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Gesellschaftsreform durch neuen Lebensstil

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Die Frage, wir wir heute leben sollen, ist die Frage nach der Zukunft der Menschheit. Viele Selbstverständlichkeiten sind heute nicht mehr selbstverständlich: die soziale Sicherheit, der sichere Arbeitsplatz, die gesicherte Energieversorgung. Wir können geradezu von einem Ende des Zeitalters der Selbstverständlichkeiten reden.

Unbehagen macht sich heute in der Forderung nach dem „alternativen Lebensstil“ oder dem Wunsch, „einfacher zu leben“, deutlich bemerkbar. Ist aber mit der Verwirklichung eines alternativen Lebensstils oder mit einem ärmeren, einfacheren Leben wirklich alles getan? Genügt es, von einem Pkw mit drei Liter Hubraum auf einen mit 2000 ccm umzusteigen, um Glück und Zufriedenheit zu erreichen?

Wir dürfen nicht neuen Mißverständnissen erliegen. Es geht heute wohl auch um das Sparen, um das Haushalten mit der vorgegebenen Energiereserve, es geht aber auch darum, daß wir nicht neuen Mißverständnissen erliegen und von einem Extrem in ein anderes verfallen. Es geht um die Notwendigkeit einer Umkehr überhaupt, um ein Umdenken, um die echte Erneuerung.

Es geht auch um die Wiederentdeckung der Grundwerte in der Gesellschaft. In der Geschichte kann man immer wieder verfolgen, daß Gesellschaftsordnun-

gen zerfallen sind, wenn menschliche Grundwerte über Bord geworfen wurden. Immer dann ist es zu Katastrophen gekommen, wenn man vergaß, sich zu fragen, wozu der Mensch lebt, was der Sinn seines Daseins ist. Wenn man Nebensächlichkeiten oder Selbstverständlichkeiten den Vorrang gibt, zerbröckeln Kulturen.

Wie sollen wir also heute wirklich leben? Die Katholische Aktion hat in den vergangenen Monaten in ihren Gliederungen versucht, einige Grundsätze darzustellen. In dieser Woche wird man bei der Tagung der Studienkommission für die Schwerpunkte der künftigen Arbeit diese Thematik genauer behandeln.

Nicht um der Askese willen wird heute der Ruf nach dem einfacheren Leben laut,

sondern weil in den vergangenen Jahren tiefe und große Werte oftmals übersehen wurden. Es geht um die Wiederentdeckung wichtiger christlicher Haltungen und Tugenden, wie Ehrfurcht, Bescheidenheit, Maß, Solidarität, Dankbarkeit, Gewissenhaftigkeit, Sparsamkeit, Treue. Einfach leben im Sinne der Bergpredigt heißt nicht nur, ohne Reichtum und in Gewaltlosigkeit zu leben, sondern auch Hast und Hektik einer unmenschlich gewordenen Konsumgesellschaft von innen heraus zu überwinden.

Wir sollten dabei die Rangordnung des Wichtigen wieder entdecken. Die Lebens-Mittel sollen wir als Mittel des Lebens gebrauchen und nicht zu Götzen machen. Gott muß als sinnstiftende Mitte des menschli-

chen Lebens wiederentdeckt werden. In der Kirche ebenso wie in der Gesellschaft erkennt man heute wieder deutlich die wichtige Funktion überschaubarer Gruppen.

Es gibt bereits eine Menge provokativer Gruppen, die den persönlichen und gemeinsamen Verzicht betonen. In der Radikalität der Auffassung werden diese neuen Formen zwischenmenschlichen Zusammenlebens nicht von allen Menschen mitvollzogen werden können. Aber sie erfüllen eine deutliche „Signalfurik-tion“: als Zeichen des Widerspruchs gegen die öffentlichen Zwänge. Sie beweisen, daß es auch anders geht.

Die Renaissance der Gruppe schafft - wie beispielsweise in Taiz6 - Orte der Hoffnung und Liebe. Die

Renaissance der Gruppe bewirkt - wie bei den Focolare und anderen spirituellen Gruppen - das Miteinan-der-Leben im Sinn des Evangeliums. Es müßten Gruppen sein, die sich weder in der Kirche noch in der Gesellschaft auf sich zurückziehen, sondern die in Kirche und Gesellschaft Veränderung und Umkehr zum Besseren erstreben. Von diesen Gruppen gibt es - wohl von Diözese zu Diözese verschieden - erfreulicherweise viele.

Die Katholische Aktion hat in einer Zusammenfassung wichtiger gesellschaftlicher Aspekte erst kürzlich deutlich gesagt: Statt der Vorrangigkeit des Wirtschaftswachstums brauchen wir mehr Solidarität. Wir müssen anders leben, damit andere überleben. Wissenschaft und Technik müssen sich der Langzeitwirkung vieler ihrer Entscheidungen mehr bewußt werden. Mit Energie und Rohstoffen müssen wir sparsamer umgehen. Wir dürfen nicht auf Kosten der kommenden Generationen leben.

Das Zeitalter der Selbstverständlichkeiten scheint vorbei. Der spezielle christliche Beitrag zur Bewältigung der Zukunft ist die Veränderung der Gesellschaft durch die Veränderung des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebensstils.

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