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Feind Nr. 1: die Vereinigten Staaten

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Eie nichtkommunistische Welt hat sich natürlich zunächst vor allem für die Erklärungen zur sowjetischen Außenpolitik interessiert. Überraschungen waren allerdings hier, wie auch hinsichtlich aller anderen Fragen nach der Publikation der Broschüre Stalins über „ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR", diesem richtungweisenden Vorwort zum Parteitag, nicht mehr zu erwarten. Tatsächlich haben alle Redner auf dem Parteitag, soweit sie sich mit dem Verhältnis der Sowjetmacht zur übrigen Welt befaßten, im Sinne der von Stalin ausgegebenen Direktiven die Vehemenz ihres zusammengefaßten rhetorischen Feuers gegen die USA gerichtet, mit dem gleichzeitigen Bestreben, die übrigen Länder der freien Welt zur „Auflehnung gegen die Diktatur der amerikanischen Kriegshetzer" aufzumuntern. Ein in der Wiedergabe der Sowjetpresse besonders hervorgehobener, von der Versammlung mit „stürmischem, langanhaltendem Beifall" aufgenommener Passus in Malen- kows großem Rechenschaftbericht zeigt die Linie, die in der nächsten Zeit propagandistisch in jeder Weise vertieft werden wird:

JEs ist anzunehmen, daß in den Ländern, denen die Rolle gefügiger Schachfiguren in den Händen amerikanischer Diktatoren zugewiesen ist, wahrhaft friedliebende demokratische Kräfte auftreten werden, die eine eigene, selbständige Friedenspolitik durchführen und einen Ausweg aus der Sackgasse finden werden, in die sie von den amerikanischen Diktatoren gedrängt wur den. Auf diesem neuen Wege werden die europäischen und anderen Länder das volle Verständnis aller friedliebenden Länder finden."

Der „überparteilichen“ sogenannten „Friedensbewegung", der Stalin selbst in seinen programmatischen Ausführungen einen verhältnismäßig bescheidenen Platz zugewiesen hat, wird, das läßt sich vor allem aus Malenkows weiteren Ausführungen eindeutig folgern, eine besondere Aufgabe im Sinne der Werbung im nichtkommunistischen Lager mit Frontstellung gegen den „amerikanischen Militarismus und Imperialismus“ zukommen. Man hat im Kreml die Nachteile der moralischen Isolierung erkannt, in die man vor der Weltöffentlichkeit und bei den Vereinten Nationen nach dem Prager Februarputsch und dem Ausbruch des Koreakrieges geraten ist, und will daher der westlichen Parole von der notwendigen „Einigkeit der freien Welt gegen die kommunistische Bedrohung" die Parole von der Einigkeit der „friedlichen und fortschrittlichen Welt gegen den kriegshetzerischen USA-Imperialismus" entgegensetzen. In den Rahmen dieser Politik gehört der „Fall Kennan“, das Bemühen, den westlichen Ländern — eben mit Ausnahme der. USA — ein freundliches Gesicht zu zeigen, gehört die indirekte Förderung Eisenhowers durch die Verschärfung der amerikanisch-russischen Spannung, da man im Kreml offensichtlich damit rechnet, daß ein republikanischer Wahlsieg bei den amerikanischen Präsi dentenwahlen im November sich ungünstig auf die Beziehungen zwischen den USA und ihre Verbündeten auswirken werde. Durch die Anwesenheit der Delegationen aller kommunistischen Parteien in Moskau ist schon dafür gesorgt, daß diese neue Linie — sozusagen einer antiamerikanischen internationalen „Volksfront- Politik in allen Ländern — entsprechend durchgeführt werden wird.

