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Die Bekehrung des Jewgeni; Karlowitscli

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Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen die Personen der Handlung nicht in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit, sondern ihres Auftretens vorstelle. Die Bühne ist abwechselnd der Keller, der Garten oder die Küche der kleinen Sofioter Villa am Boulevard S., deren nicht unwichtiger Hintergrund zwei moderne Blockhäuser bilden, in denen im Jahre 1943 nicht gerade zufällig, aber durchaus den bulgarischen Gepflogenheiten entsprechend, eine deutsche und eine russische militärische Dienststelle untergebracht waren. Erstere hing übrigens auch in irgendeiner Weise mit den früheren Bewohnern des kleinen Hauses selbst zusammen, aber dessen neue Mieterin erfuhr davon nur durch mysteriöse Telephonanrufe, bei denen sich Seelöwen, -möwen, -hunde und ähnliche Chiffren meldeten, um alsbald, nicht immer höflich, abzuhängen.

Viel wichtiger ist, daß diese neue Mieterin mit ihrem Vertrag Jurdanka übernimmt, womit die Vorstellung der Personen beginnen kann:

Jurdanka, 19jährig, bulgarischer Nationalität, ein ebenso ehrliches wie unbrauchbares

Mädchen für alles, ausgestattet mit den geringen Reizen eines mageren Schulkindes, aber kreppartigen Dauerwellen und einem kürbisgelben Lippenstift sowie permanenten Zweifeln darüber, wer den Krieg gewinnen und welcher Seite der beiden Nachbarhäuser der Vorzug zu geben sei.

Olga Iwanowna, ihre Großmutter, russischer Herkunft, etwa 65 Jahre alt, eine ebenso dicke wie ausgezeichnete Herrschaftsköchin zaristischer oder besser: französischer Schule, die bezüglich des Kriegsendes keine Zweifel mehr hatte, seitdem sie im Keller des kleinen Hauses ein rundes Tausend deutscher Muschelkonserven und sonst nichts entdeckte, Erbe der früheren Bewohner und auch in Mitteleuropa damals noch wohlbekannt durch das magische Wort „frei“.

Jewgenij Karlowitsch M. schließlich, ebenfalls russischer Herkunft, aber darüber hinaus Sowjetbürger und Unteroffizier der Roten Armee, rund 25 Jahre, als Fahrer des russischen Militärattaches ein Mann von Stand und von Vorliebe für Spalierobst, das den Anlaß zu seiner Bekehrung bildete.

Die Statisten der Handlung setzen sich aus

stäiiJig wechselnden Personen zusammen, die Olga Iwanowna mit dem Bemerken einführte, sie hätten alle keine Wohnungen und kein Geld, äßen auch Muschelkonserven, tränken audi Slibowitz, wenn es schon keinen Wodka gäbe, legten Wert darauf, mit „General“ oder „Gräfin“ angesprochen zu werden, brauchten wegen ihres Alters ganz wenig Schlaf, störten sich aber anderseits nicht daran, wenn die Gastgeberin sich gegen Mitternacht in ihr Schlafzimmer begäbe.

Um endlich der Bekehrung Jewgenij Karlo-witschs näherzukommen, ist es nötig, vom Wohnzimmer über die Terrasse in den Garten zu gehen. Dort hatten Jurdankas drei kleine Brüder inmitten des Rosenrondells einen auf der Straße gefundenen toten Hund begraben und auf dem Erdhügel einen gipsernen Gartenzwerg unzweifelhaft deutschen Fabrikats gestellt. Nach der ersichtlichen Unmöglichkeit, die ausgelassenen Bewohner des Hühnerstalls zur Ordnung zu rufen, hatten sie scheinbar das Weite gesucht. Der Garten ist leer bis auf einen Mann, was an sich nichts Erstaunliches wäre, hätte er nicht eine russische Uniform an. Er steht mit dem Rücken zur Villa und ißt Birnen, richtige Kaiserbirnen, und läßt sich weder von den deutschen Soldaten an den Fenstern des einen Wohnblocks stören noch von der nahenden Mieterin.

Er scheint sich nicht zu fürchten. Er scheint vielmehr zu wissen, daß sie zwar in der Lage ist, die Leitartikel der „Prawda“, wenn notwendig, zu verstehen, nicht aber ihn, den Unteroffizier Jewgenij Karlowitsch M. mit den entsprechenden russischen Vokabeln davon zu überzeugen, daß diese Kaiserbirnen nicht ihm, nicht einmal den Gästen des Hauses, sondern vorläufig ihr, ihr, der neuen Mieterin und Gastgeberin, allein gehörten. Er merkt auch nicht, daß sie mit einem plötzlichen Entschluß kehrtmacht, respektlos den Gartenzwerg überspringt und nach Olga ruft, um sie in viel zu schnellem Französisch drin-gendst zu ersuchen, den Fremden aus dem Garten zu entfernen.

