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Impressionen von der Adria

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In dem gewaltigen, nahezu lückenlosen Befestigungswerk, das die alte adriatische Handelsstadt Dubrovnik (Ragusa) umgibt, ist alles so tadellos hergerichtet, als rechne man stündlich mit dem Angriff der großen Flotte aus der feindlichen Schwesterstadt Venedig oder — von der Landseite — der wilden Türkenheere. Denn obwohl für die Festung Ragusa seit Napoleons Tagen der Krieg zu Ende ist, hat sie nicht ausgedient. Seit zwölf Jahren erwacht sie jeden Sommer zu einem unwirklichen nächtlichen Leben. Da erleben Hunderte von Zuschauern das Schicksal Hamlets, Florestans, Lucrezias oder Antigones. 21 Freilichtbühnen stehen den Festspielen von Dubrovnik zur Verfügung: auf den Befestigungsanlagen, auf den Plätzen der Stadt, in den Gärten der Villen, die sie umgeben, in Parks und in Innenhöfen von Palästen und Klöstern. Der Regisseur, der in Dubrovnik ein Stück inszenieren soll, hat eine Stadt vor sich, die als ein großes Arsenal von Theaterkulissen erbaut zu sein scheint, und wenn ihm die erprobten Spielstätten nicht Zusagen, ist seiner Entdeckerfreude keine Grenze gesetzt.

In diesem Sommer schloß das Kroatische Nation altheätef Zagreb mit Gastspielen in Dubrovnik eine Jubiläumssaison ab: vor hundert Jahren war das erste jugoslawische Berufstheater int der kroatischen Haüptstadt eröffnet worden. Laienspiele gab es natürlich viel frįiheri/wįe_, gerade Dujjtövnik beweist. Das Repertoire der, Festspiele stützt sich traditionsbewußt jedes Jahr auf die großen Klassiker des alten Ragusas, besonders auf Marin Držič (1510 bis 1567) und Ivan Gundulid (1588 bis 1638), die beide Geistliche waren. Zwar hatte man in der Blütezeit Ragusas im 16. Jahrhundert noch nicht auf 21 Plätzen der Stadt gespielt und sich hauptsächlich auf den Rektorenpalast und seine nähere Umgebung beschränkt, aber es lag wohl nahe, wenn die heutigen Regisseure etwa mit Gun- dulids „Dubravka“ in den Gradac- Park gingen, der auf einem hohen Felsen über dem Meer liegt. Hier kann sich das Hirtenspiel zwischen hohen, von unten angestrahlten Bäumen rund um einen seerosenbedeckten Teich entwickeln. Es ist eines jener Hirtenspiele, wie sie die Renaissance aufbrachte — eine Mode, die nicht nur an den kleinen italienischen Fürstenhöfen Vergnügen machte, sondern schnell auch in die Nachbarländer Übergriff. In Ragusa, wo das lateinische Element durch Jahrhunderte tonangebend war, fand sie nicht nur Nachahmung, sondern eigenständige Ausprägung mit gesellschaftskritischen und politischen Elementen. So gipfelt das verliebte Treiben der Hirten, Feen und Satyrn in einem Fest zu Ehren der Freiheit, die sich diese Stadtrepublik durch die Jahrhunderte gegen alle Bedrohungen zu erhalten wußte. Wenn man das ausgelassene Treiben der Hirten, der Satyrn und „Satyrinnen“ im nächtlichen Park beobachtet, fragt man sich, warum die fröhlichen Gesellen auf unseren Bühnen so gut wie ausgestorben sind. Man hätte doch viel Vergnügen mit ihnen. Aber vielleicht gedeihen sie nur unter diesem südlichen Himmel, in der Nachbarschaft Arkadiens, wo auch bei allem Fortschritt die Ruhe noch etwas Heiliges ist und in der Mittagshitze nicht nur der große Pan sein Schläfchen hält. Doch gedeihen hier auch Zettel und Peter Squenz, mit denen Shakespeare das Athen seines unter dem verhangenen Himmel Britanniens erdachten Sommemachtstraums bevölkerte. Sie wirken hier, als hätten sie eben ihre Handwerkerą,tuben,jtį, den engen Gassen:,von Dubrovnik verlassen und seien zum , fröhlichen Spiel in den nächtlichen Park gezogen.

Und Shakespeares illyrische Küste? Könnte der Herzog Orsino nicht gerade an diesem Strand regiert haben? Auch für „W a s ihr wollt“ wurde der Gradac-Park ausersehen, wenn auch ein anderer Schauplatz. Diese Inszenierung des Belgrader Nationaltheaters schien fertig von der Bühne übernommen zu sein und sich nur widerwillig in die ungewohnte Umgebung zu fügen. Allerdings ist es bekannt, daß hier in Dubrovnik überhaupt nichts schiefgehen kann. Denn die Szenerie, die Luft, die südliche Landschaft und der Duft ihrer Gewächse, all das überwältigt auch kritische Betrachter. Auch darum sieht man über Unzulänglichkeiten der Dekoration und Überdrehungen der Komik hinweg, weil eine Leistung fast alle Aufmerksamkeit absorbiert: Mira Stupica als Viola. Seit der Film unser Bewußtsein beeinflußt, haben wir uns daran gewöhnt, auch im Theater die Besetzung jeder Rolle mit dem passenden „Typ“ zu erwarten. In Belgrad scheint man noch nicht so weit zu sein. Und es zeigt sich das wahre Können darin, daß der Künstler vor unseren Augen das „wird“, was er eigentlich gar nicht „ist“.

Der auch von der Direktion nicht erwartete Schluß-Gag der Festspiele fiel Sir John B a r b i r o 11 i ein, als er sich mit dem Halle-Orchester (Manchester) nach dem schönen Abschlußkonzert für begeisterten Beifall bedanken wollte. Zuerst spielte er einen Strauß-Walzer und dann — den Radetzkymarsch, der sicher seit 1918 in Jugoslawien selten gehört wurde. Der unbekümmerte Jubel zeigte, daß unsere schnellebige Zeit auch ihre guten Seiten hat, und er war die letzte Bestätigung der in jeder Weise zwanglosen Atmosphäre dieser südlich-heiteren Festspiele.

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