Die Frage des Verhältnisses zur Außenwelt aber ist nur eine der Fragen, die auf dem Parteitag behandelt wurden, und, was die ihr gewidmete Zeit anlangt, nicht einmal die wichtigste. Der neue Fünfjahresplan, der fünfte seiner Art, die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die weitere Mechanisierung der Landwirtschaft waren die Hauptbetätigungsgebiete für die kommunistische „Kritik und Selbstkritik", deren eminente Bedeutung innerhalb des Sowjetsystems vom Ausland im allgemeinen noch immer nicht richtig erkannt, entweder unterscfaätzt oder gar mißdeutet wird. Man muß, und das hat auch dieser Parteitag wieder gezeigt, die Methode der „Kritik und Selbstkritik“ als einen ganz wesentlichen Bestandteil des sowjetischen Systems auffassen, “als Motor, Antrieb und als Unruhe, die den sonst noch stärker der Gefahr der Trägheit und Erstarrung ausgesetzten riesigen Machtapparat der Partei in Bewegung hält.

Damit sind wir beim dritten Problemkreis angelangt, mit dem sich Malenkows großer Rechenschaftsbericht und ihm folgend die Diskussion auf dem Parteitag befaßte; der Partei selbst. Die starke Zunahme der Parteimitglieder (von 2,477.666 Mitgliedern und Kandidaten im Jahre 1939 auf 6,882.145 am 1. Oktober 1952, wobei die Zunahme der eigentlichen Mitglieder von 1,58 auf 6,01 Millionen relativ noch stärker ist) ließ eine neue Kampagne der Säuberung, Straffung und Disziplinierung des Parteiapparats notwendig erscheinen, eine Aufgabe, der auch gerade der Parteitag dienen sollte.

Besonders aber interessiert den außenstehenden Betrachter natürlich das Bild, das die Partei selbst und ihre oberste Führung jetzt im Jahre 1952 bieten. Gerade in dieser Hinsicht war der Parteitag überaus aufschlußreich. Als Ergebnis der inneren Machtkämpfe der zwanziger Jahre und der großen Säuberung der dreißiger Jahre zeigt sich der vollkommene Triumph des von Stalin aufgebauten und beherrschten Apparats, der Sieg der Praktiker, Techniker und Bürokraten über die Theoretiker, Intellektuellen und Revolutionäre. Die führenden Sowjetfunktionäre der neu herangewachsenen jüngeren Generation sind alle, wie Molotow in seiner Begrüßungsansprache von dem verstorbenen Shdanow sagte, „Männer vom Stalinschen Stamm der Partei". Die beiden ersten Gehilfen des greisen, immer mehr in mythische Unnahbarkeit zurückweichenden Stalin, das Freundespaar Malenkow und Beria, der Parteiführer und der Beherrscher des Staatssicherheitsdienstes (MWD), traten als die nach Stalin mächtigsten Männer auf dem Kongreß und in der Aufmachung, in der die Sowjetpresse ihre Reden brachte, deutlich hervor. Neben ihnen hatte Molotow als der letzte, der in der Oktoberrevolution noch eine, wenn auch untergeordnete Rolle gespielt hatte, eine mehr repräsentative Funktion. Die Frage der eventuellen

Nachfolge Stalins scheint also bereits entschieden zu sein.

Ganz im Sinne dieser Entwicklung lag es, daß bei den Beratungen des Kongresses der marxistischen Theorie nur ein sehr geringer Raum zugestanden war. Die offizielle Verbeugung am Schluß des Malenkow-Berichts vor der „Großen Lehre von Marx-Engels-Lenin-Stalin" mit der mehrmals wiederholten Versicherung, daß der Marxismus“ kein totes Dogma, sondern eine lebendige Anleitung zum Handeln ist", zeigte nur noch deutlicher jene „Entwicklung des Marxismus", jenes „schöpferische Herantreten an die Lehre von Marx-Engels-Lenin“ durch Stalin, wie die parteioffiziellen, euphemistischen Bezeichnungen für eine Erscheinung lauten, die im Grunde doch nichts anderes ist als ein stalinistischer „Revisionismus". Der Triumph des Apparats und der „Apparat- schikis", der Techniker und Organisatoren der Macht, Massenbeherrschung und Massenführung, erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt vollkommen. Der „monopolithische" Charakter des Machtapparats ist bis zu einem Grad ausgebildet, daß sich eine weitere Vervollkommnung und Weiterentwicklung in dieser Richtung kaum mehr vorstellen läßt.

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