Olga Iwanowna findet diese Aufforderung wert, ihre Pastetenbleche zu verlassen, und überschüttet alsbald den Uniformierten mit einer Flut unverständlicher Worte, die ihr aus den Fenstern mit den deutschen Soldaten schallendes Gelächter und Ausrufe höchster Bewunderung eintrugen, und den Uniformierten veranlassen, mit einem einzigen Sprung die Mauer zu erreichen, in einem exterritorialen Abgrund zu verschwinden und verschwunden zu bleiben.

Wenige Minuten später wäre der Vorfall vergessen gewesen, hätte nicht Jurdankas gellendes Geschrei die Gastgeberin in die Küche getrieben.

Dort steht Jurdanka vor den am Boden klebenden Pastetchen, sich die Backe haltend, und vor dem Herd Olga Iwanowna, hochrot und zornbebend, nicht weniger gellend im Schimpfen. Daß es eine Schande sei, diesen Bolschewiken, der in fremden Gärten Kaiserbirnen stehle, zu verteidigen, und eine noch größere, mit ihm nachts vor der Haustür zu stehen, und die allergrößte, ihm ein russisches Hemd zu besticken, während man selbst für sich nicht Zeit habe, die Strümpfe zu stopfen. Jurdanka läuft schließlich in den Muschelkeller, um sich auszuweinen.

Sie sehen, die Bekehrung des Jewgenij Karlowitsch rückt bereits in Reichweite!

Als zum 80. Geburtstag der Gräfin B., die es liebte, nach dem Befinden des Kaisers Franz Joseph Fragen zu stellen, eine vierstellige Blumenrechnung ins Haus flatterte, nimmt die Gastgeberin die Gelegenheit wahr, mit Olga Iwanowna ein ernstes Wort zu sprechen. Sie findet sie natürlich in der Küche, aber nicht allein. Niemand anderer als der uniformierte Jewgenij Karlowitsch sitzt beim Küchentisch, nagt an einem Hühnerbein und läßt sich von Jurdankas glücklichem Blick ebensowenig aus der Ruhe bringen wie von ihren kürbisgelben Fingernägeln. „Stellen Sie sich vor, Madame, er hat am gleichen Tag Geburtstag wie unsere Gräfin! Und er ist aus demselben Gouvernement und er kennt auch das Gutshaus.“ Olga sagt das strahlend, sichtlich durch nichts von diesem Thema abzuhalten. „Stellen Sie sich vor, der Bolschewik, dieser Militärattache, hat ihm verboten, mit Jurdanka ins Kino zu gehen, und gedroht, ihn zurück zu schicken, und die Küche soll ganz miserabel sein drüben... Stellen Sie sich vor, er ist bei Kiew verwundet worden und hat immer noch Schmerzen, wenn das Wetter umschlägt..

Jewgenij Karlowitsch folgt dem französischen Wortschwall keineswegs beunruhigt und beginnt Weißbrotkugeln zu drehen.

Die Gastgeberin beruhigt sich bei ihrem Anblick und bringt es fertig, Olga mit sich in den Vorraum zu ziehen. Sie zündet sich

eine Zigarette an und stellt Olga zur Rede. Olga hört sich diese Rede an, beginnt sich in die Schürze zu schneuzen, nimmt wieder Haltung an — soweit ihre Formen das zulassen — und sagt dann, merkwürdigerweise unter nur sehr sparsamer Verwendung französischer Worte: „Wir sind alle Russen, gute Menschen, gute Menschen, aus demselben Gouvernement, und wie Jewgenij auf die Welt gekommen ist, waren schon die Bolschewiken da und er kann gar nichts dafür.“ Da muß die Gastgeberin natürlich beigeben.

Ueber die Bekehrung Jewgenij Karlowitschs gibt es nun den Bericht, das heißt den Monolog, oder besser: die Monologe Olga Iwanownas, die etwa acht Wochen später im Schlafzimmer der Gastgeberin, morgens um 5 Uhr bzw. 9 Uhr, gehalten werden.

Die Gastgeberin wacht erstaunt darüber auf, nicht vom Wecker, sondern von einem Klopfen aus dem Schlaf gerissen zu werden, und sagt automatisch: herein.

Vor ihr steht in festlichem Schwarz Olga, um ihr mitzuteilen, daß Jurdanka und sie leider nicht das Frühstück richten könnten, weil sie in die Kirche müßten. Es sei zwar Montag und noch dunkel, aber in einer Stunde sei die Taufe Jewgenij Karlowitschs.

Für die Gastgeberin ist das alles sehr viel. Sie sagt: „Es ist recht und — unpassenderweise — viel Vergnügen“ und beschließt, sofort wieder einzuschlafen.

