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Kunschak als Warner und Mahner

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In den Chor der Gegner, zu denen im Parlament namentlich die Großdeutschen zählten, stimmte auch die Sozialdemokratische Partei ein, die zwar nicht gegen die politischen, um so mehr aber gegen die materiellen Bedingungen der Anleihe Sturm lief. Im Endeffekt hatte sie sich jedenfalls mit den Großdeutschen auf den Kampf gegen Lausanne geeinigt. In der entscheidenden Abstimmung am 18. August 1932 stimmten 81 Abgeordnete für und 80 Abgeordnete gegen den Regierungsantrag auf Annahme der Anleihe — an einem so dünnen Faden hing damals die wirtschaftliche Zukunft des Landes!

Die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zur Anleihe von Lausanne stand in einem vollendeten Gegensatz zu jener Haltung, die die Christlichsoziale Partei mehr als ein Jahr später in einem ähnlichen Fall als Oppositionspartei im Wiener Rathaus eingenommen hatte. Damals ging es um die Sanierung der Wiener Gemeindefinanzen, die unter dem Druck der Wirtschaftskrise gleichfalls notleidend geworden waren und denen durch einen Antrag der sozialistischen Gemeinderatsmehrheit auf Konvertierung der Wiener Dollaranleihe wieder auf die Beine geholfen werden sollte. Die Sitzung des Wiener Gemeinderates am 97 Februar 1934, in der dieser Antrag behandelt wurde, war zugleich die letzte Sitzung des frei gewählten Gemeinderates. In dieser Sitzung hat Leopold Kunschak für die Annahme des Antrages der Mehrheit mit folgenden Worten plädiert: „Der Feind unserer Stadt... das ist die Entartung des deutschen Geistes im Nationalsozialismus. Diesem entgegenzuwirken und positiv aufbauend zu wirken an der Seele unseres Volkes und ihm die wirtschaftlichen Bedingnisse des Lebens zu sichern, das ist der Weg, den uns die Stunde zu gehen heißt. Auf diesem Weg gibt es eine Weggemeinschaft, die über viele Gegensätzlichkeiten hinweg auch heterogene Elemente zu gemeinsamer Arbeit zusammenzuführen vermag. Als erste Voraussetzung hierfür gilt der reine Wille und die sittliche Kraft, das Ti ;nnende zu meiden, das Einigende zu suchen. Wer anderen seine Meinung eventuell auch mit Brachialgewalt aufzwingen will, der allerdings ist für diesen Dienst am Volke, für diesen heiligen Dienst am Vaterlande unbrauchbar ... Wir wollen heute durch unser Verhalten ein Beispiel geben und in einer Frage, die geeignet ist, dem Leben der Stadt zu Hilfe zu kommen, Schulter an Schulter mit jenen stimmen, von denen uns sonst eine Welt trennt. Es gilt, in ernster Stunde eine ernste Tat zu setzen für unser Wien. Es lebe unsere Vaterstadt, es lebe unser Heimatland.“

Warum, so darf man fragen, hat die Sozialdemokratische Partei am 18. August 1932, wenige Monate nach dem ersten großen Wahlsieg der Nationalsozialisten in Österreich, als es um die Annahme der Anleihe von Lausanne gegangen war, nicht „Schulter an Schulter“ mit jenen gestimmt, von denen sie sonst „eine , Welt trennte“?

Die Regierung Dollfuß war die fünfzehnte bürgerliche Regierung, seit am 20. November 1920 nach der Proporzregierung Dr. Mayr, in welcher die Sozialdemokraten noch mit drei Ministern vertreten waren, die erste bürgerliche Regierung wieder mit Dr. Mayr als Bundeskanzler zustande gekommen war. An dem Verbrauch von vierzehn Regierungen in einem Zeitraum von etwa zwölf Jahren lassen sich leicht die Schwierigkeiten ablesen, mit denen es alle diese bürgerlichen Regierungen zu tun hatten, die in diesen zwölf Jahren in den Zauberkreis Christlich-soziale-Großdeutsche-Landbündler-Heimwehrler gebannt waren, aus dem dank der sozialistischen Opposition keine dieser Regierungen ausbrechen konnte, obwohl es an Angeboten an die Sozialdemokratische Partei, in die Regierung einzutreten, nicht gefehlt hat.

Nur eine Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten hätte wenigstens die eine oder die andere stabile Regierung schaffen können, in deren Schoß allein die brennenden Lebensfragen des Landes im Sinne aller Schichten der Bevölkerung hätten gelöst werden können.

Warum, so fragen wir nochmals, hat sich die Sozialdemokratische Partei angesichts der spätestens nach dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise sich abzeichnenden Krise des Parlamentarismus nicht aufgerafft, von nun an „Schulter an Schulter“ mit ihrem bisherigen politischen Gegner gegen die Gefahr des Faschismus zu kämpfen?

Es kann keine Frage sein, daß sich hier eine ideologische Hemmung auswirkte. Diese Hemmung spielte bezeichnenderweise nur in einem einzigen Fall keine Rolle — als es galt, Österreich in eine Republik umzuwandeln. Die Liquidierung der Monarchie — der gleiche Fall ins Negative gewendet — wurde von drei Regierungen durchgeführt, an deren Spitze jeweils der Sozialist Dr. Karl Renner stand. Hier galt es, von der klassisch-marxistischen Zielsetzung „Wider Pfaff, Adel und Kapital“ die mittlere zu verwirklichen, bei der sich die Sozialdemokratische Partei offensichtlich in ihrem Element fühlte. Das heißt: Hier deckten sich Ideologie und politisches Handeln. Sie deckten sich nach der Auffassung Dr. Otto Bauers aber nicht mehr, als es an den wirtschaftlichen Aufbau der jungen Republik ging, wenigstens deckten sie sich von dem Augenblick an nicht mehr, in dem sich zeigte, daß dieser Aufbau nicht auf dem Wege der Sozialisierung möglich war. Also wurde er im Wege der „Kapitalisierung“ durchgeführt, und hier eben öffnete sich die Schere „Ideologie und politisches Handeln“, um sich niemals wieder zu schließen. Die Sozialdemokratische Partei über-

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