ohne deren Einverständnis errichtet hat?

RIEGNER: Als man den Schwestern die Errichtung eines Klosters erlaubte, hat weder die polnische Kirche noch die polnische Regierung daran gedacht, eine solche Frage mit den Juden zu besprechen. Wir existierten einfach nicht Mein Hauptvorwiirf ist, daß man das Kloster aufstellte \md überhaupt nicht an uns gedacht hat Sehr brutal ausgedrückt Die Juden sind tot - was muß man sich um sie sorgen?

FURCHE: Was versinnbildlicht Auschwitz für das Judentum?

RIEGNER: Für uns ist Auschwitz ein sehr heiliger Ort, den man schweigend ehren muß. E s sind dort zwar auch Polen, russische Kriegsgefangene \md Zigeimer umgekommen, aber der größte Teil der Opfer waren Juden. Man schätzt, daß es zwei MiUionen waren. Eine so heiU-ge Stätte soll niemand für sich beanspruchen. Auch die Errichtung einerjüdisch^Synagoge ergäbe für \ms keinen Sinn.

Wir wollen dort keine permanenten religiösen Institutionen, die einem AusschheßUchkeitsanspruch gleichkämen. Wirhabeninden Verhandlungen nüt der katholischen Kirche deutlich gesagt, daß wirkein Monopol für Axischwitz verlangen, daß wir alle, die dort imigekommen sind, genauso wie die Juden ehren. Auschwitz ist für uns das Symbol für das, was einmal gewesen ist, eine lebendige jüdische Gemeinschaft von dreieinhalb Millionen Menschen, und von dem, was dort geschehen ist Heute leben in Polen maximal noch 5000 Juden.

FURCHE: Aber gleichzeitig ist Auschwitz auch das Symbol der polnischen Märtyrer…

RIEGNER: Das ist richtig. Aber wenn Auschwitz für Polen ein Symbol ist, so haben doch die Polen ihr ganzes Land, in dem sie ihre Helden und HeiUgen verehren köimeiL Für uns ist es der einzige Ort, das Sinnbild der Shoah. Im jüdischen kollektiven Bewußtsein ist es nicht Tre-blinka und nicht Belcec, kein anderes Lager. Wie kollektives Bewußtsein sich formt, ist eine sehr geheimnisvolle Sache.

FURCHE: Am 22. Februar 1987 kam in Genf ein Übereinkommen zustande, das Kloster innerhalb von zwei Jahren an einen anderen Platz zu verlegen…

RIEGNER: Im Juli 1986 traf ich mich zum ersten Mal mit den Kardinälen Daimeels (Brüssel), Decour-tray (Lyon), Lustiger (Paris) und Macharski (Krakau) und anderen katholischen Persönlichkeiten. Die Gespräche wurdenimFebruar 1987 fortgesetzt, \md da ist ein Kompromißdokument entstanden.

Die Katholiken haben vorgeschlagen, ein Zentrum der Information, der Erziehung, der Begegn\ing \md

„Der Widerstand kommt eindeutig von der polnischen Kirche“

des Gebetes zu gründen, in dem das Kloster seinen neuen Sitz finden soU. Man einigte sich auch, daß auf dem Gebiet von Auschwitz und Birkenau keine reUgiösen Einrichtimgen, dien\]r einer Gruppe dienen, stehen sollten. Unter der Leitung von Kardinal Macharski sollte die Überführung des Klosters und der Bau des Zentrums innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren stattfinden.

FURCHE: Stattdessen aber wurde das Kloster in den letzten zwei Jahren renoviert?

RTEGNER: Es gibt Fihne, die zeigen, daß man das Haus neu ausgestattet hat, statt den Auszug vorzubereiten. Als ich das letzte Mal im Herbst 1988 da war; hatte man einen Passionsweg angelegt imd hohe Kreuze errichtet

FURCHE: Ist es richtig, daß die Widerstände gegen den Abbau des Klosters aus der polnischen Kirche und nicht aus dem Vatikan kommen?

RIEGNER: Der Widerstand kommt eindeutig von der polnischen Kirche, und es ist mir unverständ-Uch, warum der Vatikan nicht eingreift Der Papst hat die Überführung des Klosters gebilligt. In seiner Rede in Wien, im letzten Jahr, hat er zu den jüdischen Vertretern über die Errichtung des neuen Zentrums gesprochen. Aber seltsamerweise ist nichts geschehen. Auch bei einer Sitzung in diesem Jahr haben die Kardinäle erneut bestätigt, daß sie zu ihrem Wortstehenund die Durchführung des Abkommens befürworten. Man teilte uns auch mit, die polnische Bischofskonferenz habe sich einverstanden erklärt

Von anderer Seite informierteman uns über die EinwiUigung der Kar-mehtinnen in Polen. Und ich habe einen Brief vom General der Kar-meUter in Rom, P. Philippe Saim de Baranda, erhalten, in dem er sich für die Dinxhfühnmg der Vereinbarung einsetzte. Er zeigte für das ganze Problem großes Verständnis und bedauerte, daß man ihn nicht früher beigezogen habe.

FURCHE: Wer blockiert Ihrer Ansieht nach den Transfer des Klosters?

RIEGNER: Ich glaube, daß es trotz ihrer Zustimmung die polnischen Bischöfe sind.

FURCHE: Und wie verhalten sich die polnischen Behörden?

RIEGNER: ImHerbst 1987 wurde ich vom Club der katholischen Intellektuellen in Polen zu einem Vortrag eingeladen. Damals sagte mir Kardinal Macharski, er hätte von den polnischen Behörden noch keine Antwort erhalten. Als ich mit dem polnischen Religionsminister LorenczWladislaw darüber sprach, bedeutete ermJr seine Zustimmung. Diese hat er dann nochmals in einem formellen Brief bekräftigt, den ich veröffentlicht habe.

FURCHE: Welche Folgen hat die Tatsache, daß sich das Kloster trotz anderslautender Vereinbarung noch immer in Auschwitz befindet, für den jüdisch-katholischen Dialog?

RIEGNER: Ich habe Kardinal Macharski und Rom gewarnt, daß dies zu einem riesigen Skandal in der jüdischen Welt führen würde, daß die Reaktionen außerhalb meiner Kontrolle geraten würden. Deim es gibt kaum eine jüdische Familie, die nicht einen Angehörigen in Auschwitz verloren hat Ich bat darum, zu zeigen, daß man wenigstens gewiUt ist, mit dem Bau zu begiimen, aber bis heute ist nichts geschehen. Diese Affäre kann den gesamten Dialog mit der katholischen Kirche zum Stillstand bringen.

Dr. Gerhard Riegner iat einer der beiden Vorsitzenden des lettövden Auasdiusses des jüdi-sdien Weltbundes, dessen Voisitzender er während 30 Jahren war. &Gt ihm qnadi Felizitas von Schonbom.

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