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Neuer Zwist um den Auschwitzer Karmel

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Der Streit um den Karmel in Auschwitz flammt wieder auf. Das Gebäude des neuen Karmel ist fertig. Die Schwestern - seit 1984 in einem von ihnen restaurierten Gebäude des ehemaligen k.u.k. Garnisonstheaters, das die Nazis als Zyklon-B-Lager nutzten - wollen aber nicht weg.

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Der Streit um den Karmel in Auschwitz flammt wieder auf. Das Gebäude des neuen Karmel ist fertig. Die Schwestern - seit 1984 in einem von ihnen restaurierten Gebäude des ehemaligen k.u.k. Garnisonstheaters, das die Nazis als Zyklon-B-Lager nutzten - wollen aber nicht weg.

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Jüdische Organisationen sind empört, wurde doch mit der Kirche ein Abzug der Karmelitinnen schon vor Jahren ausgehandelt. Die Schwestern sind jedoch nicht zum Umzug in das neue Kloster bereit, das zu einem aus mehreren Gebäuden bestehenden „Zentrum für Information, Begegnung, Dialog, Erziehung und Gebet" gehört - etwa 500 Meter vom Konzentrationslager entfernt.

Seit Errichtung des Karmel-Kon-vents in Auschwitz 1984 gab es Proteste seitens des Judentums. Die Existenz eines katholischen Klosters an diesem Ort, an dem mehr als vier Millionen Menschen, vorwiegend Juden, umgebracht wurden, wird in jüdischen Kreisen als Ausdruck mangelnden Respekts vor der Schoah empfunden.

Gemäß einer am 22. Februar 1987 in Genf zwischen Vertretern des Judentums und der katholischen Kirche erzielten Vereinbarung sollte das Kloster bis spätestens Februar 1989 verlegt werden. Zu Beginn des Jahres 1989 hatte die katholische Kirche noch zugesagt, die etwa 20 Ordensfrauen würden das Gebäude bis Mitte des Jahres verlassen. Daraus wurde nichts. Es gab wütende Proteste jüdischer Organisationen, die wiederum zu antisemitischen Reaktionen beziehungsweise äußerst mißverständlichen Äußerungen aus polnischen Kirchenkreisen und höchsten kirchlichen Stellen führten. Die Frage „Wem gehört Auschwitz?" führte zu verbaler Eskalation.

Im November 1991 wurde dann der Grundstein für das neue Kloster gelegt. Jetzt ist die Kirche ratlos: Soll sie sich von den Karmelitinnen distanzieren und der Polizei die Räumung des Klosters überlassen? Oder werden die Karmelitinnen in ihr Stammkloster in Posen (Poznan) abziehen? Denn die dritte Möglichkeit - Umzug in den neuen Konvent - scheint unmöglich.

Für viele Polen ist Auschwitz zu einem Streit der Symbole geworden. Der Ort, an dem das Gewissen Europas angesiedelt sein sollte - so der Aachener Priester Manfred Deselaers, der als einziger Deutscher unter Amerikanern im Auschwitzer Zentrum für Information" arbeitet, zur FURCHE - ist wieder ein Zeichen des Zwistes. „Ich bin überzeugt davon, daß man die Kultur Europas daran wird messen können, wie die Menschen mit dem Ort Auschwitz umgehen", sagt Deselaers. Ihm schwebt Auschwitz - siehe dazu auch Seite 4 über ,Zivil-Gedenk-dienst" in Auschwitz - als Stadt des Friedens und der Versöhnung vor.

Die Stimmung an Ort und Stelle beschreibt Deselaers folgendermaßen: „Die Leute sagen, ja, die Juden, gut, alle Achtung, allen Respekt, alle Ehrfurcht; aber unsere Leute sind ja auch hier gestorben. Warum sollen wir für die nicht auch hier auf unsere Weise beten können?"

Für viele Polen ist der Streit um den Karmel in Auschwitz nicht nur ein Streit der Symbole, sondern vor allem auch ein Streit um das Recht, Kirchen zu bauen, ein Recht, das jahrzehntelang durch die Kommunisten nicht respektiert wurde.

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