Anastasia - ©  Foto: Harikrishna Narayana Swamy

Ukraine: Kampf oder Flucht

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Weiter entfernt von der russischen Gefahr kann man in der Ukraine nicht sein als in den Transkarpaten. Und doch ist der Kampf allgegenwärtig. Eine Reportage aus Uschgrord.

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Weiter entfernt von der russischen Gefahr kann man in der Ukraine nicht sein als in den Transkarpaten. Und doch ist der Kampf allgegenwärtig. Eine Reportage aus Uschgrord.

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Kaum jemand von ihnen hat mit Krieg gerechnet, kaum jemand mit den Raketen, die in Kiew einschlagen, den Panzern, der Rechtsvergessenheit Russlands. Hari allerdings schon. Zwei Tage vor Kriegsausbruch saß er in einem hippen Café in Uschgorod und redete schon über den Fall der Fälle. Die schmucke Stadt liegt sieben Autostunden von Wien, direkt an der Grenze zur Slowakei, in den Transkarpaten. Nach Kiew sind es mehr als 800 Kilometer. Und doch ist der Krieg allgegenwärtig. Als sich letzte Woche die schlechten Nachrichten überschlugen, wurde eine mögliche Eskalation von Stunde zu Stunde wahrscheinlicher.

Putins aggressive Brandrede, die Anerkennung der beiden „Volksrepubliken“ durch Russland, dann die Erklärung, Truppen dorthin zu schicken. Aber nicht nur dorthin. „Eine großflächige russische Invasion wird noch diese Nacht stattfinden“, hieß es Mittwochabend (23.2.) von den US-Geheimdiensten. Es sollte stimmen. Hari hat es kommen sehen. Längst ist das Land zu seiner Heimat geworden, er spricht fließend Ukrainisch.

2013 kam er für ein Medizinstudium nach Luhansk, denn in Indien gebe es zu wenige Studienplätze. Seitdem hat er viel erlebt: die Euromaidan-Revolution 2013. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland 2014. Die Abspaltung der beiden selbsternannten Volksrepubliken im Donbass, seitdem regiert von Marionetten Moskaus. Und den folgenden Krieg, der immer wieder aufflammte, vom Rest der Welt aber über Jahre vergessen wurde. Hari ging 2014 erst einmal nach Kiew, dort war es sicher. Sollte er noch bleiben oder gehen? Er entschied sich, in Uschgorod weiterzustudieren. Er bereut es nicht. Längst hat er Wurzeln geschlagen, eine Stelle in der Onkologie angenommen, wieder gekündigt, Anastasia, eine Ukrainerin, geheiratet. Alles lief gut, seinen neuen Job als professioneller Fotograf genoss er.

Das Land verteidigen

Doch jetzt hieß es wieder: Bleiben oder gehen? Hari spielte verschiedene Optionen durch, auch eine Flucht nach Polen oder Österreich, wobei er sich Sorgen wegen seines Visums machte. Ein Bus der indischen Botschaft wird die drei nun zum Flughafen Budapest bringen, von dort geht es nach Indien. Hari hofft aber auf eine baldige Rückkehr: „Meine Freunde, meine Arbeit, alles ist in Uschgorod.“ Etwas anders sieht es Yura, Haris früherer Kollege auf der Krebsstation. Der 38-Jährige hat zwei Söhne – neun und anderthalb Jahre alt – und so gar nichts Kriegerisches an sich.

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