Als sie aufwacht, beginnt dann Olga Iwanownas großer Monolog, dessen erster Teil aus der Schilderung der Tauffeierlichkeiten für Jewgenij Karlowitsch besteht. Während einer Atempause gelingt es der Gastgeberin eine Frage zu stellen: Wie es denn überhaupt so weit gekommen sei. Darauf sagt Olga Iwanowna:

„Am Tage der heiligen Paraschiwa hab' ich die Gans fertiggemacht, als Jewgenij hereinkommt und fragt: ,Wieso gibt es heute Gans bei euch?' ,Es ist die heilige Paraschiwa', sage ich. ,Wer ist denn das?' fragt Jewgenij. ,DummkopP, sage ich, ,jeder Mensch weiß, daß heute die heilige Paraschiwa ist, und die Frau hat nichts dagegen, wenn wir alle russischen Feiertage feiern.' Jewgenij lacht darüber und sagt: ,Wieviel Heilige gibt es?' Ich sage: ,Sehr viele. Die russischen und die von der Frau, die stehen in ihrem deutschen Kaiendes, und eine ganze Menge feiern wir zweimal, weil wir hier den alten Kalender haben, was sehr praktisch ist beim Essen.' Er sagt: ,Ueber-haupt sind diese Heiligen praktisch, nur einen Krieg kann man mit ihnen nicht gewinnen.' Ich sage: ,Du großer Esel du, nur mit den Heiligen kann man ihn gewinnen. Und wenn die Deutschen alle zu ihren Heiligen halten würden, würden sie uns auch alle miteinander bis nach Sibirien zurückgejagt haben.' Da fangt er an, mir eine Rede zu halten, und schimpft auf die Popen und sagt, nur mehr die ganz alten Männer und Frauen im Gouvernement glaubten noch so dumme Sachen, und er glaube gar nichts und sein Vater hätte auch schon nichts geglaubt, und alle Kinder seien auch nicht getauft, sondern gute Kommunisten, und sein Bruder habe sogar ein Auto gehabt bis Kriegsbeginn. Da habe ich einen furchtbaren Zorn bekommen und ihm die

Gans gezeigt und noch einmal gesagt: ,Du großer Esel, schau dir diese Gans an! Die Federn, die Gedärme, die ich dir gleich an deinen Kopf werfen werdet der Magen, alles, wer soll das gemacht haben? Dein Lenin? Oder die Gescheiten vorher? Der liebe Gott hat das gemacht. Auch dich, dich, den großen Esel, den Dummkopf, hat er gemacht, und er hat dich bei Kiew nicht einfach tot umfallen lassen oder sonstwo.' Na, und so habe ich mit ihm geschimpft, bis er weggegangen ist. Und dann habe ich ihn gefragt, wie er denn glaube, daß die Welt geworden ist, und ich habe es ihm erklärt, weil er gesagt hat, er hätte es vergessen aus der Schule. Und als er dann sagte, er. würde ein Buch mitbringen, wo alles genau drinnenstünde, habe ich ihm gesagt, das Buch solle er ruhig dem Popen geben, der sei gescheiter als hundert dicke Bücher. Und am nächsten Tag habe ich ihm und dem Popen Tee gekocht und sie haben gestritten und am nächsten Tag wieder. Und nach einer Woche habe ich ihn gefragt, ob der Pope nicht doch gescheiter wäre als seine Bücher. Und da hat er gesagt, die Bücher wären gescheiter, aber das, was der Pope gesagt hätte, verstünde er besser und würde es nicht so schnell vergessen. Aber das Ganze sei eben doch nur für alte Leute. Und da hab' ich ihn endlich überzeugt:

Jewgenij', hab ich gesagt. ,Gewiß, ich bin alt, aber warum soll ich dumm sein? Ich kann viel besser kochen als alle Frauen, die du kennst. Warum soll ich dann in den anderen Sachen so dumm sein? Warum glaubst du, daß der Pope von Rußland weggegangen ist und die Gräfin und ich, aus unserem Gouvernement hierher, wo wir nichts haben, nur kleine Zimmer und ganz wenig Geld und fast niemand hat mehr eine Herrschaft, und doch sind wir lieber da, weil es bei euch keine Heiligen gibt und auch sonst nicht genug, damit man es dort aushalten kann.' Kurz und gut, Madame, er ist Abend für Abend gekommen, ■ der Jewgenij, nicht einmal wegen der Jurdanka, die schon ganz bös auf mich war, sondern wegen mir alter, dicker Frau, und hat immer wieder angefangen. Und wie ich ihm dann eines Tages alles, was ich weiß, fertig gesagt habe, habe ich ihm gesagt, von jetzt an gehst du zum Popen, der fast jeden Tag einen Sprung vorbeikommt. Und dann sind sie, wenn Sie nicht da waren, an Ihrem Schreibtisch gesessen, und der Vater hat geredet und geredet und geredet und der Jewgenij hat zugehört. Und dann ist eines Tages der Vater zu mir in die Küche gekommen und hat mir das Geheimnis gesagt, daß die Taufe sein wird, ganz geheim, weil der Chef es nicht wissen darf.

Und jetzt fällt mir nichts mehr ein. Nur daß alle zum Mittagessen kommen. Und daß es uns eine Ehre wäre, wenn Sie nicht ins Büro fahren würden, sondern auch dablieben. Das hat der Jewgenij mir gesagt, bevor er seinen Chef ins Schloß gefahren hat. . .“

Die Gastgeberin kämmte sich nach dem langen Bericht fertig und rief dann ihr Büro an und sagte: „Ich bitte um einen Tag Urlaub. Ich habe ganz vergessen, daß heute ein Familienfest ist, an dem ich unbedingt dabei sein muß ..

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